Energiepolitik:Wie Deutschland und die EU unabhängig von russischem Gas werden wollen

Energiepolitik: Flüssiggastanker auf See.

Flüssiggastanker auf See.

(Foto: AlexLMX/Shutterstock / AlexLMX/Bearbeitung: SZ)

Die USA sollen Europa künftig ein Drittel der bisherigen Gasimporte aus Russland liefern. Zudem denkt Brüssel darüber nach, den Rohstoff künftig gemeinsam zu ordern. Auch Deutschland hat seine Einfuhren senken können.

Von Karoline Meta Beisel, Björn Finke, Brüssel, und Henrike Roßbach, Berlin

Die EU soll mehr verflüssigtes Erdgas aus den USA erhalten, um so die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Bereits in diesem Jahr sollen Tankschiffe aus Amerika 15 Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas zusätzlich anlanden. Das jährliche Extra-Volumen soll dann auf 50 Milliarden Kubikmeter steigen, was einem Drittel der bisherigen Einfuhren aus Russland entspricht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte diese Vereinbarung zusammen mit US-Präsident Joe Biden am Freitag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel vor. "Unsere Partnerschaft hat das Ziel, uns in diesem Krieg durchhalten zu lassen", sagte die CDU-Politikerin.

Für Deutschland verkündete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erste Erfolge, was eine größere Unabhängigkeit von Russland angeht. "Wir sind gut, ich würde sogar sagen, sehr gut vorangekommen, weil wir besonnen gehandelt haben", sagte Habeck in Berlin bei der Vorstellung des Fortschrittsberichts zur Energiesicherheit. In den vergangenen vier Wochen sei "viel passiert", sagte Habeck und verwies auf gekündigte und nicht verlängerte Verträge durch deutsche Energieunternehmen. Ähnlich zuversichtlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitagabend nach dem zweitägigen Gipfel in Brüssel: "Es wird sehr viel schneller gehen, als mancher sich wünschen kann", sagte er mit Blick auf das Ziel, ohne Energieimporte aus Russland auszukommen.

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Bislang steht Russland für 45 Prozent der Gasimporte in die EU. Diese Abhängigkeit beschränkt Europas Möglichkeiten, Präsident Wladimir Putin für seinen Überfall auf die Ukraine zu bestrafen. Beim EU-Gipfel forderte unter anderem Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, gegen Russland ein Gasembargo zu verhängen. Doch andere Regierungen, etwa die deutsche und österreichische, lehnen das ab, weil die Schäden für die heimische Wirtschaft zu groß wären.

Die EU-Kommission hat als Ziel ausgegeben, bis 2027 komplett unabhängig von Gas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland zu werden. Bereits bis Ende des laufenden Jahres sollen die Gasimporte aus dem Land um zwei Drittel sinken, was Fachleute für sehr ehrgeizig halten. Insgesamt plant die Kommission, bis Jahresende 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas durch Importe von LNG zu ersetzen - das ist die gebräuchliche Abkürzung für Flüssigerdgas. Ähnlich viel russisches Gas soll dadurch wegfallen, dass die Mitgliedstaaten mehr Pipeline-Gas aus anderen Ländern beziehen, den Gasverbrauch fürs Heizen senken sowie rasch weitere Wind- und Sonnenkraftwerke bauen.

EU-Staaten sollen Gas gemeinsam ordern

In der Vereinbarung mit den USA geloben die EU-Regierungen, dass ihre Energieversorger bis mindestens 2030 große Mengen an Flüssigerdgas abnehmen. In Europa Fuß zu fassen, war ein lang gehegter Wunsch der amerikanischen Gasanbieter. Dafür müssen die Europäer mehr Terminals errichten, wo die Tankschiffe mit dem heruntergekühlten und verflüssigten Gas ihre Ladung löschen können. In den USA wiederum muss die Gasförderung steigen - wofür die Produzenten die umstrittene Fracking-Technik nutzen.

