EU-Finanzminister:Mehrheiten suchen

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Ewig können die Fragen zur Transferunion und zum Finanzausgleich nicht hinausgeschoben werden.

Von Cerstin Gammelin

Es ist nicht zwangsläufig so, dass sich die Sorgen von Politikern mit denen von Bürgern decken. Die Deutschen sorgen sich einer Umfrage zufolge gerade nicht so sehr darum, von dem Coronavirus angesteckt zu werden, sondern um dessen wirtschaftliche Folgen: dass ihr Alltag teurer werden und sie im europäischen Schuldensumpf versinken könnten. Die Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen der Krise teilten am Wochenende auch die europäischen Finanzminister in Berlin. Hätten sie eine europaweite Alarm-App gehabt, würde die jetzt rot leuchten. Denn die wirtschaftlichen Daten sind miserabel.

Die schlechte Nachricht ist, dass die Länder in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung in der Pandemie immer weiter auseinanderdriften. Der Einbruch reicht von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis hin zu 18 Prozent. Lässt man Deutschland beiseite, scheinen alle großen Volkswirtschaften wie in einem Teufelskreis gefangen zu sein. Langer Lockdown, kurze wirtschaftliche Erholung, neue Infektionsrekorde, neue Maßnahmen, kaum noch Erholung. Man darf sich nichts vormachen: Wer verhindern will, dass wegen Corona der europäische Binnenmarkt zusammenbricht, muss sich darauf einstellen, dass der Ausnahmezustand sehr lange wird anhalten.

Während des Sommers war die von der Corona-Pandemie ausgelöste prekäre wirtschaftliche Lage kurz vergessen gewesen. Nach den Mühen der Staats- und Regierungschefs im Juli, sich auf einen europäischen Wiederaufbaufonds zu einigen, hatte sich Erschöpfung breitgemacht. Man dachte an den Urlaub und nicht an die Schulden. Die neuesten Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung Europas haben die Sorgen von damals mit Macht zurückgebracht.

Damit verbunden ist freilich die Frage, ob der europäische Wiederaufbaufonds doch der Einstieg in eine künftige Transferunion sein könnte - nach dem Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs. Diese Frage ist berechtigt, schließlich muss geklärt werden, wer was bezahlt. Ehrlicherweise muss man einräumen, dass sie heute noch nicht beantwortet werden kann. Denn die Antwort wird davon abhängen, wie die politischen Mehrheiten in Europa künftig aussehen. Und das ist offen.

Natürlich ist nicht zu erwarten, dass der Nachfolger von Angela Merkel im Kanzleramt eine komplett andere Europapolitik betreiben wird. Man braucht sich anderseits nur Annalena Baerbock und Jens Spahn anschauen, um zu ahnen, wie groß die europapolitische Bandbreite sein kann. Das gilt übrigens auch für Frankreich, wo 2022 gewählt wird.

Ewig kann man die Frage nach einem europäischen Finanzausgleich nicht mehr verschieben. Jedenfalls nicht ohne Gefahr zu laufen, dass die Gemeinschaft zerbröselt. Der deutschen Ratspräsidentschaft ist es immerhin gelungen, einen Wegweiser aufzustellen: Dank des Wiederaufbaufonds darf die EU erstmals in großem Stil Schulden aufnehmen. Natürlich sollen diese zurückgezahlt werden, erst mal aus den nationalen Haushalten. Langfristig allerdings über Eigenmittel der EU. Genau über diese Eigenmittel haben sich die Finanzminister am Wochenende den Kopf zerbrochen. Es liegt nun die Idee auf dem Tisch, die EU schrittweise über Klimaschutz zu finanzieren. Das klingt nach Zukunft. Nun müssen sich nur noch Mehrheiten dafür finden.

© SZ vom 14.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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