EU:Das Gift des Zweifels

Hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt für das deutsche Ja zur Verlängerung der Glyphosat-Zulassung wirklich Zugeständnisse der EU-Kommission ausgehandelt? Damit rechtfertigt er jedenfalls seinen Alleingang.

Von Thomas Kirchner

Nach der denkwürdigen Glyphosat-Entscheidung standen am Dienstag in Brüssel ein paar Fragen im Raum: War es wirklich der deutsche Schwenk, der die Waage kippen ließ? Warum ist Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) dieses Risiko eingegangen, was hat er dafür bekommen? Und stimmt sein Argument, dass die EU-Kommission sich "sowieso", also ohne eindeutige Mehrheit unter den EU-Staaten, für eine Verlängerung der Lizenz entschieden hätte?

Deutschland, das sich in zwei ergebnislosen Abstimmungen zuvor enthalten hatte, sei tatsächlich "Zünglein an der Waage" gewesen, bestätigen EU-Diplomaten. Es ging knapp zu. Denn für eine qualifizierte Mehrheit müssen nicht nur mindestens 55 Prozent der EU-Staaten zustimmen, was ohne Deutschland gelungen wäre. Sondern diese Mehrheit muss auch mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Erst die deutschen zwölf Prozent hievten das Ergebnis auf 65,71 Prozent.

Die Kommission hatte Signale gesendet, dass sie am Ende pro Glyphosat entscheiden würde

Was Schmidt betrifft, erzählt sein Haus die Geschichte einer durch und durch "rationalen" Entscheidung, bei der es allein "um die Sache" gegangen sei. Am Wochenende sei der Minister von EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis telefonisch zur Zustimmung gedrängt worden. Die Kommission werde, auch wenn die Abstimmung wieder keine Mehrheit erbringe, in dieser Woche eine Erneuerung der Lizenz verfügen. Schmidt habe einiges ausgehandelt: Stärkung der Rolle von Biodiversität und Tierschutz, weitere Aufklärung über Gefahren für den Menschen sowie eine Prüfung, wie sich das Genehmigungsverfahren für solche Wirkstoffe verbessern ließe. Außerdem, so Schmidt in der ARD, werde man den Glyphosat-Einsatz in Deutschland "sehr stark reglementieren", ein Verbot der Privatanwendung soll geprüft werden. Mit Ausnahme des letztgenannten Punkts stehen diese Bedingungen tatsächlich in einem Anhang zu der Durchführungsverordnung, deren Text am Dienstag veröffentlicht wurde.

Schmidt habe die Wahl gehabt: Entweder ein Ja zu deutschen Bedingungen - oder wieder eine Enthaltung. "Damit hätten wir den ursprünglichen Kommissionsentwurf - ohne die Bedingungen - de facto durchgewinkt." Was der Landwirtschaftsminister ausgehandelt habe, gehe inhaltlich sogar über das hinaus, was seine Umweltkollegin Barbara Hendricks gefordert habe. Die Empörung über Schmidts Vorgehen sei daher nur "Polittheater".

Von der Kommission war keine Bestätigung für diese Version zu erhalten, man beantworte keine "hypothetischen Fragen". Die Behörde hatte nie den Schwarzen Peter annehmen wollen, allerdings in jüngster Zeit Signale gesendet, dass sie am Ende doch entscheiden werde. Weniger aus Angst vor Schadenersatzklagen der Industrie, vermutet der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne), sondern eher weil eine Nicht-Entscheidung das Ende von Glyphosat bedeutet und "Turbulenzen auf den globalen Agrarmärkten ausgelöst" hätte. Die von Schmidt ausgehandelten Konditionen seien "völlig unverbindlich" und "reine Kosmetik". Aus Frankreich, das gegen die Lizenz-Erneuerung stimmte, kam ebenfalls Kritik, wenn auch nur leise. Ihm wäre es lieber gewesen, sagte Umweltminister Nicolas Hulot, wenn die Deutschen "fester geblieben wären".

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