Handelsabkommen mit London:"Jeder hat seine roten Linien"

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Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: REUTERS)

Kanzlerin Merkel fordert Kompromissbereitschaft auf Seiten der Briten - aber auch der EU. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie bekennen sich alle Mitgliedstaaten zu besserer Koordination.

Kurz vor der Entscheidung der britischen Regierung über eine Fortsetzung der Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der EU fordert Kanzlerin Angela Merkel Kompromisse. "Jeder hat seine roten Linien", sagte Merkel am Donnerstagabend nach dem Ende des ersten Tages des EU-Gipfels in Brüssel. "Wir haben Großbritannien gebeten, im Sinne eines Abkommens weiter kompromissbereit zu sein. Das schließt ein, dass auch wir Kompromisse machen müssen." Damit wählte die Kanzlerin eine weichere Tonlage als etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Die Teilnehmer des EU-Gipfels erklärten sich bereit, weiter über ein Handelsabkommen verhandeln zu wollen. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen aber auch, sich verstärkt auf ein No-Deal-Szenario vorzubereiten. Macron hatte betont, dass sein Land auch dazu bereit sei.

Der britische Premierminister Boris Johnson will an diesem Freitag entscheiden, ob das Vereinigte Königreich weiterverhandelt. Er hatte der EU ursprünglich eine Frist bis zum 15. Oktober für eine Einigung gesetzt. Großbritanniens Außenminister Dominic Raab erklärte am Morgen, ein Freihandelsabkommen mit der EU sei noch möglich. Ein Deal müsse gefunden werden, sagte Raab am Freitag der BBC. Es gebe eigentlich nur zwei strittige Punkte, ansonsten seien sich beide Seiten nahe. "Ein Deal sollte also möglich sein, das setzt aber guten Willen auf beiden Seiten voraus."

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Auch der EU-Unterhändler Michel Barnier erklärte, er sehe noch Chancen auf eine Einigung. Der EU-Gipfel gab ihm das Mandat für Gespräche über die strittigen Fischereirechte, den Streitschlichtungsmechanismus und den Zugang zum britischen Markt und zum EU-Binnenmarkt.

Diskussion über Klima und Corona-Lage

Am ersten Gipfeltag hatten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zudem über die Klimaziele bis 2030 sowie die Corona-Lage ausgetauscht. In der Klimadebatte habe es im Kreis der EU-Regierungen "eine hohe Bereitschaft" gegeben, auf die Vorschläge der EU-Kommission einzugehen, den Ausstoß an Treibhausgaben bis 2030 auf 55 Prozent gegenüber 1990 zu vermindern, sagte Merkel. Entscheidungen sollen hier aber erst im Dezember fallen.

Angesichts dramatisch steigender Corona-Infektionszahlen in ganz Europa haben die Staats- und Regierungschefs der EU eine intensivere Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung vereinbart. In einer Erklärung nach dem ersten Tag des Gipfels sprachen sie sich in der Nacht zu Freitag für eine bessere Koordination bei den Quarantänevorschriften, der grenzüberschreitenden Kontaktverfolgung sowie bei Teststrategien, dem Aufbau von Impfkapazitäten und Reisebeschränkungen aus. Die derzeitige Situation sei "beispiellos" und gebe "Anlass zu ernsthafter Besorgnis".

"Wir haben vereinbart, uns regelmäßig über Videokonferenzen auszutauschen", sagte Merkel. Sie betonte nach den Beratungen, es gehe darum, ein ungebremstes Wachstum der Infektionszahlen zu verhindern. Deshalb werde es künftig regelmäßigere Konsultationen auch über Video geben. "Die Frage, wie wir aus dieser Pandemie herauskommen, die entscheidet über die Gesundheit von ganz vielen Menschen. Die entscheidet über die Frage: Wie viele Menschen müssen sterben? Und sie entscheidet auch über unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit", betonte Merkel.

Die EU-Kommission hat bisher vergeblich darauf gedrängt, dass sich die 27 EU-Regierungen auf einheitlichere Test- und Quarantäne-Regeln verständigen.

Der erste Gipfeltag war vom Corona-Thema überschattet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Gipfel kurz nach dessen Beginn verlassen müssen, als sie erfuhr, dass es in ihrem Büro einen Corona-Fall gegeben hatte. Sie sei negativ getestet worden, teilte sie auf Twitter mit, verlasse die Beratungen aber, um sich in häusliche Isolation zu begeben.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki war nicht nach Brüssel gereist, sondern hatte sich ebenfalls in häusliche Isolation begeben, weil er Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte. Er wird auf dem Gipfel vom tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš vertreten. Am Freitag soll das Treffen mit einer Debatte über die Beziehungen zu Afrika fortgesetzt werden. Griechenland hat zudem beantragt, erneut "das weiterhin provokante und aggressive Verhalten" der Türkei zu thematisieren.

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