Brüssel:EU-Sondergipfel endet nach 91 Stunden mit Einigung

Lesezeit: 15 Min.

Am 5. Verhandlungstag haben die 27 EU-Staats- und -Regierungschefs eine Einigung gefunden. (Foto: AP)
  • Die EU-Staats- und -Regierungschefs ringen bis tief in die Nacht in Brüssel um den Haushalt und die Corona-Fonds.
  • Ein erster Druchbruch war die Einigung auf Corona-Zuschüsse in Höhe von 390 Milliarden Euro.
  • Am Dienstagmorgen steht auch der Haushalt bis 2027 mit einem Volumen von etwa 1,8 Billionen Euro.
  • Der Gipfel bleibt knapp der zweitlängste in der Geschichte der EU.

Meldungen zum EU-Gipfel im Überblick

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder haben sich am frühen Dienstagmorgen über den geplanten Wiederaufbaufonds für schwer von der Corona-Krise betroffene Staaten verständigt. Zudem haben sie eine Einigung über den Finanzrahmen bis 2027 gefunden. Insgesamt geht es um ein Volumen von etwa 1,8 Billionen Euro. Der EU-Gipfel zu den zukünftigen Finanzen ging seit Mitternacht in den fünften Tag der Verhandlungen.

Dienstagfrüh: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wollen etwa 750 Milliarden Euro bereitstellen, um Staaten zu helfen, die wegen Corona in Not geraten. Davon sollen 390 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen an von der Pandemie betroffene Länder gehen. Die 27 Staaten haben seit Freitag an dieser Lösung gearbeitet. Immer wieder sah es nach einem Scheitern der Verhandlungen aus. Außerdem ist ein Haushalt für die Zeit bis 2027 vereinbart worden.

Die EU-Staaten haben sich damit im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise auf das größte Haushalts- und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt. Hier die wichtigsten Punkte im Überblick:

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Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf den EU-Haushalt bis 2027 und das Corona-Hilfspaket geeinigt. Für gebeutelte Staaten gibt es hohe Zuschüsse - gestrichen wird bei Zukunftsthemen. Ein Überblick.

Von Björn Finke und Matthias Kolb
  • Mit Zuschüssen von 390 Mrd. Euro und zusätzlichen Krediten in Höhe von 360 Mrd. Euro sollen die wirtschaftlichen Folgen in den besonders hart von der Corona-Epidemie getroffenen EU-Mitgliedsstaaten abgemildert werden.
  • Im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission waren 500 Mrd. Euro an Zuschüssen und 250 Mrd. Euro an Krediten vorgesehen.
  • Die Auszahlung von EU-Geldern aus dem Haushalt soll künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden. Dagegen hatten sich Ungarn und Polen lange Zeit gewehrt und mit einem Veto gegen das Finanzpaket gedroht. Mittels einer Kompromissformel konnten die Bedenken der ostmitteleuropäischen Staaten gegen diese Regelung ausgeräumt werden. Der Kompromiss wurde am Montagabend in der Runde der 27 Staats- und Regierungschefs per Akklamation angenommen.
  • Die Textpassagen sind ein Erfolg für den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, da ein neuer Schutzmechanismus erst entwickelt werden soll. Angesichts der für Strafen nötigen Mehrheit gilt es als äußerst unwahrscheinlich, dass der Schutzmechanismus jemals wirksam angewendet wird. Mögliche Kürzungen von EU-Subventionen werden nicht explizit erwähnt.
  • Die Rabatte für Netto-Beitragszahlungen in den EU-Haushalt werden erhöht. Darauf hatten insbesondere die selbsternannten "sparsamen Vier", also Dänemark, Schweden, Österreich und die Niederlande, gedrungen. Deutschland erhält als Beitragszahler weiterhin einen Rabatt von 3,67 Mrd. Euro pro Jahr.
  • Italien, das ursprüngliche europäische Zentrum der Pandemie, wird wahrscheinlich der größte Nutznießer des Plans sein und erwartet nach ersten Schätzungen Zuschüsse in Höhe von rund 82 Milliarden Euro und Darlehen in Höhe von rund 127 Milliarden Euro, sagte ein hochrangiger italienischer Beamter.
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Nur 25 Minuten haben nach Zeitrechnung der EU gefehlt, um den Brüsseler Sondergipfel zum längsten in der Geschichte der Union zu machen. Damit bleibt der Rekord beim Gipfel von Nizza aus dem Jahre 2000 bestehen. Dieser war nach EU-Rechnung erst nach 91 Stunden und 45 Minuten zu Ende gegangen.

