EU-Gipfel:Änderungskündigung für die Dienstleistungs-Richtlinie

Grenzüberschreitende Dienstleistungen in Europa werden auch künftig nicht dem völlig freien Wettbewerb unterliegen. Die Richtlinie wird aber umfassend überarbeitet, damit sie sozialverträglicher wird. Außerdem billigten die Staats- und Regierungschefs einmütig die Lockerung des Stabilitätspakts für den Euro.

Grenzüberschreitende Dienstleistungen in Europa werden auch künftig nicht dem völlig freien Wettbewerb unterliegen.

Das machten führende Staats- und Regierungschefs zu Beginn des EU-Frühjahrsgipfels am Dienstag in Brüssel deutlich. Dort billigten sie am Abend einmütig die Einigung ihrer Finanzminister über mehr Flexibilität im Stabilitäts- und Wachstumspakt für den Euro.

Die noch von der alten EU-Kommission vorgelegte Richtlinie über grenzüberschreitende Dienstleistungen wird umfassend überarbeitet werden. Besonders strittig ist der Vorschlag, dass Firmen ihre Dienste in jedem EU-Land anbieten können, dabei aber nur die in ihrem Heimatland geltenden Vorschriften einhalten müssen. Gewerkschafter sehen darin die größte Gefahr für einen Sozialabbau.

Verheugen dämpft Befürchtungen

"Man kann nicht die niedrigsten Standards eines Landes nehmen und sie über die gesamte EU ausbreiten", sagte der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks, vor dem Gipfeltreffen.

Die Richtlinie soll nun sozialverträglicher gestaltet werden. EU-Industriekommissar Günter Verheugen betonte, es gehe darum, die Formulierungen so zu überarbeiten, "dass keiner mehr Zweifel äußern kann".

Beispiele wollte der Industriekommissar nicht nennen, dazu sei die die Materie zu heikel: "Es müssen da Juristen ran, die sicher stellen, dass die gewählten Wörter keinen doppelten Sinn haben."

Verheugen wies zugleich Berichte über negative Folgen der Richtlinie für den deutschen Arbeitsmarkt zurück: "Niemals war geplant, dass ein polnischer Altenpfleger in Deutschland zu polnischen Löhnen seine Dienste anbieten kann."

Juncker: Europäisches Sozialmodell muss erhalten bleiben

Weder EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso noch der luxemburgische Regierungschef und amtierende EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker äußerten sich jedoch zu Einzelheiten der angestrebten Veränderungen.

Nach der ersten Gipfelrunde sagte Barroso, um die europäische Wirtschaft in Schwung zu bringen, müssten die Dienstleistungsmärkte weiter geöffnet werden. Gleichzeitig sollten die Erwartungen und Sorgen der Menschen berücksichtigt werden.

Juncker betonte, das europäische Sozialmodell müsse auch in einem liberalisierten Dienstleistungsmarkt erhalten bleiben. "Der aktuelle Vorschlag entspricht dem nicht", stellte Juncker fest. Von einem vollständigen Rückzug des Entwurfs, wie sie der schwedische Ministerpräsident Göran Persson gefordert hatte, war jedoch nicht mehr die Rede.

Schröder warnt vor Lohn- und Sozialdumping

Bundeskanzler Gerhard Schröder und mehrere seiner Kollegen machten klar, dass der Gesetzentwurf, der noch von der alten EU-Kommission stammt, von Grund auf überarbeitet werden muss, um Sozial- und Lohndumping zu verhindern.

Vor allem Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hatten die Debatte über die Richtlinie ins Rollen gebracht. Der Bundeskanzler hatte die Pläne der Kommission zur Öffnung des Dienstleistungsmarktes strikt zurückgewiesen und als zu radikal verurteilt. Er befürchtete Lohn- und Sozialdumping sowie Nachteile für den deutschen Arbeitsmarkt.

Chirac fürchtet, dass das Gesetzesvorhaben zur Ablehnung der EU-Verfassung führen könnte. Darüber werden die Franzosen Ende Mai abstimmen.

Nach den Vorarbeiten der Finanzminister am vergangenen Sonntag einigten sich die Staats- und Regierungschefs problemlos auf Veränderungen des Stabilitätspakts. Bei der Beurteilung, ob und wie ein Land mit einem zu großen Haushaltsloch umgehen muss, sollen künftig besondere Situationen berücksichtigt werden.

EZB protestiert gegen Lockerung des Stabilitätspakts

Für Deutschland könnten die Kosten der Wiedervereinigung darunter fallen. Aber auch besondere Militärausgaben oder Leistungen der Entwicklungshilfe könnten geltend gemacht werden.

Auf der anderen Seite soll der Pakt die EU-Staaten künftig stärker dazu anhalten, in finanziell günstigen Zeiten ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sagte, der alte Pakt mit seinen rigiden Regeln habe nicht mehr gepasst. "Das Ziel war, das Wachstum wieder in den Mittelpunkt zu stellen." Frankreich bricht wie Deutschland seit 2002 den Stabilitätspakt.

Der einstimmige Beschluss des Gipfels fiel gegen den scharfen Protest der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank.

Bundesfinanzminister Hans Eichel sagte nach der Entscheidung, der Pakt sei "glaubwürdiger und vernünftiger als die bisherige Handhabung geworden". Die Zentralbanken befürchten hingegen eine Schwächung des Pakts und ungebremstes Schuldenmachen.

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