Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Mehr Gas aus den USA und Kopfnoten aus Kiew

Auf dem EU-Gipfel redet der ukrainische Präsident Selenskij den Politikern ins Gewissen. Der amerikanische Gast Joe Biden hat dafür ein Geschenk mitgebracht. Und gestritten wird auch - über Sanktionen und Energiepreise.

Von Björn Finke, Brüssel

Dieser EU-Gipfel ist etwas Besonderes, und das zeigt sich auch auf den abgesperrten Straßen vor dem Brüsseler Ratsgebäude. Dort parkt am Donnerstagabend eine beeindruckende Kolonne schwarzer Autos: der Konvoi von Joe Biden. Er ist der erste US-Präsident, der an einem Spitzentreffen der EU physisch teilnimmt. Wobei Biden nicht den kompletten Abend bleibt; er kommt später und geht früher. Nach seinem Abschied redet dann der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij per Videoschaltung den versammelten 27 Staats- und Regierungschefs ins Gewissen.

Das Treffen ist der dritte Brüsseler Gipfel an diesem Tag, nach der Nato- und der G-7-Konferenz. Der EU-Gipfel wird aber deutlich länger dauern als die anderen beiden Veranstaltungen, denn er begann Donnerstagabend, endete nach siebeneinhalb Stunden um halb zwei und geht am Freitag weiter. Auf allen drei Gipfeln steht der Krieg in der Ukraine im Zentrum. Die EU-Spitzen wollen zudem am Freitag über die hohen Energiepreise debattieren - und darüber, was dagegen zu tun ist.

Passend dazu werden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Biden in der Residenz des US-Botschafters in Brüssel am Freitag "ein neues Kapitel in unserer Energiepartnerschaft präsentieren", wie die Deutsche vorab ankündigte. Konkret geht es um langfristige Lieferzusagen der Amerikaner für Flüssigerdgas, das mit Tankschiffen transportiert wird und die Abhängigkeit Europas von russischem Gas senken soll. Bidens Regierung will dafür mittelfristig die heimische Gasförderung mit der umstrittenen Fracking-Technik weiter ausbauen.

Schon am Donnerstagabend gelobten von der Leyen und Biden in einer gemeinsamen Erklärung, dass die EU und die USA zusammen schärfer gegen Schlupflöcher im Sanktionsgeflecht gegen Russland vorgehen wollen. Umfassende neue Strafpakete stehen zunächst wohl nicht an: Die Gipfel-Schlussfolgerungen zu dem Thema wurden im Vergleich zu vorherigen Entwürfen zwar verschärft, bleiben aber vage. Demnach steht die EU weiter bereit, "schnell zusätzliche abgestimmte, robuste Sanktionen gegen Russland und Belarus zu verhängen, um Russlands Fähigkeiten, den Krieg fortzuführen, wirksam zu untergraben".

Scholz warnt vor einem Energieembargo

Einige osteuropäische Regierungen verlangen ein Embargo auf Öl- und Gas-Importe aus Russland. Auf dem Gipfel sprach sich etwa Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dafür aus, wie es heißt. Die Forderung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, solche Lieferungen künftig in Rubel zu begleichen, hat die Debatte noch befeuert. Regierungen wie die deutsche, deren Wirtschaft stark auf russische Einfuhren angewiesen ist, lehnen so ein Einkaufsverbot jedoch ab.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte erst jüngst im Bundestag, dann wären "Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr". Auch Österreichs christdemokratischer Bundeskanzler Karl Nehammer sagte vor Beginn des Gipfels, mit ihm werde es "kein Gasembargo und kein Ölembargo gegenüber der Russischen Föderation geben", denn dies sei nicht nur für Österreich unrealistisch, sondern belaste zugleich andere Mitgliedstaaten wie Bulgarien, Tschechien, die Slowakei oder Ungarn. Nach dem ersten Gipfeltag äußerte sich Belgiens Premierminister Alexander De Croo ebenfalls skeptisch: "Sanktionen müssen Russland viel härter als Europa treffen", forderte er. Und ein Energieembargo würde der EU-Wirtschaft im Moment massiv schaden.

Der ukrainische Präsident Selenskij warb in seiner Videoansprache erneut dafür, dass sein Land schnell EU-Mitglied werden solle. Zudem verteilte er Kopfnoten: Er ging EU-Regierungen der Reihe nach durch und erklärte, wie stark deren Unterstützung für die Ukraine sei. Selenskij äußerte sich positiv über die meisten Länder; zu Deutschland sagte er freilich, dass die Regierung ein wenig spät komme mit ihrer Hilfe. Kritisch war er gegenüber Ungarn: "Du musst selbst entscheiden, wer du bist", sagte er in Richtung des autokratischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Selenskij greift damit dessen russlandfreundliche Haltung an.

Sollte die EU Gaspreise deckeln?

Der Gipfel vereinbarte, einen Solidaritätsfonds für die Ukraine aufzusetzen, der dem Land während des Kriegs und danach hilft. Die Vorbereitungen dafür sollten unverzüglich starten, heißt es in den Gipfel-Schlussfolgerungen. Zudem müsse eine internationale Geberkonferenz ausgerichtet werden.

Am Freitag geht es unter anderem mit einer Debatte über die hohen Energiepreise weiter. Einige Regierungen, etwa aus Spanien, Italien, Portugal und Belgien, würden gerne ändern, wie sich in der EU der Strompreis bildet, oder gleich Obergrenzen setzen. Andere, zum Beispiel die niederländische und die deutsche Regierung, raten von heftigen Markteingriffen ab.

Die Kommission schlug zudem in dieser Woche vor, dass interessierte Mitgliedstaaten künftig gemeinsam Gas ordern sollten - ganz ähnlich, wie die EU zusammen Covid-Vakzine bestellt hat. Aus der Bundesregierung heißt es aber bereits warnend, solch ein Modell würde nichts gegen das knappe Angebot bewirken. Einfache Lösungen sind einfach nicht in Sicht auf diesem Gipfel.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5554346
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kler
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.