EU-Flüchtlingspolitik:Millionen flüchten, Europa streitet um Zehntausende

Syrisches Flüchtlingslager in der Türkei

Ein Lager syrischer Flüchtlinge in Akcakale, Türkei

(Foto: AP)
  • In Brüssel wollen die EU-Innenminister heute entscheiden, wie etwa 60 000 Flüchtlinge in Europa umverteilt werden sollen. Die Mittelmeerländer Italien und Griechenland sollen so entlastet werden.
  • Deutschland will 9000 Flüchtlinge aufnehmen.
  • In Deutschland tritt die SPD eine erneute Debatte über ein Einwanderungsgesetz los.

Von Markus C. Schulte von Drach

Auf einer Konferenz in Brüssel wollen die EU-Innenminister heute entscheiden, wie etwa 60 000 Flüchtlinge in Europa umverteilt werden sollen. Ziel ist es, insbesondere die Mittelmeerländer Italien und Griechenland zu entlasten, denn dort kommen besonders viele Bootsflüchtlinge an. Die meisten reisen von dort zwar weiter in andere EU-Mitgliedsstaaten, müssen in den Auffanglagern an der Küste aber versorgt werden.

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten sich bei einem Gipfel in Brüssel darauf geeinigt, ab September innerhalb von zwei Jahren 40 000 Asylbewerber aus Italien und Griechenland in die übrigen EU-Länder zu verteilen. Allerdings fehlt hier noch die Zusage für die Aufnahme von fast 10 000 Menschen, wie die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte.

Einig sind sich die EU-Länder dagegen bei der Aufnahme von 20 000 Menschen aus Flüchtlingslagern in Konfliktgebieten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte, sein Land werde weiter versuchen, die angestrebte Zahl von insgesamt 60 000 zu erreichen, damit "es keine Enttäuschung gibt".

Der Versuch, die Verteilung der Flüchtlinge über verbindliche Quoten zu erreichen, war insbesondere am Widerstand Großbritanniens und mehrerer osteuropäischer Staaten gescheitert. Die EU setzte nun auf freiwillige Zusagen aller Mitgliedstaaten bis Ende Juli. Die EU-Innenminister konnten sich jedoch bei ihrem letzten regulären Treffen am 9. Juli nicht auf die vollständige Verteilung einigen. Deshalb wurde das Sondertreffen am Montagnachmittag angesetzt.

Es geht um eine "gerechtere Verteilung von Flüchtlingen" in Europa, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jetzt im "Sommerinterview" in der ARD sagte. "Das Dublin-Abkommen entspricht nicht mehr den Gegebenheiten, wie wir sie mal hatten", sagte Merkel. Das Abkommen regelt, dass Flüchtlinge nur in dem EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen können, den sie auf der Flucht zuerst betreten haben.

Ungarn etwa hatte unlängst erklärt, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, die aufgrund von "Dublin" aus anderen EU-Staaten in das Land zurückgeschickt werden.

Die EU-Staaten müssten zu einer fairen Lastenverteilung kommen, was die Aufnahme von Flüchtlingen angehe, sagte Merkel. Mit Blick auf die anstehenden Beratungen der EU-Innenminister zu dem Thema sagte die Kanzlerin: "Die Gespräche laufen gar nicht so schlecht."

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte beim Treffen der EU-Außenminister am Vormittag allerdings, er sei "nicht sicher", ob es bei dem bevorstehenden Innenministertreffen schon zu einem abschließenden Ergebnis komme oder die Aufnahmezusagen der Mitgliedstaaten noch unter der angestrebten Zahl bleiben würden. Er hoffe aber, "dass es eine Entscheidung gibt".

Deutschland hat bereits die Aufnahme von insgesamt 12 100 Flüchtlingen zugesagt, darunter 9000 aus Italien und Griechenland und 3100 aus Flüchtlingslagern etwa rund um Syrien. Frankreich sagte die Aufnahme von insgesamt 9100 Flüchtlingen zu.

Weder Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch sein französischer Kollege Bernard Cazeneuve wollten nach ihren Zusagen zu dem Sondertreffen anreisen und lassen sich durch ihre Staatssekretäre vertreten.

