Krisentreffen in Paris:Europas Konter

Lesezeit: 4 Min.

Was kann Europa in der Ukraine tun? Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt Nato-Generalsekretär Mark Rutte vor dem Élysée-Palast. (Foto: Aurelien Morissard/AP)

Bei dem Treffen in Paris ist es in erster Linie um das Schicksal der Ukraine gegangen, aber nicht nur. Kann es der EU gelingen, ihr Gewicht in der Welt stärker zur Geltung zu bringen?

Von Oliver Meiler

48 Stunden für die Organisation eines Gipfels mit acht europäischen Staats- und Regierungschefs, dem Chef der Nato und der Chefin der EU-Kommission – das ist sportlich, selbst für geübte Organisatoren. Da müssen viele Agenden abgestimmt und Misshelligkeiten ausgeräumt werden. Im Palais de l’Élysée, dem Amtssitz des französischen Präsidenten, wo sie das Genre vielleicht so gut beherrschen wie sonst nirgends in Europa, wo sie auch immer gute und nicht nur politische Motive haben für Einladungen an die Welt, waren sie diesmal so gestresst, dass das offizielle Kommuniqué erst am Sonntagnachmittag kam: für einen Anlass im Palast am Montagnachmittag.

Aber es musste nun mal alles schnell gehen, ein europäischer Konter nach allen Regeln der Kunst. Ein Konter gegen die Amerikaner, so verrückt das auch klingen mag in den Ohren all derer, die in der vermeintlichen Unverwüstlichkeit einer innigen westlichen Allianz und Wertgemeinschaft aufgewachsen sind.

Meloni wollte zunächst gar nicht kommen

Die USA und deren neue Administration sollten jetzt gewahr werden, so die Botschaft aus dem Élysée, dass die Europäer nicht so verschlafen und verkrustet sind, wie das Donald Trump gerne darstellt. Dass sie auch schnell und einigermaßen einig reagieren können, wenn es nötig ist. Und nötig ist es. An der Münchner Sicherheitskonferenz waren Trumps Entsandte den Europäern in Ton und Missgunst so scharf begegnet, wie es diese schon lange nicht mehr erlebt hatten. Eine Kaskade von Vorwürfen, die da von Trumps Vize J. D. Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth und vom Zuständigen für Russland und die Ukraine, Keith Kellogg, entfesselt wurde. Es ging dabei nicht nur um das Schicksal der Ukraine, aber darum natürlich ganz besonders.

Um es kurz zusammenzufassen: Trump würde gerne einen Deal abschließen mit Wladimir Putin, bald schon, in Saudi-Arabien, ohne die Europäer; die aber, die Europäer also, sollen danach den Frieden in der Ukraine mit Truppen sichern. In seiner ganzen Brutalität: Das war die amerikanische Botschaft aus München. Und da sich auch Wolodimir Selenskij, der ukrainische Präsident, mit dringenden Worten an Europa wandte und an dessen Entschlossenheit appellierte, wollte und musste man reagieren. Fand unter anderem Emmanuel Macron und schmiss die Organisationsmaschine an.

Er war es, der den schnellen Termin in einem speziellen Format anmahnte: acht Teilnehmer statt 27 – Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, die Niederlande, Dänemark stellvertretend für Skandinavien und die baltischen Staaten sowie Großbritannien als Spezialgast. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, selbst Trumpistin und Musk-Alliierte, wollte eigentlich nicht anreisen: Die Freunde in Washington sollten sich nicht brüskiert fühlen, nur nicht! Sie träumt von einer Rolle als transatlantische Brückenbauerin in diesen schwierigen Zeiten. Meloni sah dann aber ein, dass ihr die Freunde in Europa noch etwas wichtiger sein sollten.

Das Format des Treffens war also speziell. Das Kommuniqué hatte offenbar auch deshalb so viel Arbeit gekostet, weil man sich nicht sicher war, wie man den Anlass nennen sollte. Sondergipfel? Krisengipfel? Passt der Begriff „Gipfel“, wenn nicht alle Mitgliedstaaten vertreten sind? Am Ende entschied man sich für ein unverfängliches „informelles Treffen“, ohne Schlusskommuniqué. Ein Berater von Macron fuhr es sogar herunter zu einem „Gespräch“. Dabei soll es der Anfang einer fundamentalen Diskussion, der Kickstart einer möglichen Revolution für Europa sein.

