Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Wer Fördergelder will, muss sich an die Regeln halten

EU-Länder wie Polen oder Ungarn demontieren den Rechtsstaat. Die EU sollte sie nur noch dann finanziell unterstützen, wenn sie diesen Kurs ändern. Deutschland muss sich dafür einsetzen.

Kommentar von Matthias Kolb, Brüssel

Bei den Beratungen über den EU-Haushalt für die Jahre zwischen 2021 und 2027, welche die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union seit Donnerstag in Brüssel führen, geht es um mehr als Geld. Sie entscheiden über Zukunft und Glaubwürdigkeit der EU. Die Verhandlungen lassen sich nämlich nicht reduzieren auf einen Konflikt zwischen Nettozahlern wie Deutschland oder Dänemark ("1,00 Prozent unserer Wirtschaftsleistung sind genug") und den Süd- und Osteuropäern, die stark von Strukturhilfen profitieren und 1,11 Prozent fordern.

EU-Ratspräsident Charles Michel ist offenbar bereit, auf das wirksamste Instrument zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Staaten zu verzichten. 2018 hatte der damalige Haushaltskommissar Günther Oettinger angeregt, die Auszahlung von Fördergeldern im neuen EU-Budget an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen. Die Hoffnung: Wenn der Entzug von Milliarden droht, werden die Regierungen einlenken - oder die Wähler merken, welche Folgen ihr Kurs hat.

Die EU-Kommission, unterstützt vom Europaparlament, will so darauf reagieren, dass Justizreformen in Malta, Rumänien oder Bulgarien stocken, während Polen und Ungarn den Rechtsstaat abbauen. Wie wirkungslos aktuelle Instrumente wie das sogenannte Artikel-7-Verfahren sind, demonstriert die nationalkonservative Regierung in Warschau: Sie will ein drakonisches Richterknebelungsgesetz durchsetzen und Urteile des Europäischen Gerichtshofs ignorieren.

Strafen muss Jarosław Kaczyński, Polens mächtigster Politiker, bisher kaum fürchten, da er mit Ungarns Premier Viktor Orbán gegenseitigen Schutz vereinbart hat. Orbán, der von einer "illiberalen Demokratie" schwärmt und in dessen Heimat die Korruption blüht und Medien gegängelt werden, fühlt sich so stark, dass er von Europas Christdemokraten eine Richtungsdebatte und einen strammen Rechtskurs fordert. Dabei ist die Mitgliedschaft seiner Fidesz-Partei in der Europäischen Volkspartei suspendiert.

Michel hat das Prinzip umgekehrt

Oettingers Idee, die Zahlung von Fördergeld an Bedingungen zu knüpfen, hat Ratspräsident Michel, der die Verhandlungen leitet, zwar nicht verworfen, aber ihr die Schärfe genommen. Bisher war vorgesehen, dass die EU-Kommission Verstöße überwacht und "angemessene Maßnahmen" vorschlägt. Um Strafen abzuwenden, hätten die Sünder klare Mehrheiten für sich organisieren müssen. Michel hat das Prinzip umgekehrt: Nun müssten sich zahlreiche Mitgliedstaaten frontal gegen die schwarzen Schafe stellen, wozu oft der Mut fehlt. Schließlich können Ungarn und Polen per Veto vieles blockieren.

Es ist richtig, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) von "Rückschritt" spricht und Änderungen fordert. Wenn die EU auf globaler Bühne die Einhaltung von Regeln fordert, müssen ihre Mitglieder dies auch tun. Deutschland wird als größte Volkswirtschaft deutlich mehr an die EU zahlen müssen. Dies ist in Ordnung, da es mit seiner Exportwirtschaft enorm vom EU-Binnenmarkt profitiert. Für deutsche Firmen ist es essenziell, dass Gerichte im EU-Ausland unabhängig sind. Im Interesse der Bürger sollte Berlin alles dafür tun, dass das Geld aus dem Haushalt korrekt eingesetzt wird und nicht versickert. Die Bundesregierung sollte bereit sein, mehr zu zahlen, wenn sie so die Erosion der Rechtsstaatlichkeit stoppen kann. Es geht um den Kern der EU.

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SZ vom 20.02.2020/jael
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