EU-Gipfel in Brüssel:Wie Amerika die Europäer nervös macht

Lesezeit: 3 Min.

Mit federnden Schritten über den roten Teppich: Der französische Präsident Emmanuel Macron will beim EU-Gipfel einen entschlossenen Eindruck machen. (Foto: Olivier Matthys/dpa)

Die USA fördern mit sehr viel Geld klimafreundliche Unternehmen. Aber nur, wenn sie aus dem eigenen Land stammen. Die Antwort aus Brüssel fällt sehr europäisch aus.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Emmanuel Macron war am Mittwoch in Katar im Fußballstadion. Er schaute dort seiner Nationalmannschaft zu, wie sie Marokko mit 2:0 besiegte. Und weil das Team der Französischen Republik gewonnen hatte, hatte wohl irgendwie auch der Präsident der Französischen Republik gewonnen. Jedenfalls schritt Macron am Donnerstag in Brüssel ganz besonders federnd über den roten Teppich zu dem Sitzungssaal, in dem er sich mit seinen 26 Kolleginnen und Kollegen aus der EU zum Gipfel traf.

Und auch die Sätze, die Macron im Vorbeigehen in die Mikrofone sagte, hatten etwas Entschlossenes und Siegessicheres. Europa, so die Botschaft des Franzosen, darf sich nicht wegducken, wenn die Amerikaner zig Milliarden Dollar in die Hand nehmen und grüne Industrien und Zukunftstechnologien bei sich im Land - und zu Lasten europäischer Unternehmen - fördern. "Ich denke, jetzt müssen wir entschieden reagieren", sagte Macron.

Ähnlich hatte sich zuvor schon EU-Ratspräsident Charles Michel geäußert, ein Belgier, dessen Nationalmannschaft in Katar zwar - wie die deutsche - die Vorrunde nicht überstanden hatte, der aber trotzdem gerne etwas pompös auftritt. Die Amerikaner seien Freund, Verbündete, "unsere Brüder", sagte Michel. Aber es sei Europas Pflicht, seine Firmen und Bürger "zu schützen" und in dieser wirtschaftlich so schwierigen Zeit gegen Wettbewerbsnachteile zu verteidigen. Auch er verlangte eine "starke Antwort" Europas.

"Wir laufen Gefahr, deindustrialisiert zu werden"

Damit war die Linie vorgegeben. Und der letzte EU-Gipfel des Jahres 2022, in dem Russland die Ukraine überfallen hat, in dem Europa mit Rekordinflation und einer Energiekrise zu kämpfen hatte, in dem China aggressiver denn je auf der Weltbühne aufgetreten ist, debattierte plötzlich über - Amerika. Genauer: Über die Frage, wie die EU auf den Inflation Reduction Act (IRA) reagieren soll. Unter diesem Namen firmiert ein amerikanisches Gesetz, das mehr als 350 Milliarden Dollar an Subventionen und Steuernachlässen freigibt, um damit klimafreundliche Produkte und Unternehmen zu fördern. Aber nur, wenn sie aus den USA stammen.

Das macht die Europäer nervös. Sie befürchten, dass ihre Unternehmen und Güter künftig auf dem US-Markt diskriminiert werden und Firmen deswegen ihre Fabriken über den Atlantik verlagern. "Wir befinden uns in Europa an einem Punkt, an dem wir Gefahr laufen, deindustrialisiert zu werden", warnte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo beim Gipfel.

Nun wussten Macron, Michel und De Croo natürlich sehr gut, dass die EU-Kommission längst mit dem Problem befasst ist und nach Lösungen sucht. Das stand in einem Brief, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag an die EU-Regierungen geschickt hatte. Ein Vertrauter von ihr verhandelt derzeit mit Washington über Ausnahmen und Erleichterungen für Europa, die in die Ausführungsbestimmungen des IRA-Gesetzes aufgenommen werden könnten. Zudem will die Kommission kurzfristig die Beihilferegeln in der EU für grüne Technologie lockern.

EU soll neue Schulden aufnehmen

Langfristig, so der Plan der Kommissionspräsidentin, soll zudem ein "Europäischer Souveränitätsfonds" geschaffen werden, eine Art Sonderhaushalt der EU, aus dem ebenfalls Subventionen für klimafreundliche Industrien bezahlt werden könnten. Von der Leyen sagt zwar nicht genau, woher die Milliarden in diesem Fonds kommen sollen, aber der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat sehr klare Vorstellungen: Die EU soll dafür neue Schulden aufnehmen.

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Ein gemeinsamer, europäischer Geldtopf, der Europas wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber Amerika stärkt - das ist ungefähr das, was sich auch Macron und Michel unter einer "starken Antwort" vorstellen. Dass sie am Donnerstag einen so alarmistischen Ton anschlugen, hatte wohl auch zum Ziel, jene europäischen Kollegen ein bisschen unter Druck zu setzen, die noch nicht davon überzeugt sind, dass frische Schulden der Ausweg aus der Bredouille sind. Wie hart der IRA die europäischen Unternehmen treffen werde, sei noch längst nicht klar, sagte ein Diplomat aus den Niederlanden. "Wir wissen nicht, ob der Patient Husten oder Krebs hat, aber wir fangen schon an zu operieren."

Auch die Bundesregierung ist nicht erpicht darauf, einen weiteren europäischen Fonds zu füllen, womöglich durch Schulden. Es gebe schon genug solche Sonderetats, in denen auch noch viel Geld liege, das man zuerst ausgeben könnte, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Europa müsse zwar seine Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit erhalten. Aber es sei auch begrüßenswert, wenn die Amerikaner ihre Wirtschaft endlich modernisierten und klimafreundlicher machten, so Scholz. Was die Ideen der Kommission angehe, könne man ja verschiedene Elemente verschieden gut finden, hieß es aus deutschen Kreisen.

Kanzler Scholz jedenfalls würdigte den Souveränitätsfonds in seiner Stellungnahme nach dem Gipfel keines Wortes. Statt dessen betonte er den "Dialog" mit Amerika.

Die Antwort des Gipfels am Donnerstag auf das Problem mit den USA fiel angesichts dieser Meinungsunterschiede sehr europäisch aus - dezidiert unkonkret und wohl nicht ganz so stark, wie Macron und Michel es sich vielleicht gewünscht hätten: Nach der Debatte in Brüssel wurde die Kommission beauftragt, bis zum Frühjahr 2023 Vorschläge zu machen, wie "die relevanten nationalen und europäischen Werkzeuge genutzt werden können, um die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern" und "auf EU-Ebene die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zu stärken".

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