Zunächst aber geht es um die praktische Frage, wer die Grenzen der Ukraine schützen würde, wenn dann mal Frieden geschlossen wäre. Dafür wird es Zehntausende Soldaten brauchen. Macron selbst hatte schon vor einem Jahr nicht ausschließen mögen, dass es eventuell nötig sein werde, westliche Truppen in die Ukraine zu entsenden – und wurde damals von fast allen Seiten gerügt, weil sein Sinnieren über boots on the ground mit niemandem abgesprochen war. Nun bot auch Keir Starmer, der britische Premier, die Hand zur Entsendung von Friedenstruppen. Das ist ein Anfang. Die Italiener finden, man müsse die Chinesen anfragen.

Diskutiert wird auch eine personalpolitische Frage: Braucht Europa in dieser heiklen Phase, da es mit einer Stimme sprechen sollte, nicht eine prominente Persönlichkeit, die sich allein um die Zukunft der Ukraine kümmert? Eine Sondergesandte der Union mit allen Befugnissen, die sich an die wichtigen Verhandlungstische setzen würde, zum Beispiel bereits an jenen in Saudi-Arabien? Und wenn ja, wer könnte diese prominente Persönlichkeit sein?

Überwölbend aber stellt sich die große Frage, wie Europa nun, da die Amerikaner sich zusehends zurückziehen, seine Wehrhaftigkeit sehr schnell hochfahren kann. Ließen sich die Rüstungsausgaben aus der Berechnung des Staatsdefizits herauslösen, wie das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angedeutet hat? Das käme hoch verschuldeten Ländern wie Frankreich entgegen. Oder einigt man sich für die Stärkung der Verteidigungsetats gar auf gemeinsame Schulden, auf die Ausgabe von Defence Bonds?

Macron versteht sich gern als Aufrüttler Europas

Es geht um Weichenstellungen, alle ziemlich zentral. Man kann von Emmanuel Macron halten, was man will: In wichtigen Momenten lebt er auf, organisiert Gipfel. Umso mehr jetzt, da er ohne Parlamentsmehrheit regiert und innenpolitisch einen schönen Teil seiner Macht verloren hat. Es bleibt ihm der sogenannte domaine réservé du Président, gemeint sind vor allem die Außen- und die Verteidigungspolitik des Landes. Darüber gebietet er fast allein. Er kann ihr also einen Dreh geben, wie es ihm gerade beliebt.

Macron versteht sich gern als Aufrüttler Europas, als Weckrufer und Mahner, oft hat er recht. Seit Macron Präsident ist, seit 2017 also, fordert der Franzose die Europäer auf, man möge in der Union viel weiter gehen bei der Integration von Sicherheit und Verteidigung, bei der Bildung einer gemeinsamen Verteidigungsarchitektur.

Gebremst wurde er darin bisher vor allem von Berlin, und das hat nicht nur historische Gründe. Die Deutschen deuten die Offensive der Franzosen auch als Versuch, die Amerikaner zu ersetzen und über ihren relativ kleinen französischen Nuklearschirm mehr Macht in Europa zu erlangen. Macron erinnert oft und gar nicht mal so verhohlen an diese Bremserei aus Berlin.

In einem Interview in der britischen Zeitung Financial Times sagte Macron vergangene Woche, Trumps Kurs und dessen Solo zur Ukraine seien „ein Elektroschock für jene Europäer, die glaubten, dass China ein Ausweichmarkt ist, dass der Schirm Amerikas für immer über uns gespannt bleibt und dass das billige russische Gas die Produktion ewig unterstützt“. Er meinte natürlich Deutschland und fügte noch hinzu: „Alle drei Dinge kann man sich abschminken.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungMünchener Sicherheitskonferenz
:Nun müsste Europa über sich hinauswachsen

Kommentar von Daniel Brössler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: