EU:Europäische Kabale

Macron zürnt dem EU-Parlament und von der Leyen. Das Veto gegen seine Kandidatin ist eine Demütigung für ihn.

Von Leo Klimm und Matthias Kolb , Brüssel/Paris

EU: Frankreichs gescheiterte Kandidatin Sylvie Goulard.

Frankreichs gescheiterte Kandidatin Sylvie Goulard.

(Foto: AFP)

Die Europaparlamentarier haben ihr Ziel nicht verfehlt: Ihre Ablehnung von Sylvie Goulard wird in Frankreich als Demütigung für Staatspräsident Emmanuel Macron gewertet. Seine Rolle als proeuropäischer Reformer, der neben Frankreich auch die EU erneuert, ist Teil seines politischen Kapitals. Das Veto gegen seine Kandidatin ist nun der erste große Rückschlag auf europäischer Ebene. Die Opposition warf Macron vor, das eigene Land geschwächt zu haben, weil er eine belastete Anwärterin vorschlug. Dabei sei Macron von Verbündeten vor dem Risiko gewarnt worden, das er einging. Ihre Nominierung hatte auch in Frankreich überrascht: Goulard war angreifbar. 2017 musste sie als Ministerin wegen einer Affäre um Scheinbeschäftigung zurücktreten, zu der die Justiz heute noch ermittelt.

Die Pleite sorgt im Lager des Staatschefs noch in anderer Hinsicht für Ernüchterung: Anders als die Lenker der Präsidentenpartei La République En Marche nach der Europawahl verkündeten, dominiert die liberale Fraktion im EU-Parlament nicht die Entscheidungen. Die Renew-Fraktion war ganz allein mit ihrer Unterstützung für Goulard. Die Niederlage wiegt daher schwer für Frankreichs Regierung - doch die erhebt sie prompt zu einer der EU insgesamt. "Das ist eine institutionelle Krise großen Ausmaßes für Europa", sagt Europastaatssekretärin Amélie de Montchalin am Freitag. Die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen solle Paris erst einmal mitteilen, was sie von Frankreich wolle, bevor Macron Ersatz für Goulard vorschlage. In Brüssel gilt es als ausgemacht, dass die Abstimmung über die neue EU-Kommission nun erst Ende November stattfinden wird.

Es ist eine beachtliche europäische und speziell deutsch-französische Kabale, die sich da entfaltet. Macron selbst war es, der am Donnerstag Wut zeigte: Der Präsident war sichtlich ungehalten über von der Leyen. Diese habe im Vorfeld beteuert, so behauptete Macron, sie habe für Goulard die Unterstützung der drei größten Fraktionen gesichert. Doch die Vorsitzenden von Christ- und Sozialdemokraten dementierten, dass von der Leyen mit ihnen über Goulard überhaupt gesprochen habe. "Ich schätze es, wenn Zusagen eingehalten werden", sagte Macron mit Blick auf von der Leyen. Die erwartet nun "eine klare Aussprache", wie Pariser Medien französische Quellen zitieren. Macron sieht Goulard - und damit wohl auch sich selbst - als Opfer von "Ressentiments". Das EU-Parlament und besonders die deutschen Christdemokraten hätten sich an ihm gerächt - dafür, dass er die Ambitionen von Manfred Weber (CSU) auf den Kommissionsvorsitz ausgebremst hat.

In Brüssel betonen Vertreter von Webers Europäischen Volkspartei (EVP), dass Goulard in den Anhörungen inhaltlich nicht überzeugt und bei ihren hohen Beraterhonoraren wenig Einsicht gezeigt habe. Die überwältigende Ablehnung widerlege die Pariser Rache-These. Angelika Niebler, Europaabgeordnete der CSU, findet es "etwas billig, Fehler und Verantwortung anderen zuzuschieben." Esther de Lange, Vizechefin der EVP-Fraktion, nennt Macrons blame game "nicht hilfreich". Egal, wen Macron nun als EU-Kommissar vorschlägt: Ihm oder ihr wird der Makel anhaften, nur Ersatz zu sein. Der Staatschef hatte von der Leyen im Sommer neben Goulard zwei weitere Anwärter vorgeschlagen; bisher ist nicht bekannt, wen. In Paris kursiert der Name von Florence Parly. Ihr Vorteil: Als Verteidigungsministerin kennt sie ihre einstige Kollegin von der Leyen gut. Sie ist mit Wirtschaftspolitik vertraut und könnte den Bereich "Verteidigung und Weltraum" aufbauen, der von der Leyen am Herzen liegt. Außenseiterchancen werden Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zugebilligt. Da sich von der Leyen zur Geschlechterparität bekennt, dürfte eine Frau zum Zug kommen.

"Mir ist wichtig, das Portfolio zu behalten", sagt Macron. Er möchte unbedingt den für Frankreich maßgeschneiderten Ressortzuschnitt haben: Neben Binnenmarkt und Verteidigung sollte Industrie, Digitales und Kultur zu Goulards Zuständigkeiten zählen. Das breite Portfolio warf bei der Anhörung im Parlament die Frage auf, ob dies eine Person bewältigen kann. Als wahrscheinlich gilt, dass sich Macron die Unterstützung Angela Merkels sichern wird. Gelegenheiten gibt es: Am Sonntag und Mittwoch trifft er die Kanzlerin, bevor beide zum EU-Gipfel reisen, an dem erstmals auch von der Leyen teilnimmt.

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