Erste Reaktionen:

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, das Ergebnis des Gipfels sei ein "wichtiges Signal auch über Europa hinaus", dass die EU handlungsfähig sei. Die Entscheidung, den sogenannten "Sparsamen" höhere Rabatte zu gewähren, sei "schmerzhaft", aber gerechtfertigt gewesen.

Emmanuel Macron würdigte die Einigung als große Leistung. Er schrieb auf Twitter: "Historischer Tag für Europa!" "Dieser auf europäischer Solidarität basierende Sanierungsfonds ist in der Tat eine historische Veränderung, ein historischer Schritt für Europa", sagte Macron. "Es bedurfte eines Kompromissgeistes, um dies zu erreichen, und ich möchte allen Kollegen danken, die dies gezeigt haben." Alle weiteren Reaktionen lesen Sie hier.

In der Nacht auf Dienstag: Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán haben über Themen der Rechtsstaatlichkeit gesprochen. "Ungarn hat sich bereiterklärt, im Artikel-7-Verfahren alle notwendigen Schritte zu tun, damit es im Rat zu einer Entscheidung kommen kann", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert anschließend. Merkel habe für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zugesagt, diesen Prozess "im Rahmen ihrer Möglichkeiten" voranzubringen. Orbán will ein Ende des sogenannten Artikel-7-Verfahrens, das das Europäische Parlament wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien in der Justiz- und Medienpolitik auf den Weg gebracht hat und das theoretisch mit einem Stimmrechtsentzug enden kann. Am ersten EU-Gipfeltag hatte es geheißen, Ungarn würde dem Finanzpaket nur zustimmen, wenn die EU das Verfahren fallen lasse.

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Merkel hat zudem eine Sonderzahlung in Höhe von 500 Millionen Euro für Regionen in Ostdeutschland herausgehandelt. Das geht aus dem Kompromisspapier für eine Einigung über den EU-Finanzrahmen für die Jahre von 2021 bis Ende 2027 hervor.

Die Mittel sollen demnach aus dem EU-Strukturfonds für sogenannte Übergangsregionen kommen und sind dafür gedacht, Unterschiede in der Entwicklung zwischen Regionen zu verringern. Es gehe darum "Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung zu fördern", heißt es zu den Sonderzahlungen. Sie sollen in unterschiedlicher Höhe auch an einige andere Länder wie Belgien und Tschechien gehen.

Montagabend: Die EU-Staaten sind sich nach Angaben von Diplomaten einig über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Corona-Hilfen. Statt der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen nur 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden, bestätigten EU-Vertreter am Montag beim EU-Gipfel in Brüssel. Damit liegt ein wichtiger Baustein für die Lösung des Finanzstreits vor.

Für eine Verringerung der Hilfen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, hatten sich Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande und Finnland eingesetzt. Sie wollten ursprünglich am liebsten nur Kredite und gar keine Zuschüsse vergeben, um Länder wie Italien zu einer beherzteren Reformpolitik zu bewegen. Besonders kritisch wurden die Pläne auch deswegen gesehen, weil die EU für das Konjunktur- und Investitionsprogramm erstmals in großer Dimension gemeinsame Schulden aufnehmen will.

