EU-Gipfel:Bühne frei für Madame Non

Lesezeit: 3 min

Von der Klima-Kanzlerin zum Klima-Fossil: Angela Merkel macht gute Miene zur Kritik an Deutschlands Haltung auf dem EU-Gipfel.

Cornelia Bolesch, Brüssel

Der französische Gastgeber lässt sich nicht lumpen. Er hat seinen besten Koch mitgebracht, um seine Gäste, die aus allen Ecken Europas zu einem anstrengenden Arbeits-Gipfel angereist waren, ein bisschen zu verwöhnen. Neben all dem Streit um Macht und Geld ist man doch wie eine große Familie. In so einer Stimmung lockern sich die Zungen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Foto: Reuters)

Da spricht der Gast aus Italien plötzlich aus, was sich vermutlich viele in der Runde so kurz vor Weihnachten auch insgeheim wünschen, aber nicht zu sagen trauen: "Wollen wir das ganze Klimapaket nicht einfach verschieben?", fragt Silvio Berlusconi treuherzig. Da weist ihn, so jedenfalls berichten Ohrenzeugen, die Kanzlerin mit zwei kurzen Worten zurecht: "Nein, Silvio", sagt Angela Merkel. Worauf der kleinlaut antwortet: "Na gut, aber dann will ich ein paar Ausnahmen für Italien."

Ein paar "Ausnahmen" für Deutschland, das will auch Merkel auf diesem Gipfel, der doch das Weltklima retten soll. Sie kämpft in Brüssel dafür, die deutsche Zement - , Chemie- und Stahlindustrie wegen der Finanzkrise weniger stark zu belasten als es die EU-Kommission vorgesehen hat. "Sonst schmiert uns die Wirtschaft ab", heißt es in der deutschen Delegation, und das ausgerechnet im Wahljahr 2009. Die Not-Strategie wird ihr in der Öffentlichkeit als radikaler Kurswechsel angekreidet.

Aus der Klima-Kanzlerin ist urplötzlich das Klima-Fossil geworden. In Polen, wo an diesem Wochenende die UN-Klimaschutzkonferenz zu Ende geht, erscheint eine Sonderausgabe der Gazeta Wyborcza mit ganzseitigen Anzeigen: "Wird Merkel ihre eigene Bevölkerung ignorieren und auf die dunkle Seite wechseln?", fragt darin eine Umweltorganisation.

Merkel als knauserige Hausfrau

Zu allem Überfluss wird in anderen europäischen Blättern auch noch das Bild einer Kanzlerin gezeichnet, die als knauserige Hausfrau zum Gipfel fahre und kein weiteres Geld in ein EU-Konjunkturprogramm stecken wolle.

Angela Merkel ist auf den ersten Blick nicht anzumerken, wie nahe ihr diese Kritik geht. Auf dem Gipfel schnürt sie herum wie immer. Ihre samtrote Jacke leuchtet von vielen Monitoren. Sie lächelt, führt zahlreiche Gespräche. Dass Deutschland "isoliert" sei in Europa, wie es in Medienberichten steht - davon ist im Ratsgebäude nichts zu merken. Die Kanzlerin hält enge Kontakte zu den Mittel-und Osteuropäern. Sie hilft, den Laden zusammenzuhalten.

Das ist in den Verhandlungen, die mal zu zweit, zu dritt oder in großer Runde stattfinden, immer wieder nötig. Einige Regierungschefs haben vor der technischen Fachsprache der Klima-Vorlage längst kapituliert. Der Ungar Ferenc Gyurcsany, dessen Land pleite ist, stellt plötzlich sogar die festen Klima-Ziele der EU in Frage.

Die Kanzlerin dagegen gehört zu den wenigen Regierungschefs, die auch über das Kleingedruckte in den Verhandlungspapieren reden können, ohne ins Stottern zu geraten. Auch in diese Materie hat sich die Physikerin mit ihrem analytischen Verstand gut eingearbeitet. Den Gipfel-Beschluss zum Klimaschutz nennt sie ein "durchgearbeitetes Projekt, nicht nur eine Zielvorgabe". Das Versprechen der EU, im Jahr 2020 zwanzig Prozent weniger CO2 als im Jahr 1990 auszustoßen, sei trotz der Zugeständnisse an die Industrie nicht gefährdet.

Kein kompliziertes Detail in dieser Materie scheint ihr fremd. Umso weniger kommt sie mit der negativen Reaktion der Medien zurecht. "Tja, ich bin verwundert", sagt sie auf der Pressekonferenz, als der Gipfel zu Ende ist. Da kriegt sie alle alten Vorwürfe noch einmal aufgetischt: Wieso Deutschland immer "nationaler" werde und sich nicht mehr für Europa interessiere, will ein französischer Journalist wissen.

Merkel antwortet höflich, zu Europa gebe es "keine Alternative", das habe sie immer gesagt und sage es auch jetzt. Ein anderer fragt, ob die Mediengeschichte über sie als "Madame Non" denn nur aufgebauscht sei. Da lächelt sie schon wieder und versichert: "Heute ist yes auf der Tagesordnung, vielmehr oui".

Merkel muss sich in Brüssel nicht alleine verteidigen. Der Kommissionspräsident springt ihr bei. Deutschland habe wie jedes andere Land auch das Recht, "seine nationalen Interessen zu verteidigen", bekräftigt José Manuel Barroso. Ganz uneigennützig tut er es nicht, schließlich braucht er Merkels Stimme für seine Wiederwahl. "Die Deutschen zahlen am meisten in den EU-Haushalt ein. Dafür bin ich sehr dankbar". Merkel lobt ihrerseits Barroso.

So hakt die Kanzlerin den Gipfel, der ihr Scheitern dokumentieren sollte, am Ende als Erfolg ab. Gleich vier Attribute fallen ihr ein: "Gut, erfolgreich, harmonisch, interessant". Nur einmal wird das Bild getrübt. Aber das hat nichts mit der EU, sondern mit dem Klima in Deutschland zu tun.

Merkels Nachbar, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, nutzt die Brüsseler Bühne als Wahlkampf-Forum. Er redet doppelt so lang wie die Kanzlerin, über "Modernisierung in der Krise" und über die von ihm vorgeschlagenen "Beschäftigungsimpulse". Da sacken Merkels Mundwinkel deutlich nach unten.

© SZ vom 13.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: