Europa:Europäisches Drama um Macron

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Zeigen und zuhören: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: Ian Langsdon/Reuters)
  • In der europäischen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland gibt es Risse - dabei ist die Partnerschaft so eng wie noch nie.
  • Diplomaten zeigen sich frustriert über die Ausfälle des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
  • Dabei ist klar, dass sich ohne deutsch-französische Zusammenarbeit in der EU nichts tut.

Von Daniel Brössler, Berlin, und Matthias Kolb, Brüssel

Es war ein kurzer Ausflug mit langer Vorgeschichte. Am Mittwoch flog Außenminister Heiko Maas (SPD) für einige Stunden nach Skopje, in die Hauptstadt Nordmazedoniens. "Wir wollen, dass die EU gegenüber Nordmazedonien und Albanien Wort hält", verkündete Maas. Das sollte Mut machen, aber es war das Eingeständnis einer Niederlage. Monatelang hatte die Bundesregierung versucht, Frankreich für den Start von EUBeitrittsgesprächen mit den Balkanländern zu gewinnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU )bearbeitete Präsident Emmanuel Macron bis zur letzten Minute. Ohne Erfolg.

Die Episode ist Teil einer Geschichte mit dem Zeug zum Drama. Sie handelt davon, wohin der französische Präsident in und mit Europa will, und was das für das Verhältnis zu Berlin bedeutet. Von "fruchtbarer Konfrontation" sprach Macron bereits im April, Merkel beschrieb die Beziehungskiste als Ringen. Seit einer guten Woche ist klar, dass nicht nur um den richtigen Weg gerungen wird, sondern auch um das Ziel.

Im Kern geht es um einen strategischen Konflikt

Das Interview, in dem Macron die Nato "hirntot" nannte, ist in Berlin eingeschlagen wie bislang noch keine Wortmeldung des Franzosen. "Die Nato, das transatlantische Bündnis, ist der zentrale Pfeiler unserer Verteidigung", rückte Merkel das eilig, wenn auch gewohnt nüchtern, zurecht. Die Rollenverteilung ist schon länger klar: Dort der Ungeduldige, Unkonventionelle und zunehmend Unberechenbare. Hier die Langsame, Abwägende und immer stärker Bremsende. Schon länger wirkt die Kanzlerin genervt von der hibbeligen Art des Präsidenten, doch nun geht der Konflikt tiefer. Gilt der Erhalt der Nato in Berlin als sicherheitspolitische Überlebensfrage, so scheint Paris andere Ziele zu verfolgen.

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"Die Franzosen haben ein anderes Verständnis von europäischer Sicherheitspolitik", konstatiert Johann Wadephul, Vize-chef der Unionsfraktion im Bundestag. Genau wird in Berlin die Aussage Macrons registriert, Europa könne sich selbst verteidigen. Im Kern geht es da um einen strategischen Konflikt. Macron, Präsident einer Atommacht, will mehr europäische Verteidigung, damit die EU unabhängiger wird von den USA. Merkel will auch mehr europäische Verteidigung, aber die USA bei der Stange halten und die Nato bewahren.

Es brechen Konflikte auf, die schon lange bestanden

Verschärft wird das wachsende Misstrauen durch das, was nicht nur in Berlin als außenpolitische Eskapaden Macrons gewertet wird. Als solche gelten etwa die Annäherungsversuche an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, die vor allem in Osteuropa Entsetzen auslösen. Mit Verdruss registrieren Diplomaten, dass Macron der Schaden offenbar egal sei, den solche Aktionen anrichten. Sogar mit US-Präsident Donald Trump wird der französische Präsident mitunter schon verglichen. Wie in Washington hänge auch in Paris alles vom Chef ab, und was der als Nächstes mache, wisse keiner.

So überraschend sei Macrons Politik nun auch wieder nicht, wendet Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein. Sie folge einerseits langen Linien der französischen Politik und andererseits dem, was Macron in seiner Europa-Rede an der Sorbonne 2017 postuliert habe. So könne sein Veto gegen Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien, die in Berlin als innenpolitisch motiviert gelten, nicht überraschen. Macron habe immer gesagt, "dass für ihn Vertiefung vor Erweiterung geht". Es brächen jetzt Konflikte auf, die sehr lange bestünden, sagt Demesmay. Und nun stelle man fest: "Wir haben uns seit Jahrzehnten nicht angenähert."

