Süddeutsche Zeitung

Neues Spitzenpersonal für die EU:Ein Sondergipfel in zehn Tagen soll die Lösung bringen

  • Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag können sich die Staats- und Regierungschef noch nicht auf die Verteilung der Brüsseler Spitzenposten einigen.
  • Die Chancen von EVP-Spitzenkandiat Weber, Nachfolger von Kommissionspräsident Juncker zu werden, sind wohl geringer geworden.
  • Es kursieren - neben denen der offiziellen Spitzenkandidaten Weber, Timmermans und Vestager - mittlerweile weitere Namen, die der EVP zuzuordnen sind.
  • Eine Entscheidung soll nun auf einem Sondergipfel am 30. Juni fallen. Gewählt wird der neue EU-Kommissionspräsident allerdings vom Europaparlament.

Von Karoline Meta Beisel, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist kurz nach zwei Uhr morgens, als die Bundeskanzlerin die Sache auf den Punkt bringt. Mehr als vier Stunden haben die Staats- und Regierungschefs über die Verteilung der künftigen EU-Spitzenposten debattiert. Nun steht Angela Merkel (CDU) im deutschen Pressesaal des EU-Ratsgebäudes und sagt: "Es ist ein Befund, der uns natürlich vor Herausforderungen stellt, das ist vollkommen klar." Denn es gibt keine Mehrheit für niemanden, zumindest nicht für einen der drei offiziellen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Also weder für Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten Frans Timmermans noch für die liberale Margrethe Vestager.

Deswegen, so erläutert die Bundeskanzlerin, wird es am Sonntag, den 30. Juni einen Sondergipfel geben, bei dem das Paket für die zu vergebenden Posten geschnürt werden soll. Bis dahin soll vor allem EU-Ratspräsident Donald Tusk Konsultationen führen - sowohl mit den Fraktionschefs des Europaparlaments, das den Nachfolger von Jean-Claude Juncker wählen muss und am 2. Juli zur konstituierenden Sitzung zusammenkommt, als auch mit den Vertretern der politischen Parteien. Denn für Merkel ist klar: "Wir wollen auf gar keinen Fall eine Krise mit dem Parlament." Es müsse vermieden werden, so die Kanzlerin, dass "das, was wir vorschlagen, nicht akzeptiert wird. Das wäre nicht gut für die Arbeit der Europäischen Union in den nächsten fünf Jahren."

Merkel hat sich öffentlich klar hinter Weber gestellt, und sie ist um zwei Uhr morgens nicht bereit, den CSU-Vize offiziell aus dem Rennen zu nehmen. Es habe im Rat keine Abstimmungen gegeben - und sie werde "erst am Ende des Prozesses" sagen können, ob ihre EVP Weber fallen lassen müsse und das Spitzenkandidaten-Prinzip beerdigen werde. Die Lage im Europaparlament sei verfahren, referiert Merkel: Dort haben die Fraktionschefs von RE - Renew Europe, der neuen liberalen Gemeinschaft - und Sozialisten gesagt, sie könnten Weber nicht unterstützen, die EVP wiederum sagt es andersherum. Merkels Fazit: "Dadurch sind auch keine Mehrheiten erkennbar."

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigt sich nach dem Gipfeltreffen nicht gerade überrascht. Mit einer gewissen Zufriedenheit stellt er allerdings fest, dass es keine Mehrheit für Weber gebe. Macron macht in der Nacht zum Freitag erneut deutlich, dass für ihn vor allem Kompetenz und politische Erfahrung als Kriterien gelten. Und genau diese spricht der Franzose dem CSU-Mann ab. Es sei nun an Tusk, Namen bis zum Sondergipfel am 30. Juni vorzuschlagen.

Fünf Top-Jobs sind zu vergeben

Die Lage ist kompliziert. Denn es geht nicht nur um die Nachfolge von Juncker, sondern noch um vier weitere Spitzenposten: die Präsidenten des Europäischen Rats, des Europaparlaments, der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Posten des EU-Außenbeauftragten. Geschnürt werden soll ein ausgewogenes Personalpaket mit Männern und Frauen, verschiedenen Parteien und europäischen Regionen. Bei der Kür des Kommissionspräsidenten gilt: Der Rat der Staats- und Regierungschefs hat das Nominierungsrecht, doch das Parlament muss den Kommissionschef wählen. In beiden Gremien sind also Mehrheiten nötig.

Wie es aussieht, sind die Chancen von Weber nach dem Gipfel geringer geworden. Er ist zwar noch im Rennen, aber es ist ihm nicht gelungen, eine Mehrheit im Europäischen Parlament hinter sich zu versammeln. Der CSU-Mann hatte mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen über ein Arbeitsprogramm für die nächste EU-Kommission verhandelt, doch die Gespräche dauern an. Allerdings hatten die Sozialdemokraten und Liberalen ihm am Donnerstag vor dem Gipfel klargemacht, dass sie ihn nicht unterstützen - was natürlich sofort an die Medien durchsickerte. Andererseits ist auch die EVP nicht bereit, einen der anderen Kandidaten mitzuwählen.

Noch-Amtsinhaber Juncker nimmt die schwierige Suche nach einem Nachfolger mit Humor. "Ich habe mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen können, dass es gar nicht so einfach ist, mich zu ersetzen", scherzt der Luxemburger in der Brüsseler Nacht. Und fügt hinzu: "Ich bin überzeugt, dass der laufende Prozess der Spitzenkandidaten nicht am Ende ist."

Der niederländische Premier Mark Rutte, der zum Verhandlungsteam der Liberalen gehört, wollte beim Verlassen des Europaviertels nicht sagen, dass die Chancen seines Landsmanns Frans Timmermans auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker schlechter geworden seien. Auch er nannte die drei Namen Weber, Timmermans und Vestager und sprach von einem "Halbzeitstand".

Merkel betont ihrerseits noch, dass es "intensive Diskussionen, aber auch sehr freundschaftliche Diskussionen" gewesen seien. "Wir alle wissen, dass wir eine gemeinsame Lösung finden wollen." In Richtung des französischen Präsidenten sendet sie ein kleines Signal für eine Kompromisslösung: Beim Spitzenkandidatenprinzip sei man erst "auf halbem Wege", sagt die Kanzlerin und schlägt die Einführung von transnationalen Listen vor, wie sie Macron seit Langem fordert. Dann hätten wir "ein transparentes Verfahren".

In den kommenden Tagen, und vor allem beim G-20-Gipfel in Japan, der direkt vor dem Sondergipfel stattfindet und an dem neben Merkel und Macron auch Tusk, Juncker und der Niederländer Rutte sowie der Spanier Pedro Sánchez teilnehmen, gibt es genug Zeit, eine solche Lösung zu diskutieren.

Auch wenn niemand offen darüber sprechen mag, werden bereits allerlei andere Namen als jene der drei offiziellen Kandidaten ventiliert. Von Irlands Premier Leo Varadkar ist die Rede, ebenso von der Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, oder Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenković. Politisch sind alle drei der Europäischen Volkspartei zuzuordnen, die trotz Verlusten bei der Europawahl noch immer die größte Fraktion im Europaparlament stellt.

Denn eines scheint nach dieser Nacht in Brüssel klar: Eher entscheidet sich die EVP für einen der ihren, als das Spitzenkandidaten-Prinzip um jeden Preis zu verteidigen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4493449
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/saul/mane/cat
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.