EU:Der bewegte Präsident

Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren wirbt Emmanuel Macron für große Reformen in Europa - und betont, dass seine Worte auch Folgen haben.

Von Nadia Pantel

EU: "Keine Tabus": Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron will tiefgreifende Reformen in der EU anstoßen.

"Keine Tabus": Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron will tiefgreifende Reformen in der EU anstoßen.

(Foto: Etienne Laurent/AFP)

Emmanuel Macron ist zurück in der Offensive. In den vergangenen Monaten hatte sich Frankreichs Präsident darauf konzentriert, den Zorn der Gilets jaunes, der Gelbwesten-Bewegung, in eine staatsverträgliche Debatte über Steuerbelastung und demokratische Mitbestimmung umzuleiten. Doch nun, gut zwei Monate vor der Europawahl, meldet er sich auf der internationalen Bühne zurück. In einem Brief, der am Dienstagmorgen in Zeitungen in allen 28 EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig veröffentlicht wurde, wandte Macron sich direkt an die "Bürgerinnen und Bürger Europas" und forderte einen "Neubeginn" in der EU - auch in Ländern mit betont europakritischen Regierungen wie Ungarn, wo der übersetzte Brief auf der Webseite des Magazins HVG erschien.

Der Veröffentlichungstermin markiert zweierlei: eben den offiziellen Beginn des Europawahlkampfes und zugleich das Ende der französischen innenpolitischen Nabelschau, die seit Beginn der Proteste der Gilets jaunes Mitte November Vorrang hatte. Es ist der bevorstehende Brexit, der Macrons Brief Dringlichkeit verleiht. Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union nach mehr als vier Jahrzehnten ist für ihn ein Menetekel - ein "Symbol für die Krise in Europa, das nicht angemessen auf die Schutzbedürfnisse der Völker angesichts der Umwälzungen in der heutigen Welt reagiert hat". Wie schon in seiner Rede an der Pariser Universität Sorbonne im September 2017, stellt Frankreichs Präsident fest, dass die EU reformiert werden muss, um stärker zu werden. Gleichzeitig betont man im Élysée: "Es handelt sich um keine Vorgabe, sondern um einen Debatten-Beitrag". Macron unterzeichnet seinen Brief denn auch nur mit seinem Namen, nicht als französischer Präsident.

Für die Erneuerung Europas macht Macron konkrete Vorschläge. So wünscht er sich eine europäische Agentur zum Schutz der Demokratie, die gegen die Verbreitung von Fake News im Internet vorgehen und verhindern soll, dass europäische Parteien "von fremden Mächten" finanziert werden. Und er will einen europäischen Rat für innere Sicherheit. Der soll die Grundsätze des Schengen-Raums neu definieren, um einerseits die Grenzen zu sichern, andererseits die Aufnahme von Asylberechtigten zu sichern.

Macron versuchte, En Marche auch in Nachbarländern zu etablieren - ohne Erfolg

Weitere Ideen: ein gemeinsamer europäischer Mindestlohn, eine europäische Klimabank, verbesserte Nahrungsmittelkontrollen, die in ganz Europa verbindlichen Standards folgen. Schließlich schlägt Frankreichs Präsident vor, wo über all diese Visionen diskutiert werden könnte. Noch in diesem Jahr will er eine Europakonferenz organisiert sehen, auf der "Vertreter der EU-Institutionen und der Staaten" mit "Bürgerpanels, Akademikern, Sozialpartnern und Vertretern der Religionen" debattieren sollen. Auf dieser Konferenz dürfe es "keine Tabus" geben, "einschließlich einer Überarbeitung der Verträge".

Wer sich in Frankreich für all diese Vorschläge begeistern kann, hat bei der Wahl zum Europaparlament Ende Mai die Möglichkeit, für Macrons Partei La République en Marche zu stimmen. In den übrigen europäischen Ländern ist es Macron in den vergangenen Monaten nicht gelungen, Außenstellen seiner Partei zu gründen - obwohl seine vor einem Jahr gestartete Initiative der "europäischen Bürgerkonsultationen" genau das Ziel hatte: nämlich En Marche auch in Frankreichs Nachbarländern zu etablieren. Macrons Brief bewegt sich somit in einem politischen Zwischenraum - er ist einerseits Futter für den französischen Wahlkampf, andererseits eine gesamteuropäische Aufforderung, doch Macrons Überzeugungen zu folgen. Da er sich direkt an die Bürger richtet, kann eine Unterstützung Macrons für Nicht-Franzosen nur darin bestehen, Politiker und Parteien zu wählen, die seinen Ideen am nächsten kommen oder die auf europäischer Ebene ein Bündnis mit Macron planen. In Deutschland wäre das wohl die FDP.

Im Vergleich mit seiner Europarede an der Sorbonne fällt ein Unterschied ins Auge: Macron konzentriert sich dieses Mal weniger auf die Zukunft des Euro, sondern denkt vielmehr über Möglichkeiten nach, wie den Menschen das Gefühl vermittelt werden kann, dass die EU sie schützt. Dieser Fokus auf eine bürgernahe EU dürfte als Antwort auf die Nationalisten zu lesen sein, die, so Macron in seinem Brief, "nichts anzubieten" haben. In Frankreich selbst versucht die rechtsextreme Nationalistin Marine Le Pen gegen Macron zu punkten, indem sie seine Politik immer wieder als wirtschaftshörig diffamiert und ihm unterstellt, die französische Nation schwächen zu wollen. Macron kontert nun mit dem Versprechen einer Europäischen Union, die den Bedürfnissen ihrer Bürger gerechter werden will.

Mit dem Brief löst sich der Präsident auch vom Fokus auf Berlin

Gleichzeitig betont man im Élysée, dass Macrons Mahnungen eben mehr als bloße Worte seien. Bereits die Hälfte der in der Sorbonne-Rede gesteckten Ziele sei erreicht. Die im Juni vergangenen Jahres beschlossene Europäische Interventionsinitiative und das gemeinsame Verteidigungsbudget in Form eines Fonds seien erste Schritte hin zu einer einheitlichen europäischen Sicherheitspolitik. Zudem habe es Fortschritte in der Migrationspolitik gegeben, die sich darin zeigen würden, dass die Europäische Kommission die Grenzschutzagentur Frontex noch vor den Europawahlen mit umfassenderen Befugnissen ausstatten werde, um Abschiebungen zu organisieren. Als weiterer Erfolg wird das deutsch-französische Abkommen von Meseberg gepriesen, in dem sich Paris und Berlin auf die Schaffung eines Eurozonenbudgets geeinigt haben. Wobei auch der Élysée-Palast den schwebenden Charakter des Unternehmens eingesteht: "Die genaueren Modalitäten müssen noch definiert werden." Nicht auf der Liste steht das Projekt einer gemeinsamen Digitalsteuer, die Internetriesen wie Google, Facebook und Amazon stärker zur Kasse bitten soll. Sie wird Paris in dieser Woche alleine beschließen und nicht, wie ursprünglich geplant, zusammen mit europäischen Partnern.

Zu Beginn des Jahres hatte Macron mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Aachen die Neuauflage des Élysée-Vertrages unterzeichnet, um die deutsch-französischen Beziehungen zu vertiefen. In seinem Brief löst sich Macron nun von diesem Fokus auf Berlin.

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