Eines der Länder, das sich gegen eine Aufnahme von mehr Flüchtlingen sträubt, ist Österreich. Die Regierung in Wien hat bisher nur die Aufnahme von 400 Menschen zugesagt. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz verwies darauf, dass Österreich eines der EU-Länder sei, das mit Blick auf die Bevölkerungszahl neben Schweden und Ungarn am meisten Flüchtlinge aufnehme. Während sein Land pro Monat tausende Asylbewerber habe, hätten "Portugal und andere nicht einmal hundert".

Die wenigen Zehntausend Menschen, die in der EU verteilt werden sollen, machen nur einen winzigen Bruchteil derjenigen aus, die weltweit auf der Flucht sind. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der UN (UNHCR) wurden 2014 etwa 14 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, jeden Tag haben im Schnitt 42 500 ihre Heimat verloren - etwa 10 000 mehr als noch 2013. Fast 60 Millionen Flüchtlinge und Asylbewerber innerhalb und außerhalb ihrer Heimatländer zählte das UNHCR 2014 insgesamt.

Die Zahl der Syrer, die vor dem Bürgerkrieg ins Ausland geflüchtet sind, betrug Anfang Juli mehr als vier Millionen. Innerhalb des Landes sind mindestens weitere 7,6 Millionen Menschen auf der Flucht.

Allein die Türkei hat mehr als 1,5 Millionen Syrer aufgenommen. Im Libanon leben mehr als 1,1 Millionen syrische Flüchtlinge, in Jordanien mehr als 600 000.

Diskussion über neues Einwanderungsgesetz

In Deutschland findet die Diskussion um die Flüchtlinge derweil unter dem Eindruck etlicher Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte statt, darüber hinaus sind viele Menschen beeindruckt von der Begegnung des palästinensischen Flüchtlingsmädchens Reem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Rostock. Die 14-Jährige hatte Merkel gesagt, sie habe Angst, abgeschoben zu werden. Merkel blieb sehr sachlich und sprach sich für schnellere Asylverfahren aus. Als Reem schließlich in Tränen ausbrach, streichelte die Kanzlerin ihr den Kopf und versuchte, sie zu trösten.

Einige SPD-Politiker fordern nun ein neues Einwanderungsgesetz. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann etwa sagte in der Welt am Sonntag: "Es läuft etwas grundfalsch in Deutschland, wenn wir einerseits mehr Nachwuchs brauchen und andererseits junge, gut integrierte Flüchtlinge von der Abschiebung bedroht sind." Er wolle deshalb ein Einwanderungsgesetz, bei dem alle Einwanderer schnell Klarheit haben, ob sie bleiben können oder nicht. "Junge, leistungsbereite Menschen, die sich integrieren wollen, müssen wir willkommen heißen und dürfen sie nicht abschrecken."

Solche Äußerungen stoßen allerdings auf Kritik bei der Linken. "Wenn Flüchtlingskinder in gute und schlechte sortiert werden, läuft etwas grundfalsch in Deutschland", sagte Fraktionsvize Jan Korte. "Mir ist es egal, wie gut ein Kind Deutsch spricht, wenn es Schutz und Hilfe braucht."

Die CSU verlangt dagegen eine konsequente Umsetzung der geltenden Gesetze und schnellere Abschiebungen. Wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der Bild sagte, müsse der Grundsatz gelten: Abgelehnt heißt Ausreisen oder Abschieben. "Wer diesen Grundsatz nicht anerkennt, riskiert ein Implodieren unserer Gesellschaft." Und CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer will, dass der Freistaat nur noch "Mindeststandards" erfüllt, wenn es darum geht, sich um Flüchtlinge zu kümmern.

Der Bundesrat hat erst kürzlich eine Neuregelung bei der Einwanderung gebilligt, mit der geduldete Ausländer - insbesondere Jugendliche - bessere Möglichkeiten für einen dauerhaften Aufenthalt bekommen sollen. Im Innenministerium wundert man sich deshalb über den SPD-Vorstoß, wie die Welt berichtet. "Wir haben das Bleiberecht für Kinder, die erfolgreich in Deutschland zur Schule gehen und perfekt Deutsch sprechen, gerade geändert", sagte der parlamentarische Innen-Staatssekretär Ole Schröder. Das Gesetz müsse nur noch vom Bundespräsidenten unterschrieben werden. "Ich kann daher nicht nachvollziehen, was diese Forderung von Oppermann soll", erklärte Schröder.

Mit Material von dpa und AFP.

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