Ihre Zustimmung ließen sich die selbsternannten "sparsamen Vier" teuer bezahlen: Alle erhalten seit Jahren Rabatte auf ihren Beitrag zum EU-Haushalt. Die jährliche Vergünstigung erhöht sich demnach für Dänemark um 100 Millionen Euro, für Schweden um 246 Millionen Euro und für die Niederlande um 345 Millionen Euro. Österreichs Rabatt wird fast verdoppelt und soll 565 Millionen Euro betragen. Die Entlastung für Deutschland bleibt mit 3,7 Milliarden Euro unverändert.

Noch offen ist bislang eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt. Das ist die Voraussetzung für den Start des Hilfspakets. So ist zum Beispiel die Frage offen, wie beziehungsweise ob die Vergabe von EU-Mitteln künftig vom Engagement beim Klimaschutz und von der Einhaltung rechtsstaatlicher EU-Standards abhängig gemacht werden soll. Länder wie Polen lehnen das ab.

Montagnachmittag: David Sassoli appelliert an die Teilnehmer des EU-Gipfels. Der Präsident des Europäischen Parlaments warnt vor einer zu starken Reduzierung der geplanten Corona-Hilfen und des langfristigen EU-Haushalts. Und er droht den Staats- und Regierungschefs mit einem Veto der gewählten Vertreter der Europäer.

"Nach tagelangen Diskussionen erwarten die europäischen Bürgerinnen und Bürger eine Einigung, die diesem historischen Moment gerecht wird", sagt David Sassoli mit Blick auf die Corona-Pandemie. Wenn die Bedingungen des Parlaments nicht ausreichend erfüllt würden, werde es seine Zustimmung nicht erteilen.

Der beim Gipfel zur Debatte stehende mehrjährige Finanzrahmen müsse geeignet sein, um zumindest die wichtigsten Herausforderungen zu bewältigen, so Sassoli. Dazu gehörten der Umweltschutz, die Digitalisierung, die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und der Kampf gegen Ungleichheiten. Zudem brauche man Maßnahmen, um eine wirksame Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Damit spielt der Italiener auf die drohende Abschwächung eines geplanten neuen Haushaltsinstruments an, das bei Verstößen gegen EU-Werte die Kürzung von EU-Mitteln erlauben soll.

Montagmittag: Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich optimistisch, dass es beim EU-Sondergipfel doch noch zu einer Einigung kommt. "Wir haben gestern Nacht nach langer Verhandlung einen Rahmen für eine mögliche Einigung erarbeitet. Das ist ein Fortschritt", sagte Merkel. Es gebe Hoffnung, dass es an Tag vier des Gipfels vielleicht zu einer Einigung komme.

Merkel sagte: "Es war klar, dass es unglaublich harte Verhandlungen gibt. Die werden sich auch heute noch fortsetzen. Aber außergewöhnliche Situationen erfordern eben auch außergewöhnliche Anstrengungen." Sie hoffe, "dass die verbleibende Wegstrecke, die nicht einfach werden wird, auch noch von uns zurückgelegt werden kann".

Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sieht die Möglichkeit einer Einigung. "Aber ich bleibe extrem vorsichtig", sagte er. Man sei vorangekommen in der Frage des Umfangs des Aufbaufonds für besonders von der Corona-Krise betroffene Staaten. "Es gibt einen Geist des Kompromisses", sagte er und verwies darauf, dass man ausreichende Mittel etwa für die Digitalisierung Europas brauche.

Nun müsse man noch regeln, unter welchen Bedingungen Mittel aus dem Aufbaufonds ausgezahlt würden. Zudem müsse die Koppelung von Zahlungen aus dem EU-Haushalt an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit geklärt werden. Er arbeite sehr eng mit Merkel zusammen, um einen Durchbruch zu erreichen. Man müsse Risiken eingehen, um in einer so schwierigen Lage voranzukommen, mahnte Macron. Ansonsten werde es für alle teurer.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich ebenfalls optimistisch. "Die Dinge bewegen sich in die richtige Richtung." Sie forderte die Staats- und Regierungschefs auf, ihren Streit beizulegen. "Wir brauchen eine Lösung. Die EU-Bürger brauchen eine Lösung"

Montagvormittag: Am Nachmittag geht der EU-Sondergipfel in eine weitere Runde. Nach wie vor ungeklärt sind die Höhe der Zuschüsse im Corona-Rettungsprogramm sowie die Frage, ob Länder, denen solche Zuschüsse gewährt würden, bestimmte Auflagen zu erfüllen hätten. In dieser Frage zeigt sich das besonders stark von der Pandemie getroffene Spanien kompromissbereit.

