Süddeutsche Zeitung

EU-Flüchtlingspolitik:Entwicklungsminister warnt vor Militäreinsatz gegen Schlepper

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Nicht noch mehr Flüchtlinge ertrinken lassen

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hält den von der EU geplanten Militäreinsatz gegen Schlepper und Schleuser für zu riskant. "Das Mittelmeer darf nicht zu einem Meer des Todes werden", sagte Müller der Passauer Neuen Presse (PNP). "Schleuserboote aus dem Verkehr ziehen ja, das aber ohne militärische Operationen", forderte der Minister. Ein Militäreinsatz berge "zu viele Risiken" und löse die eigentlichen Probleme nicht. Müller sprach sich stattdessen für polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen gegen Schlepper aus.

Der Entwicklungsminister forderte zudem, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu bekämpfen. "Dazu brauchen wir ein europäisches Konzept", mahnte Müller. Dieses müsse "ein Rückkehrerprogramm für die Flüchtlinge in ihren Heimatländern" beinhalten. Der CSU-Politiker sprach sich allerdings auch für die weitere Ausweitung der Seenotrettung im Mittelmeer aus - mit Beteiligung der Deutschen Marine. Es dürften "nicht noch mehr Flüchtlinge ertrinken", sagte Müller der PNP.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt geht mit ihrer Kritik noch weiter. Sie bezeichnet die Pläne als "absurd" und "menschenverachtend". "Es ist absurd, dass wir so tun, als ob wir die Menschen abhalten könnten", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". Dass die Beratungen über die Flüchtlingskrise nun ausgerechnet von den Außen- und Verteidigungsministern geführt würden und es vor allem um den Grenzschutz gehe, "das hat auch etwas Menschenverachtendes".

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich zuletzt eher kritisch geäußert. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte: "Da sind viele schwierige Fragen zu beantworten, rechtliche Probleme zu lösen."

Tusk warnt vor weit geöffneten Türen

EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert in der Flüchtlingsdebatte ein konkretes Konzept, das eine Rücksendung von Migranten vorsieht. Die Staatengemeinschaft könne nur eine bestimmte Gruppe von Einwanderern aufnehmen, sagte Tusk in einem Interview der Zeitung Polska The Times. "Diejenigen, die sagen, lasst uns die Türen weit öffnen, sind zynisch, denn sie wissen, dass das nicht möglich ist." Er dagegen sei realistisch.

Das Flüchtlingsproblem ist nach einer Serie schwerer Unglücke, bei denen Hunderte Menschen aus Nordafrika bei der Überfahrt nach Europa ertranken, zu einem Schwerpunkt der europäischen Politik geworden. Die EU-Außen- und Verteidigungsminister wollen heute in Brüssel über die Flüchtlingskrise und Europas geplanten Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer beraten. Ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs hatte im April Vorbereitungen für eine Mission beschlossen, die Boote der Schleuser identifizieren und zerstören soll.

Möglicherweise könne sie bereits in den kommenden Wochen beginnen, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie erwarte, dass die EU-Staaten ihr Rückendeckung für die weiteren Planungen geben. Ein Militäreinsatz in libyschen Gewässern würde allerdings ein Mandat der UN oder eine Verständigung mit dem instabilen Libyen voraussetzen.

Nach Angaben aus EU-Kreisen würde der Militäreinsatz damit beginnen, alle verfügbaren Aufklärungsinstrumente wie Satelliten zu nutzen, um die Aktivitäten der Schleuserbanden in Libyen genau nachzuvollziehen. Dann könnten Schiffe beschlagnahmt oder sogar gezielt zerstört werden - im Idealfall, bevor sie Migranten an Bord nehmen. Über das nordafrikanische Bürgerkriegsland Libyen werden Schätzungen zufolge 80 Prozent des illegalen Menschenschmuggels über das Mittelmeer abgewickelt. Auf Bootsfahrten von Libyen in Richtung Europa starben in den vergangenen Jahren Tausende Menschen. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1780 Flüchtlinge ums Leben. Die meisten kommen in Italien an, das den Ansturm kaum noch bewältigen kann.

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