Süddeutsche Zeitung

Neuer Kommissionspräsident:Europas Spitzen suchen einen gemeinsamen Nenner

  • Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich in der Nacht nicht auf neues Spitzenpersonal einigen können.
  • Der von Bundeskanzlerin Merkel und weiteren größeren Länderen vorgeschlagene Frans Timmermans wurde bisher abgelehnt.
  • Ratspräsident Donald Tusk ist mit Vermittlungsversuchen und neuen Vorschlägen vorerst gescheitert, die Verhandlungen gehen aber weiter.

Auch nächtliche Einzelgespräche zwischen den europäischen Staats- und Regierungschefs und Ratspräsident Donald Tusk haben keine Einigung auf neues Spitzenpersonal in der EU gebracht. Nachdem sich schon länger abgezeichnet hatte, dass der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, nicht zum neuen Kommissionspräsidenten ernannt werden würde, ist bisher auch Frans Timmermans (SPE), der Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Tusk, durchgefallen.

Nachdem sich die Gipfelteilnehmer nicht einigen konnten, unterbrach Tusk die gemeinsame Sitzung am Sonntag gegen 23 Uhr. Er führte daraufhin Einzelgespräche nach dem sogenannten Beichtstuhl-Verfahren. Dabei testete Tusk die Akzeptanz anderer Namen. Er nannte drei Politiker der konservativen EVP-Parteienfamilie: die bulgarische Weltbank-Geschäftsführerin Kristalina Georgiewa, den irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar und den französischen EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier. Die Reaktionen seien aber eher zurückhaltend ausgefallen, hieß es von EU-Diplomaten.

Am Abend waren die Gespräche ins Stocken geraten, weil sich vor allem die osteuropäischen Visegrád-Länder Polen, Ungarn und Tschechien sowie etliche EVP-Politiker gegen die vorgeschlagene Kompromisslösung ausgesprochen hatten. Danach sollte der sozialdemokratische Spitzenkandidat bei der Europawahl, der Niederländer Timmermans, Kommissionspräsident werden. Vor allem Liberale und Sozialdemokraten hätten sich in den Gesprächen mit Tusk erneut für diese Lösung ausgesprochen, die zuvor auch Kanzlerin Angela Merkel vertreten hatte und die offenbar ebenfalls von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron akzeptiert worden war.

Umstritten war allerdings nicht nur die Person Timmermans bei den Osteuropäern und der Verzicht der EVP als stärkster Fraktion im Europäischen Parlament auf den Brüsseler Chefposten: Für Unmut hatte auch Tusks Vorschlag gesorgt, dass die Liberalen dann den EU-Ratspräsidenten und die EVP die als weniger wichtig erachteten Posten des Parlamentspräsidenten und des EU-Außenbeauftragten bekommen sollten.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte am Rande des Gipfels, ob noch ein Durchbruch gelinge, sei völlig offen. Italien sei sehr offen, auch für ein Personalpaket mit Timmermans. Allerdings sei das Prinzip der Spitzenkandidaten für sein Land nicht entscheidend.

Gegen acht Uhr morgens trat die große Runde zum Frühstück zusammen. Mehrere EU-Diplomaten sagen, dass ein Vorschlag auf dem Tisch liege, der Timmermans als Kommissionspräsidenten vorsehe. Die konservative bulgarische Weltbank-Chefin Kristalina Georgieva könne danach EU-Ratspräsidentin werden, der liberale belgische Ministerpräsident Charles Michel EU-Außenbeauftragter und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber Präsident des europäischen Parlaments. Entschieden sei aber weiterhin noch nichts.

Seit der Europawahl Ende Mai ringen die EU-Staaten und das Europaparlament um die Besetzung des Spitzenamts in der Kommission und andere Topjobs. Beim EU-Gipfel muss für den Posten des Kommissionspräsidenten eine Einigung gefunden werden, die von mindestens 21 Staaten mitgetragen wird, die 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren. Gesucht wird auch ein neuer Präsident für die Europäische Zentralbank (EZB). Zunächst war aber unklar, ob über diese Position in diesem Personalpaket mitentschieden wird.

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