Außenministerin Arancha González zufolge stemmt sich Madrid nicht dagegen, die Auszahlung von EU-Corona-Hilfen an Bedingungen oder eine starke Kontrolle zu knüpfen. "Spanien hat klare Vorstellungen: Wir lehnen Konditionalität nicht ab. Aber wir wollen Transparenz", sagte sie dem Radiosender Cadena SER. Ministerpräsident Pedro Sánchez strebe an, "Spanien zum Teil der Lösung zu machen".

Nach bislang ergebnislosen, dreitägigen Verhandlungen war der EU-Gipfel in Brüssel am Morgen noch einmal verlängert worden. Bundesaußenminister Heiko Maas begrüßte diesen Schritt und mahnte Einigungsbereitschaft auf allen Seiten an. Dass in Brüssel heute weiterverhandelt werde, sei wichtig. "Es zeigt, dass alle eine Lösung wollen, statt das Problem auf die lange Bank zu schieben", sagte der SPD-Politiker vor seiner Abreise nach Estland, wo er die Außenminister der drei baltischen Staaten treffen will. "Die Solidarität aller Staaten untereinander wird sich für alle auszahlen", betonte Maas.

Auch Frankreichs Finanzminister pochte auf die Dringlichkeit einer Einigung über das milliardenschwere Corona-Hilfspaket. Eine Einigung auf dem EU-Gipfel sei möglich und "eine Notwendigkeit", sagte Bruno Le Maire dem Sender BFM TV. Die Zukunft Europas stehe auf dem Spiel. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen betonte in Richtung beider Seiten, dass "Solidarität eine Zweibahnstraße" sei. Für die nach seinen Worten "geizigen Vier" - zu denen die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden gezählt werden - habe er kein Verständnis, "wenn sie diese Solidarität immer wieder drücken, drücken, und minimieren wollen", sagte der Bewerber um den CDU-Vorsitz im ARD-"Morgenmagazin". Aber auch für die Empfänger habe er "kein Verständnis, die sagen, was wir mit dem Geld machen, da wollen wir nicht, dass irgendeiner reinredet". Es sei legitim zu verlangen, dass bereitgestellte EU-Mittel für Reformen von Wirtschaft und Infrastruktur verwendet würden.

Montagmorgen: Sondergipfel wird auf den Nachmittag vertagt

Nach deutlichen Fortschritten auf dem Weg zu einem Corona-Krisen-Paket wird der EU-Sondergipfel in Brüssel nochmals verlängert. EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte nach Angaben von Diplomaten am Montagmorgen einen neuen Verhandlungsvorschlag an, wie die dpa berichtet. Dieser werde darauf basieren, den Anteil der Zuschüsse im Corona-Rettungsprogramm auf 390 Milliarden Euro zu senken. Ursprünglich sollten es einmal 500 Milliarden sein. Der Kompromiss sei aber noch nicht völlig unter Dach und Fach, hieß es.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte deuteten Fortschritte bei den Verhandlungen an. Rutte sagte in Brüssel: "Manchmal sah es gestern Abend nicht gut aus, aber ich habe das Gefühl, dass wir im Großen und Ganzen Fortschritte machen." Zugleich warnte er aber, dass ein Scheitern immer noch möglich sei. Kurz twitterte: "Harte Verhandlungen sind gerade zu Ende gegangen, wir können mit dem heutigen Ergebnis sehr zufrieden sein. Am Nachmittag geht es weiter"

Nach Angaben weiterer Diplomaten war unter den "Sparsamen" Gesprächsbereitschaft bei der Frage des Umfangs an Zuschüssen zu erkennen. Es zeichne sich ein Kompromiss ab, der bei 375 Milliarden Euro an Zuschüssen liege, sagte ein Diplomat. Schließlich wurde die Zahl von 390 Milliarden Euro genannt, auf die Michel seinen neuen, umfassenden Kompromissvorschlag nun gründen will.

