EU - Friedrichshafen:Kongress: Oettinger attackiert Johnson im Brexit-Streit

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Friedrichshafen (dpa/lsw) - Mit harscher Kritik am britischen Premierminister Boris Johnson hat der scheidende deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger seinem Unmut über einen drohenden Brexit ohne Abkommen Ende des Monats Luft gemacht. "Johnson ist im Grunde genommen nicht wirklich dabei, so zu verhandeln, dass man in den nächsten Tagen noch zu einem Abkommen gelangen kann", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag beim Kongress Bodensee Business Forum der "Schwäbischen Zeitung" in Friedrichshafen. Er warf Johnson vor, aus persönlichen Karrieremotiven nicht auf einen Kompromiss mit den übrigen 27 EU-Staaten hinzuarbeiten.

Johnson denke nur an eine mögliche Neuwahl in Großbritannien. "Er will Premierminister aufgrund eigener Wahl werden, alles andere ist ihm im Augenblick egal", sagte Oettinger. Normalerweise gelte in der Politik immer das Motto: erst das Land, dann die Partei, dann die Person. "Bei ihm ist es genau umgekehrt."

Nach einem Treffen zwischen Johnson und dem irischen Regierungschef Leo Varadkar in der Nähe von Liverpool hieß es allerdings am Donnerstag in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Sie waren sich einig, dass sie einen Weg zu einem möglichen Deal sehen könnten." Oettinger sagte dazu, wenn das stimme, sei das "vielleicht ein Durchbruch".

Großbritannien will sich in drei Wochen von der Europäischen Union trennen. Johnson lehnte die von seiner Vorgängerin Theresa May im bisherigen Abkommen vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze bislang ab. Dieser sogenannte Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Nordirland soll zusätzlich im Binnenmarkt bleiben.

Weiteres großes Thema beim eintägigen Kongress am Ufer des Bodensees waren die Folgen des rechtsextremistischen Terroranschlags tags zuvor in Halle an der Saale. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), forderte eine Sonderkabinettsrunde zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus. "Wir brauchen ein Sonderkabinett des Zusammenhalts und gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit", sagte die Staatsministerin im Bundeskanzleramt.

"Wir beschäftigen uns mit Klima, wir beschäftigen uns mit Digitalisierung - aber das, was unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt ausmacht, da müssen wir - und zwar mit allen Ressorts - zusammenwirken, und das muss eine neue Dimension geben", sagte Widmann-Mauz. Wenn man das staatliche wie das persönliche Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus auf dem Niveau weiterfahre wie bisher, "dann sind wir sehr, sehr schnell wieder in einer Phase, in die ich zumindest nicht will, dass dieses Land noch mal kommt".

Bei einem rechtsextremistischen Terroranschlag hatte ein schwerbewaffneter Mann am Mittwoch versucht, in eine Synagoge in Halle einzudringen und dort unter Dutzenden Gläubigen ein Blutbad anzurichten. Sein Versuch scheiterte, woraufhin er vor der Synagoge und danach in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und auf seiner Flucht mindestens zwei weitere verletzt haben soll. Erst im Juni war der Kasseler Regierungspräsident WalterLübckeerschossen worden - der Generalbundesanwalt geht auch hier von einem rechtsextremen Hintergrund aus.

Angesichts der türkischen Militäroffensive gegen die Kurdenmilizen in Nordsyrien am Mittwoch forderte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) die Nato indirekt auf, die Mitgliedschaft der Türkei in dem Bündnis infrage zu stellen. "Wenn die Nato wieder nicht reagiert, wenn die Nato wieder laut schweigt, wenn die Nato nicht die Mitgliedschaft (der Türkei) infrage stellt, dann muss sie aufhören, von Wertebündnis (zu) reden", sagte Roth in Friedrichshafen. Sie warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, einen "völkerrechtswidrigen Krieg" zu führen. Sie sprach im Zusammenhang mit Erdogan von "Demokratiefeinden und Rechtsstaatsverächtern".

Die Türkei hatte ihre Militäroffensive am Mittwoch begonnen und dafür international scharfe Kritik geerntet. Ziel der Offensive ist die Kurdenmiliz YPG, die auf syrischer Seite der Grenze ein großes Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei und damit eine Terrororganisation. Die Türkei will entlang der Grenze eine sogenannte Sicherheitszone einrichten und dort auch syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei leben.

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