Umweltorganisationen kritisieren den Deal daher. Mit Blick auf die geplante Abkehr von fossilen Energieträgern sei die Lösung "sehr teuer und kurzsichtig", heißt es in einer Stellungnahme des Thinktanks E3G. Jose Fernandez, Staatssekretär für Energie und Umwelt im US-Außenministerium, weist die Vorwürfe zurück: Teil der Vereinbarung sei es auch, die Entwicklung sauberer Energien zu beschleunigen. "Wir wussten immer, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht von heute auf morgen gelingen würde, sondern dass es Zwischenschritte geben würde", sagte er am Rande einer Sitzung der Internationalen Energieagentur in Paris.

Beim EU-Gipfel unterstützten die Staats- und Regierungschefs zudem einen Vorschlag der Kommission, dass interessierte Mitgliedstaaten künftig gemeinsam Pipeline-Gas oder LNG ordern können. "Anstatt uns gegenseitig zu überbieten und die Preise in die Höhe zu treiben, werden wir unsere Nachfrage bündeln", sagte von der Leyen nach dem Spitzentreffen. Aus der Bundesregierung heißt es aber warnend, dass solch ein Modell nichts am knappen Angebot ändere. Minister Habeck vereinbarte erst am vorigen Wochenende eine nationale Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Katar.

In Deutschland kamen dem Energiesicherheitsbericht zufolge in der Vergangenheit 55 Prozent des Gases aus Russland. Zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres sank dieser Anteil auf 40 Prozent; gestiegen ist der Import aus Norwegen und den Niederlanden sowie der Bezug von LNG. Bis Ende des Jahres könnte der Anteil russischer Gaslieferungen auf 30 Prozent sinken, im Sommer 2024 wären sogar zehn Prozent erreichbar. Allerdings nur, wenn auch Energie gespart und die Erneuerbaren ausgebaut werden.

Spanien und Portugal erhalten mehr Freiheiten

Schneller soll es bei Öl und Kohle gehen. Im vergangenen Jahr hatte Öl aus Russland noch 35 Prozent des deutschen Verbrauchs ausgemacht. Bis Mitte des Jahres könnten sich diese Importe halbieren, zum Jahresende will Deutschland "nahezu unabhängig" von russischem Öl sein. Bei Steinkohle lag die Abhängigkeit von Russland sogar bei 50 Prozent. Kraftwerksbetreiber und die Industrie stellten aber ihre Lieferverträge bereits um; in den kommenden Wochen werde die Abhängigkeit auf etwa 25 Prozent fallen, heißt es in dem Bericht. Bis zum Herbst könne Deutschland "unabhängig von russischer Kohle sein".

Ähnlich heikel wie die Frage, wo die Energie herkommt, ist die Frage nach dem Preis. Beim EU-Gipfel verstrickten sich die Staats- und Regierungschefs daher am Freitag in eine zähe und lange Debatte, was gegen die hohen Notierungen zu tun ist. Spaniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Pedro Sánchez drängte darauf, Strom und Gas mit staatlichen Eingriffen zu verbilligen. Ihn unterstützten Amtskollegen aus Ländern wie Portugal, Italien, Belgien und Griechenland. Kritisch äußerte sich hierzu unter anderem Kanzler Scholz: "Deutschland und viele andere Länder sind sehr skeptisch, wenn es um Markteingriffe geht, weil die Gefahr groß ist, dass man keine gute Wirkung hat, was die Marktversorgung betrifft, und keinen nachhaltigen Effekt erwirkt, was die Preise betrifft", sagte er nach dem Treffen ein wenig umständlich.

Die Gipfel-Schlussfolgerungen stellen nun einen Kompromiss dar. Dort heißt es, die Kommission solle mit der Energiewirtschaft diskutieren, welche Maßnahmen schnell wirksam sein könnten. Als Beispiele nennt die Abschlusserklärung etwa staatliche Preisobergrenzen, Subventionen oder Energieschecks für Verbraucher. Zudem sollen Spanien und Portugal, zwei Länder, deren Energiemarkt wenig Verbindungen zum Rest der EU hat, mehr Freiheiten für Eingriffe erhalten, sofern diese befristet sind und nicht den EU-Binnenmarkt verzerren. Die Kommission muss diese Maßnahmen prüfen und freigeben. Spaniens Ministerpräsident Sánchez und sein portugiesischer Amtskollege António Costa zeigten sich mit diesem Ergebnis zufrieden nach dem Treffen. Scholz ist ebenfalls einverstanden: "Das finde ich gut", kommentierte er die Ausnahmeregelung.

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