Auch in anderen Punkten seien starke Annäherungen erreicht worden, hieß es weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollten nach Angaben von Diplomaten aber nicht unter eine Summe von 400 Milliarden Euro gehen. 22 der 27 Staaten seien bereit, diese Summe mitzutragen. Ursprünglich lautete der Vorschlag für das Konjunktur- und Investitionsprogramm: ein Gesamtumfang von 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden an Zuschüssen, die die Empfänger nicht zurückzahlen müssen.

Kurz vor Mitternacht hatte sich das Plenum zu Einzelberatungen zurückgezogen. Die ursprünglich auf 45 Minuten angesetzte Pause des Plenums aller Staaten dehnte sich Stunde um Stunde bis in den frühen Morgen aus.

Gegen 5.30 Uhr kamen die Regierungschefs noch einmal im Plenum zusammen, kurz darauf wurde der Gipfel bis 16 Uhr unterbrochen, wie der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter mitteilte. Die Verhandlungsteilnehmer können die Pause nun nutzen, um einige Stunden Schlaf zu finden und um weiter in Einzel- oder Gruppengesprächen an einer Lösung zu arbeiten.

Die Debatte wird nach Ansicht des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn von "Kleinkrämergeist" bestimmt. Wenn diese Haltung 1989 dominiert hätte, wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht möglich gewesen, sagte Asselborn im Deutschlandfunk. Empört äußerte sich der luxemburgische Außenminister über die "Frugalisten", wie Asselborn die "Sparsamen" nannte. Diese seien überhaupt nicht sparsam, wenn es um eigene Belange gehe.

In der Nacht zu Montag: Die "Sparsamen" blockieren

Aus der Delegation eines großen EU-Staates hieß es um kurz nach Mitternacht, die Gespräche seien noch immer sehr schwierig, weil die "Sparsamen" weiter blockierten. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz höre nicht zu und kümmere sich lieber um Medienarbeit. Zudem instrumentalisiere Kurz zusammen mit den Niederlanden das Thema Rechtsstaatlichkeit, um zu blockieren. Der französische Präsident Emmanuel Macron habe mit Unterstützung von Merkel schließlich kräftig auf den Tisch gehauen, hieß es. Es gebe nun weiter bilaterale Gespräche.

Sonntagabend: Michel - "Mission Impossible" meistern

EU-Ratspräsident Charles Michel hat mit einem verzweifelt wirkenden Appell versucht, den Brüsseler Sondergipfel zu den geplanten Corona-Hilfen vor einem Scheitern zu bewahren. In einer Ansprache bei dem Abendessen der Staats- und Regierungschef verwies der Belgier auf die zahlreichen Kompromissangebote und Zugeständnisse, die er seit dem Beginn des Treffens am Freitag gemacht hatte. Zudem betonte er mehrfach, dass er allen Gipfelteilnehmern immer mit größtem Respekt zugehört habe.

Als Grund für eine notwendige Einigung nannte er laut Redemanuskript die beispiellose Krise, mit der die EU wegen der Corona-Pandemie konfrontiert sei, aber auch das zu erwartende negative Medien-Echo im Fall eines Scheiterns des Gipfels. Zum Schluss seines Beitrags sagte Michel laut Redetext: "Mein Wunsch ist es, dass wir eine Einigung erzielen, und dass die FT ( Financial Times) und andere Zeitungen morgen titeln, dass die EU erfolgreich eine 'Mission Impossible' gemeistert hat."

