Nur zwanzig Prozent aller ausreisepflichtigen Asylbewerber verlassen derzeit die Europäische Union tatsächlich. Deshalb will die EU-Kommission die Regeln europaweit vereinheitlichen und verschärfen. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, Abschiebezentren außerhalb der EU einzurichten. Dies dürfte der umstrittenste Teil des Gesetzes sein, das der für Migrationsfragen zuständige Kommissar Magnus Brunner aus Österreich am Dienstagnachmittag vorgestellt hat.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Gesetzentwurf bereits am Sonntag als Teil der 100-Tage-Bilanz ihrer neuen Kommission vorgelegt, das zeigt die Dringlichkeit. Die mangelnde Quote an tatsächlichen Abschiebungen sei ein Grund dafür, dass das europäische Asylsystem bei Bürgerinnen und Bürgern Akzeptanz verloren habe, sagt Kommissar Brunner.
Lehnt ein Staat einen Asylantrag ab, sollen alle anderen diese Entscheidung übernehmen
Ein Kernstück der Reform ist die sogenannte „European Return Order“, ein europäischer Abschiebebescheid: Wenn ein Staat einen Asylantrag ablehnt, wird diese Entscheidung im Informationssystem des Schengen-Raums hinterlegt, und alle anderen Staaten können diese Entscheidung übernehmen. Nach einer gewissen Übergangszeit soll nach den Vorstellungen der Kommission daraus eine Pflicht werden. Jedenfalls will man so verhindern, dass ein Asylbewerber Anträge in mehreren Ländern stellen kann.
Verschärft werden die Pflichten der ausreisepflichtigen Migranten. Sie müssen unter Androhung von Strafen mit den Behörden zusammenarbeiten, an Beratungsgesprächen teilnehmen, Informationen über ihren Aufenthaltsort liefern. Kommen die Behörden zu dem Schluss, es bestehe Fluchtgefahr, können die Migranten bis zur Abschiebung bis zu 24 Monate lang in Haft genommen werden.
Spezielle Regeln sollen für Ausreisepflichtige gelten, die als mutmaßlich kriminell oder gewalttätig gelten. Entsprechende Sicherheitsüberprüfungen soll es künftig schon sehr früh im Abschiebeverfahren geben. Betroffene Personen können unbegrenzt inhaftiert werden bis zur zwangsweisen Abschiebung.
Generell sollen die neuen Regeln die Migranten dazu bewegen, freiwillig auszureisen. Wer zwangsweise außer Landes gebracht wurde, kann mit einem Einreiseverbot in die EU von bis zu zwanzig Jahren belegt werden.
Weder „Ruanda-Modell“ noch „Albanien-Modell“
Abschiebezentren („Return Hubs“) außerhalb der EU zu ermöglichen, ist eine Idee Ursula von der Leyens. Die Kommissionspräsidentin trug sie den Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel im Oktober vergangenen Jahres vor. In solchen Zentren könnten Menschen untergebracht werden, deren Asylantrag in Europa letztinstanzlich abgelehnt wurde. Sie müssten dort bleiben, bis sie in ihr Herkunftsland oder in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden können. Solche Zentren sollen nur in Ländern aufgebaut werden, die internationale Menschenrechts-Standards beachten. Unbegleitete Minderjährige und Familien mit Kindern dürfen laut dem Gesetzentwurf nicht in solchen Zentren untergebracht werden.
Es handelt sich also nicht um eine Version des „Ruanda-Modells“, das vorsieht, die Asylverfahren selbst aus Europa nach Afrika auszulagern und dort in die Obhut der Vereinten Nationen zu geben. Auch das „Albanien-Modell“ der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni ist nicht gemeint: Meloni will Asylverfahren unter italienischer Regie in albanischen Lagern abwickeln, also in einem EU-Beitrittsland. Der Plan wird bisher jedoch von italienischen Gerichten durchkreuzt.
Es gibt Spekulationen, dass die bereits gebauten Lager in Albanien künftig als Abschiebezentren genutzt werden könnten. Kommissar Brunner wollte darauf nicht eingehen. Alle diese Modelle der Auslagerung von europäischen Asylverfahren werden in der EU unter dem Begriff „innovative Ideen“ gehandelt. Sie werden wohl die Migrationsdebatten der kommenden Monate beherrschen.
Das Abschiebegesetz von Magnus Brunner muss nun die übliche Abstimmung zwischen Kommission, Mitgliedsländern und Europaparlament durchlaufen. Die noch amtierende SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser begrüßte am Dienstag den Vorschlag der Kommission. „Entscheidend für Deutschland ist: Rückführungsentscheidungen müssen einfacher und schneller vollzogen werden, damit sich Ausreisepflichtige nicht der Rückführung entziehen können.“
Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament haben angekündigt, dass sie sich jeglicher Auslagerung von Asylverfahren widersetzen werden und auch Abschiebezentren außerhalb Europas ablehnen. „Sogenannte innovative Lösungen sind nicht die Lösung“, sagt die SPD-Migrationsexpertin Birgit Sippel. „Diese Programme sind rechtlich fragwürdig und verschwenden Unsummen von Steuergeldern.“ Flüchtlingsorganisationen befürchten, dass Migranten dort auf unbestimmte Zeit unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen.
Damit die Abschieberegeln schneller reformiert werden können, hat sich die Kommission dazu entschlossen, das Gesetz als EU-Verordnung und nicht als Richtlinie auf den Weg zu bringen. Das heißt, sie werden nach der Einigung mit Parlament und Mitgliedsstaaten direkt geltendes Recht. Die alten Regeln, die aus dem Jahr 2008 stammten, waren als „Richtlinie“ formuliert und mussten von Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.