Süddeutsche Zeitung

EU-Fortschrittsbericht:Bundestag ärgert sich über Brüssel

Die EU-Kommission übersetzt ihren Türkeibericht nicht auf Deutsch. Ein Unding, findet Bundestagsvizepräsident Singhammer - und schickt einen Brandbrief nach Brüssel.

Von Robert Roßmann, Berlin

Johannes Singhammer ist eigentlich ein gelassener Mensch. Als Vater von sechs Kindern bringt einen nichts so schnell in Rage. Über ein Thema kann sich der Bundestagsvizepräsident aber trotzdem ansatzlos aufregen: Die Missachtung der deutschen Sprache durch die EU-Kommission. Seine Schriftwechsel mit Brüssel zu dieser Causa füllen inzwischen Aktenordner. Am Montag hat Singhammer wieder mal einen Brandbrief an die EU-Kommission geschrieben. Diesmal geht es um den Fortschrittsbericht der EU zur Türkei. Wegen der schwierigen Lage in der Region dürfte die Einschätzung des Landes in diesem Jahr besonders interessant sein. Am Mittwoch soll der Bericht in Brüssel präsentiert werden - allerdings ohne deutsche Fassung. Für den Bundestagsvizepräsidenten ist das ein Unding.

Von außerordentlichem Nachteil

In seinem Brief an Catherine Day, die Generalsekretärin der EU-Kommission, schreibt Singhammer, "wichtige Kommissionsvorlagen wie die Länderfortschrittsberichte" sollten immer "zeitgleich in allen Sprachversionen" vorgelegt werden. Die EU-Kommission wolle die deutsche Fassung aber erst Mitte November, also mit fast sechs Wochen Verzug, präsentieren. Dies sei "deutlich zu spät", schreibt Singhammer. Mitte November werde die Debatte über den Türkei-Bericht gelaufen sein. Der Bericht werde deshalb "auf Grundlage der englischen Version beraten und öffentlich diskutiert werden müssen". Dies sei sowohl "für die parlamentarischen Beratungen des Deutschen Bundestages" als auch "für die Bemühungen um mehr Transparenz europäischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse" bei den Bürgern "von außerordentlichem Nachteil". Deshalb fordert der Bundestagsvizepräsident die EU-Kommission auf, den Türkei-Bericht diese Woche nicht nur in der englischen, sondern auch gleich in einer deutschen Fassung vorzulegen.

Eine erheblich wachsende Verärgerung

Bei seinen Auseinandersetzungen mit Brüssel gehe es ihm "nicht um Erbsenklauberei, welche Texte in welche Sprache übertragen werden", sagt Singhammer. Viele Themen seien so komplex, dass man sie in einer Fremdsprache nicht sicher verhandeln könne. Im Bundestag hätten "Ausschüsse bereits die Beratung über Vorlagen verweigert, weil sie nur in Englisch vorlagen". Dies habe aber dann "leider zur Folge, dass Brüssel ohne deutsche Stellungnahmen Entscheidungen trifft".

Bei seinem Kampf ist der CSU-Politiker nicht allein. 2013 forderte der Bundestag die Regierung auf, sich in Brüssel um eine "Gleichberechtigung des Deutschen als Arbeitssprache" zu kümmern. Zuvor hatte auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) das Verhalten der EU-Kommission moniert. Bei einem Gespräch mit deren Vizepräsidenten Maroš Šefčovič sagte Lammert, es gebe über das Fehlen wichtiger EU-Dokumente - etwa zur Euro-Rettung - in deutscher Sprache "eine erheblich wachsende Verärgerung" unter den Bundestagsabgeordneten. Lammert forderte deshalb "schnelle, präzise und autorisierte Übersetzungen". Passiert ist seitdem aber fast nichts.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2014
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