Sonntagabend: Die "Sparsamen" bleiben hart

Unterdessen geht beim festgefahrenen EU-Gipfel das Feilschen weiter. Die "sparsamen Vier" haben ein neues Angebot vorgelegt, das den Umfang des Plans und die Summe der Zuschüsse reduziert. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung und Aussagen von Diplomaten soll demnach das Gesamtvolumen um 50 Milliarden auf 700 Milliarden Euro gekürzt werden. Die Hälfte davon - also 350 Milliarden Euro - soll als Zuschüsse vergeben werden. Dies werde als das "letzte Angebot" der sogenannten "sparsamen" Staaten Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich bezeichnet, sagte ein Diplomat der Nachrichtenagentur dpa.

Ursprünglich war vorgesehen, 500 Milliarden Euro als Zuschüsse zu vergeben. Dagegen wehren sich die vier Staaten jedoch heftig. Fraglich ist, ob den südlichen Ländern Spanien, Italien und Portugal sowie einigen östlichen EU-Staaten 350 Milliarden Euro Zuschüsse ausreichen werden. Als denkbar gilt, dass man sich am Ende auf eine Summe zwischen 375 und 400 Milliarden Euro einigt - und die sogenannten "Sparsamen" nochmals eine Erhöhung ihres Rabatts erhalten.

Später am Abend unterbreitete EU-Ratspräsident Charles Michel nach Angaben von Diplomaten einen neuen Vorschlag. Demnach sollte die Summe der Zuschüsse aus dem Corona-Krisenprogramm bei 400 Milliarden Euro liegen. Die Gruppe der "Sparsamen" hätten den Vorschlag jedoch abgelehnt.

Michels Vorschlag umfasste den Angaben zufolge Lösungsansätze zum Streit über die Kontrolle der Auszahlung von Geldern, ein Angebot für Rabatte und Kompensation für Bauern in Österreich, einen Schlüssel für die Verteilung der Krisenhilfen und für die Koppelung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit.

Wie ein Ausweg aus der Sackgasse aussehen könnte, blieb zunächst offen. Die Staats- und Regierungschefs berieten am Sonntagabend in großer Runde beim Abendessen darüber.

Sonntagmittag: Kritik an den "sparsamen Vier" wird lauter

Portugals Ministerpräsident António Costa warnt vor einem Scheitern des EU-Gipfels und gibt Ländern wie den Niederlanden und Österreich dafür die Schuld. Der Widerstand der Niederlande, von Österreich, Schweden und Dänemark sei "nicht mehr akzeptabel". Es sei schwierig, die Argumente derer zu verstehen, die eine Einigung ablehnen, sagte er mit Blick auf die "sparsamen Vier". Ein Scheitern wäre eine "sehr schlechte Nachricht für Europa ... und alle Europäer, die an die EU und ihre Fähigkeit glauben, in einer außergewöhnlichen Krise robust und schnell zu reagieren", sagte Costa.

Auch Ungarns Ministerpräsident Orbán wurde deutlich: "Ich mag keine gegenseitigen Schuldzuweisungen, aber der Niederländer ist der Verantwortliche für das ganze Chaos." Orbán strebt einen Kompromiss unter allen Umständen an: "Wir sind uns bewusst, dass wir eine Einigung brauchen, wir verhandeln unter dem Druck, dass eine Einigung ein Muss ist", sagte der Regierungschef.

Unterdessen haben sich in Brüssel die Regierungschefs der Hardliner-Staaten im Streit um den Corona-Aufbaufonds zusammengesetzt. Zu den "sparsamen Vier" ist mittlerweile auch Finnland hinzugekommen. Die fünf Regierungschefs beraten nun, wo sie Kompromisse machen wollen. Derweil wurde eine eigentlich für zwölf Uhr angesetzte Sitzung aller 27 Staats- und Regierungschefs auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Vorgespräche dauerten an, hieß es von Diplomaten.

Sonntagvormittag: Macron hofft weiter auf Einigung

Frankreichs Präsident Macron glaubt noch an eine Lösung im Streit um das milliardenschwere Corona-Hilfspaket auf dem EU-Sondergipfel. In den kommenden Stunden müssten bei Streitthemen wie Rechtsstaatlichkeit die richtigen Kompromisse gefunden werden, sagte Macron am Vormittag. "Ich denke, das ist noch möglich, aber es ist gefährdet", betonte er.