Das klingt paradox, denn die Beziehungen zwischen Paris und Berlin sind mittlerweile so eng, wie sie zwischen zwei Staaten nur sein können. Und klar ist, dass sich ohne deutsch-französische Einigkeit in der EU nichts tut. Man fürchtet, nicht miteinander zu können und weiß: Ohne den Partner geht es schon gar nicht. Es gebe "einige harte Punkte, in denen wir unterschiedlicher Auffassung sind", sagt Wadephul. "Ich bin aber überzeugt", stellt er klar, "dass wir es hinkriegen können." Es gebe viele gemeinsame Interessen. "Deshalb müssen wir uns bei aller Bereitschaft, Differenzen auszutragen, zusammenraufen."

Wer in Brüssel mit EU-Diplomaten spricht, hört vor allem eines: "Paris setzt die Themen, ob einem das gefällt oder nicht." Die alte Balance ist gekippt: Weil die Briten nur an den Brexit denken, fallen sie als Korrektiv aus. Und auch Deutschland, so die Klage, gebe Frankreich viel zu wenig Kontra. Bei der Analyse der globalen Situation und der Forderung nach mehr europäischer Geschlossenheit geben fast alle Diplomaten Macron recht. Aber es folgen viele Kritikpunkte: Er könne nicht öffentlich sprechen wie ein Thinktanker, sondern müsse die Wirkung seiner Worte bedenken. "Macron beansprucht, für Europa zu sprechen", sagt ein Diplomat und fragt: "Wer hat ihm das Recht dazu gegeben?" Und gern wird darauf verwiesen, dass der Franzose seine "Hirntod"-Diagnose damit begründet habe, dass Trump die Partner in wichtigen Situationen nicht informiere: "Macron hat vor seiner Charmeoffensive gegenüber Putin keinen konsultiert."

Auch in der Nato-Zentrale verursachte Macron Wirbel

Schleierhaft ist vielen, wie Macron glaubt, die von ihm ersehnte Geschlossenheit der EU zu erreichen, wenn er regelmäßig ein Dutzend Partner gegen sich aufbringt. Es wirke fast "schizophren", heißt es im Schutze der Anonymität. So überrascht nicht, dass den wachsenden Unmut am klarsten ein Mann artikuliert, dessen Amtszeit als EU-Ratspräsident bald endet. Am Mittwoch wandte sich Donald Tusk in seiner Abschiedsrede an seinen "lieben Freund" Macron und sagte, was er unter europäischer Einheit verstehe: "Unsere harte und konsequente Haltung gegenüber Russland war der erste Ausdruck unserer Souveränität, klar und unmissverständlich."

Auch in der Nato-Zentrale verursachte Macrons Economist-Interview Wirbel. Das Wort "Hirntod" erzeugt große Verärgerung, weil es die Allianz ewig verfolgen wird und die Realität zumindest aus Brüsseler Sicht nicht trifft. Seit Jahren investieren die Verbündeten mehr in ihr Militär. "Das Allerschlimmste ist, dass Macron Artikel 5 und die Bündnispflicht angezweifelt hat", sagt der Botschafter eines Landes, das um die Jahrtausendwende der Nato beitrat. Die Psychologie sei entscheidend, an ein solches Bekenntnis müsse man glauben können, erklärt er. Macron streue Zweifel, was letztlich nur Moskau helfe. Fakt ist: Trotz Trump gelten die USA in Osteuropa weiter als viel verlässlicherer Sicherheitsgarant als Frankreich.

Sowohl das Treffen der Außenminister am Mittwoch als auch der Mini-Gipfel Anfang Dezember in London würden "äußerst interessant", raunt man auf den Gängen des Hauptquartiers. Dass Trump die zu geringen Militärausgaben der Europäer, allen voran der Deutschen, anprangern wird, gilt als ausgemacht. Die Sorge besteht darin, dass Macron die Gefahr erhöht hat, dass das Treffen der Staats- und Regierungschefs ähnlich eskaliert wie das Treffen im Juli 2018, als Trump über einen Nato-Austritt der USA spekulierte. Mit Erleichterung wird jedoch registriert, dass ein Treffen von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit Trump in Washington gerade ohne Eklat verlief. "Ich bewundere, wie gut Jens mit Präsident Trump umgehen kann", sagt ein hochrangiger Diplomat. Er habe aber "keine Ahnung, wie gut er darin ist, Macron zu beruhigen".

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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