Süddeutsche Zeitung

Europa und die USA:Bidens halbe Stunde

Für 30 Minuten nimmt der US-Präsident am EU-Videogipfel teil - und wirbt für eine enge Partnerschaft, um die Klimakrise zu bekämpfen und den Autokraten in Peking und Moskau entgegenzutreten.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Es waren zwei besondere Gesten. Normalerweise bleiben die Teilnehmer des Europäischen Rats, des Gremiums der Staats- und Regierungschefs der EU, strikt unter sich, wenn sie sich alle drei Monate treffen. Dass Ratspräsident Charles Michel nun US-Präsident Joe Biden in diese Runde eingeladen hat, zeigt, wie erleichtert die EU ist, dass ihr vier weitere Jahre mit Donald Trump erspart bleiben. Anders sehen dürften dies nur Viktor Orbán aus Ungarn und der Pole Mateusz Morawiecki. "Amerika ist zurück, und wir sind froh, dass Sie zurück sind", sagte Michel, als Biden am Donnerstagabend zur Videokonferenz hinzustieß.

Dass sich der mächtigste Mann der Welt eine halbe Stunde Zeit nahm, freute nicht nur die Bundeskanzlerin. Angela Merkel sprach von "einer Geste, die sehr, sehr wichtig war und bedeutet, dass wir wieder enger im Gespräch sind". Für sie war das erste Kennenlernen nicht nötig, denn Merkel hat Biden mehrfach getroffen und war schon dabei, als vor elf Jahren ebenfalls ein US-Präsident Gast im Europäischen Rat war: Barack Obama, Bidens damaliger Chef. Auf fast allen Fotos, die später publik wurden, sind von Helsinki bis Lissabon fröhliche Gesichter zu sehen. Das lag auch an den Botschaften aus Washington.

Die Demokratien müssten die Verkehrsregeln bestimmen

Biden, der laut Politico mehrmals von sich und "Angela" als "Veteranen" sprach, will mit den Europäern die Bedrohung des Klimawandels bekämpfen und die Folgen der Pandemie bewältigen. Als Ziel nannte er auch, Handelsstreitigkeiten beizulegen und dafür zu sorgen, dass "es Demokratien und keine Autokratien sind, die die Verkehrsregeln bestimmen", wie es das Weiße Haus später formulierte. Joe Biden forderte, die gemeinsamen Werte von Demokratie und Freiheit zu stärken.

In der Außenpolitik ging es vor allem um den Umgang mit Russland und China, bei dem die neue US-Regierung den Schulterschluss mit den Europäern sucht. Besorgt zeigte sich Biden über den Abbau der Demokratie in der Türkei, die sich seinem Eindruck nach Russland annähert. Als Nato-Mitglied haben die USA erheblichen Einfluss auf die Türkei, den Biden anders als Trump wieder zu nutzen gedenkt. Bis heute wartet Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf den ersten Anruf aus Washington. Präsident Bidens erste Europareise ist für Mitte Juni geplant, um am G-7-Treffen in England teilzunehmen. Als wahrscheinlich gilt, dass dies mit einem Nato-Gipfel verbunden wird - und dabei würden 21 der 27 Staats- und Regierungschefs der EU Biden wiedersehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5248547
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/rpr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.