Der Ton der Auseinandersetzung allerdings wird rauer: Die französische Europa-Abgeordnete und frühere Europaministerin Nathalie Loiseau wirft den Niederlanden Egoismus vor. "Rutte verteidigt seine Euros, Merkel und Macron verteidigen Europa", twitterte sie. Man werde sich jetzt verstärkt um die Blockierer kümmern. Loiseau preist dagegen den "Elan der Solidarität" und die Kraft der deutsch-französischen Allianz.

Kanzlerin Merkel und Macron hatten die anderen 25 EU-Regierungen vor dem dritten Verhandlungstag zu Kompromissen aufgerufen. "Wir brauchen die Einheit", sagte Macron und verwies darauf, dass Europa durch die Corona-Pandemie in einer unvergleichbaren Krise stecke.

Sonntagmorgen: Merkel und Macron beraten mit Ratspräsident Michel

Über den Verlauf des dritten Gipfeltages ist noch wenig bekannt. Um 9.30 Uhr sollen sich Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron erneut mit Charles Michel zu Beratungen treffen. Der EU-Ratspräsident und sein Team haben ebenfalls versucht, Kompromisslinien auszuloten. Es wird erwartet, dass Michel - ähnlich wie am Samstag - ein neues Zahlenwerk vorlegen wird, das die neuen Forderungen der diversen Staaten ausbalanciert.

Merkel sagte am Sonntagmorgen, dass sie auch ein Scheitern des EU-Gipfels für möglich halte: "Es kann auch sein, dass es heute zu keinem Ergebnis kommt." Entscheidende Themen wie der Aufbaufonds oder das Knüpfen von EU-Zahlungen an Rechtsstaatsprinzipien seien "jetzt gut aufgearbeitet". Es gebe viel guten Willen, zu einer Einigung zu kommen, sagte sie. Aber es gebe eben auch eine Vielzahl von zu lösenden Problemen.

Bereits am Samstag hatten sich die Kanzlerin und Frankreichs Präsident mit Michel getroffen, bevor weitere Staats- und Regierungschefs hinzugeholt wurden, die ihre Bereitschaft signalisierten, weiter zu verhandeln. Der Druck ist groß, aus mehreren Gründen: Viele Bürger und Firmen hoffen auf Hilfe und wollen Planungssicherheit. Die EU will eigentlich dem Rest der Welt zeigen, dass sie in der Krise geschlossen agieren kann - und die Finanzmärkte haben schon eingepreist, dass es ein Corona-Hilfspaket geben wird, und dass dieses 750 Milliarden Euro umfasst.

Samstagnacht: Merkel und Macron beenden Treffen mit Rutte

Nach dem Abendessen wird in Brüssel weiterverhandelt. Merkel und Macron, die viele Gespräche gemeinsam führen, treffen sich mit dem Niederländer Mark Rutte, dem Wortführer der "sparsamen Vier", und den Regierungschefs aus Österreich, Dänemark und Schweden. Deren Ziel: Die Zuschüsse, die von den Empfängerländern nicht zurückgezahlt werden müssen, sollen von aktuell 450 Milliarden Euro deutlich gestutzt werden. Als Forderung der "Sparsamen" nennt die Financial Times eine Größenordnung von unter 200 Milliarden. Als Teil der Gruppe gilt mittlerweile auch Finnland.

Eine solche "Verzwergung", vor der Merkel im Vorfeld warnte, lehnen die Kanzlerin und Macron ebenso ab wie etwa Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland. Laut übereinstimmenden Medienberichten gilt 400 Milliarden Euro als Untergrenze. Nach mehreren Versuchen, einen Kompromiss zu finden, beendeten Merkel und Macron das Treffen. "Sie gingen schlecht gelaunt weg", sagte Rutte anschließend vor Journalisten. Er halte einen Kompromiss weiter für möglich, aber "große Fragen" müssten noch geklärt werden.

