EU-Gipfel:Woran der große Deal mit Cameron scheitern könnte

EU Summit

Der britische Premierminister David Cameron spricht beim EU-Gipfel in Brüssel zu Pressevertretern.

(Foto: dpa)

Der britische Premier fordert eine Änderung der EU-Verträge, Merkel ist kompromissbereit - doch erpressen lassen will sich die Europäische Union nicht.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Alles hat so schön geklappt. Die Staats- und Regierungschefs haben David Cameron beim Abendessen angehört, und der britische Premierminister hat in der anschließenden Aussprache den Eindruck gewonnen, dass es "einen Weg zu einer Einigung gibt". Der Deal, der es Cameron ermöglichen soll, das von ihm angezettelte Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union zu gewinnen, hat angeblich Konturen gewonnen.

Nun muss die Botschaft nur noch hinaus in die Welt. Cameron wählt während seiner kurzen Pressekonferenz gewichtige Worte und lobt die "harte Arbeit", die hinter und vor ihm liege. Aber es gibt eine Macht, die in dieser Nacht einfach stärker ist als der britische Premierminister: die Macht der Bilder.

Während Cameron nämlich über Großbritanniens künftige Rolle in der Europäischen Union referiert, senkt sich das an seinem Rednerpult angebrachte britische Königswappen, fast wie in Zeitlupe, nach links. Erst als die Schlagseite fast neunzig Grad beträgt, macht sich ein dienstbarer Geist daran, das Malheur zu richten.

Beim nächsten Gipfel soll der Deal stehen

Zumindest erkennbar lässt sich Cameron von dem sinkenden Wappen nicht herunterziehen. Er verweist auf den Gipfelbeschluss, in dem die Staats- und Regierungschefs geloben, "eng zusammenzuarbeiten, um für alle Seiten befriedigende Lösungen in allen vier Bereichen beim Treffen des Europäischen Rates am 18. und 19. Februar 2016 zu finden". Beim nächsten Gipfel also soll es den "fairen Deal" zu den vier Kernforderungen Camerons geben.

Sie betreffen erstens den Abbau von Bürokratie und die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens verlangt Cameron eine Absicherung nationaler Souveränitätsrechte. So sollen die Rechte nationaler Parlamente gestärkt werden und das Vereinigte Königreich vom vertraglich festgelegten Ziel einer "immer engeren Union" befreit werden. Drittens will Cameron sichergestellt wissen, dass Großbritannien im Verhältnis zu den Euro-Staaten nicht benachteiligt wird. Vierter und heikelster Punkt sind die Sozialleistungen für zugewanderte EU-Bürger. Die Migranten sollen mindestens vier Jahre in Großbritannien gearbeitet haben müssen, bevor sie einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben. Dies widerspricht der im EU-Recht klar verankerten Gleichbehandlungspflicht.

Merkel ist kompromissbereit

Beim Abendessen bekunden alle Staats- und Regierungschefs, dass sie sich einen Verbleib Großbritanniens in der EU wünschen. Etliche aber weisen auf die Probleme hin. Sogar das Wort "Erpressung" fällt. Besonders die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė, eine frühere EU-Kommissarin, erregt sich. Es geht um das Thema Sozialleistungen, das vor allem die Regierungschefs der östlichen EU-Staaten plagt. Insbesondere viele Polen leben und arbeiten in Großbritannien. Es geht aber auch um andere Fragen, etwa die von Cameron verlangten zusätzlichen Rechte für die nationalen Parlamente. In Brüssel herrscht die Sorge, dass neue Mechanismen geschaffen werden sollen, welche die ohnehin nicht sonderlich bewegliche EU künftig bremsen oder blockieren könnten.

Schwierig ist das alles, doch Cameron weist darauf hin, wie ausführlich sich vor allem eine Regierungschefin geäußert habe: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie habe Kompromissbereitschaft deutlich gemacht, bestätigt Merkel während ihrer Pressekonferenz, aber schränkt auch ein: "immer im Blick auf die Bewahrung auch der Grundpfeiler der Europäischen Union. Und dazu gehören Nichtdiskriminierung und eben auch Freizügigkeit".

Wäre die "dänische Lösung" eine Möglichkeit?

Entscheidend für Cameron aber ist, dass Merkel ziemlich konkret über die Änderung der EU-Verträge spricht. Es ist dies das dickste Brett, das in der EU gebohrt werden kann. Schwierige Verhandlungen sind garantiert und zumindest in einigen Ländern noch kompliziertere Ratifizierungsverfahren. Vor dem spätestens 2017 stattfindenden Referendum in Großbritannien ist das praktisch unmöglich.

Merkel zeichnet daher die Umrisse einer Lösung: "Wenn wir Vertragsänderungen brauchen - und ich glaube, das könnte so sein -, dann sind wir alle einverstanden, dass die nicht jetzt stattfinden müssen, sondern entsprechend dem britischen Vorschlag später stattfinden können, wenn einmal der Vertrag geändert wird." Merkel spielt damit auf die "dänische Lösung" an. 1992 hatten die Dänen in einer Volksabstimmung den EU-Vertrag abgelehnt. Dänemark wurden daraufhin zahlreiche Ausnahmeregeln zugestanden.

Bewerkstelligt worden war das 1992 beim Gipfel von Edinburgh mit Hilfe einer Art Anhang an den EU-Vertrag. Dafür wurde ein völkerrechtlicher Vertrag aller EU-Staaten geschlossen, der Dänemark zusicherte, dass die Sonderregelungen bei der nächsten Vertragsänderung primäres EU-Recht würden. "Worauf es ankommt, ist, dass die Veränderung rechtsverbindlich und unumkehrbar ist", sagt Cameron.

Cameron geht es nicht um Kompromisse

Merkel gesteht das zu, aber es bereitet ihr auch Kopfzerbrechen. "Eine Vertragsänderung, die wir heute hinterlegen für die Zukunft, muss von uns heute akzeptiert werden. Wir sind die heute Verantwortung tragenden Politiker", erläutert sie. Da könne man nicht sagen: "Na ja, dann gucken wir mal in fünf Jahren, ob dann die Politiker, die dann irgendwie etwas zu sagen haben, noch mit diesem Wortlaut einverstanden sind." Sie müsse ja auch dazu stehen, dass ihr Vorgänger Gerhard Schröder noch kurz vor Dienstschluss dem Beitrittsstatus für die Türkei zugestimmt habe. "Ich hätte das damals nicht so entschieden, aber ich fühle mich jetzt in der Verpflichtung der damaligen Absprache und sage: Pacta sunt servanda."

Das klingt alles ziemlich kompliziert und ist es auch. Bis zum Gipfel im Februar soll nun unter Federführung von Ratspräsident Donald Tusk und mit Hilfe der EU-Kommission nach Auswegen gesucht werden. Schwierig wird das vor allem beim Streit über die Sozialleistungen. Hier gehe es, wie Cameron gegen Ende seiner kurzen Pressekonferenz betont, "nicht um einen Kompromiss, sondern um eine Lösung". Er sage nicht, "dass es nicht schwer ist", versichert er dann noch einmal. "Es ist sehr schwer. Ich habe sehr hart gearbeitet, bin durch ganz Europa gereist". Nun sei ein wichtiger Schritt gemacht. Das Königswappen hängt da schon wieder schief.

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