Samstagnacht: Der Gipfel geht in die Verlängerung

Gelingt es der Europäischen Union, sich auf das größte Konjunkturprogramm in ihrer Geschichte zu einigen? Das Treffen von Merkel und den anderen Staats- und Regierungschefs in Brüssel wurde am späten Samstagabend mehr als 36 Stunden nach dem Gipfel-Beginn erneut unterbrochen. Es soll am Sonntagmittag fortgesetzt werden, wie ein Sprecher von Michel auf Twitter mitteilte.

Samstagabend: Abendessen und Andeutungen auf Verlängerung

Die 27 EU-Staats- und Regierungschef haben sich zum Abendessen wieder in der großen Runde versammelt. EU-Ratspräsident Michel will die Ergebnisse der zahlreichen bilateralen Gespräche und Gruppenberatungen des Tages zusammenfassen und mögliche Kompromisslinien erläutern. Dann dürfte sich nach Einschätzung von EU-Diplomaten entscheiden, ob weitere Beratungen oder eventuell eine Vertagung auf Sonntagmorgen als sinnvoll angesehen werden.

Samstagmittag: Fritten-Diplomatie

Von wegen nur üppige Arbeitsessen auf dem EU-Gipfel in Brüssel: Belgiens Premierministerin Sophie Wilmès und Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel haben mit einer Tüte Pommes vorlieb genommen. "Ein schnelles Mittagessen während der Arbeitsbesprechungen auf dem EU-Gipfel", schreibt Wilmès auf Twitter zu einem Foto, das sie und Bettel mit einer Tüte Pommes vor dem Restaurant Maison Antoine, einer Brüsseler Institution, zeigt. Sie habe andalusische Soße genommen, Bettel die Samurai-Soße. Später stießen auch Maltas Regierungschef Robert Abela und Estlands Ministerpräsident Jüri Ratas dazu. Die Pommes von Maison Antoine genießen nicht nur bei Einheimischen einen legendären Ruf - 2016 legte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel einmal eine Pommespause in dem Lokal ein.

Samstagmittag: Beratungen in großer Runde werden unterbrochen

Ratspräsident Michel beendet die Beratungsrunde aller Gipfelteilnehmer. Nach dem Meinungsaustausch über seinen Kompromissvorschlag stünden nun wieder Einzelkonsultationen an, um einer Einigung näherzukommen, teilt sein Sprecher auf Twitter mit.

Samstag gegen elf Uhr: Kompromissvorschlag verschickt

Seinen neuen Vorschlag lässt Ratschef Charles Michel den Staats- und Regierungschefs am Samstag gegen elf Uhr zukommen. Und er bringt damit Bewegung in den völlig verfahrenen Streit. Michel geht vor allem auf die Niederlande zu, die darauf positiv reagierten. Auch andere Staaten nehmen den Vorschlag nach Angaben von Diplomaten wohlwollend auf. Ein drohendes Scheitern des Treffens scheint damit vorerst abgewendet. Der Vorschlag wird zuerst in Vorgesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen wichtigen Staaten beraten und dann am Samstagvormittag in großer Runde vorgetragen. Auch bei Michels geändertem Vorschlag bliebe es bei 750 Milliarden Euro Hilfsgeldern. Doch würden nicht 500 Milliarden, sondern nur 450 Milliarden Euro als Zuschuss an EU-Staaten vergeben und dafür 300 Milliarden Euro statt 250 Milliarden als Kredit. Eine Analyse von den SZ-Brüsselkorrespondenten zu dem Kompromissvorschlag lesen Sie hier.

Samstagvormittag: Es wird weiterverhandelt

Nach einer Unterbrechung in der Nacht haben die EU-Staats- und Regierungschefs die schwierigen Verhandlungen über einen Rekordhaushalt für die nächsten sieben Jahre am Samstagvormittag wieder aufgenommen. Wie der erste Gipfeltag lief, können Sie hier nachlesen:

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