EU und China:Gefährliche Risse in der europäischen Geschlossenheit

EU und China: Europa ist abhängig von China, ob bei Rohstoffen, Computerchips oder E-Auto-Batterien. Die werden, wie hier, auch im chinesischen Nanjing gefertigt.

Europa ist abhängig von China, ob bei Rohstoffen, Computerchips oder E-Auto-Batterien. Die werden, wie hier, auch im chinesischen Nanjing gefertigt.

(Foto: AFP)

Soll Europa Härte zeigen gegenüber Chinas Weltmachtstreben? Die Ampelparteien in Berlin sind sich da nicht einig, ganz zu schweigen von den 27 EU-Staaten. An einer Frage wird die Kluft besonders deutlich.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Josep Borrell bemühte sich höchstens halbherzig, Optimismus zu verbreiten. Seine Vorschläge, wie die EU mit China umgehen solle, seien gut angekommen, sagte der Außenbeauftragte der Europäischen Union vor einigen Tagen nach einem Treffen der europäischen Außenministerinnen und -minister in Stockholm. Die Gespräche seien "nicht leicht" gewesen. Aber alle 27 Mitgliedsländer seien sich einig, dass Europa seine China-Strategie neu kalibrieren müsse. Alle sähen, dass Peking sich weniger wie ein Partner, sondern mehr wie ein "systemischer Rivale" verhalte. Und dass es notwendig sei, die gefährliche wirtschaftliche Abhängigkeit der EU von China bei wichtigen Rohstoffen und modernen Technologien zu reduzieren - Stichwort "De-Risking".

Wie weit diese Einigkeit in der Praxis reicht, konnte man dann am Sonntag sehen. Da twitterte die ungarische Regierung Bilder von Außenminister Péter Szijjártó, der in einen Learjet stieg. Szijjártó, so hieß es, sei auf dem Weg nach Peking, um dort "über die Vorteile einer Zusammenarbeit mit China" zu sprechen und über "die Chancen, die diese beiden Seiten bietet". Kein Wort von De-Risking oder gar systemischer Rivalität.

"Wenn wir nicht mit einer Stimme sprechen, essen die Chinesen uns zum Frühstück."

Borrell bezeichnet solche Risse in der europäischen Geschlossenheit als "Nuancen". Doch diese Wortakrobatik macht die Uneinigkeit nicht weniger gefährlich. "Wenn wir nicht mit einer Stimme sprechen, essen die Chinesen uns zum Frühstück", warnt ein Diplomat in Brüssel. Denn Peking hat keinerlei Interesse daran, dass sich die EU von China unabhängiger macht und an die Seite Washingtons stellt, wo längst nicht mehr nur über De-Risking, sondern eher über ein "Decoupling" gesprochen wird, über eine weitgehende Abkoppelung. Pekings Gegenstrategie besteht darin, die in Europa vorhandenen Risse zu vergrößern und auszunutzen - zum Beispiel, indem es einzelne EU-Mitglieder wie Ungarn gezielt umwirbt.

Die treibende Kraft hinter der europäischen De-Risking-Strategie ist die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Ihre Behörde hat in den vergangenen Monaten etliche Gesetze vorgeschlagen, die alle das Ziel haben, Europas Abhängigkeit von chinesischen Lieferungen zu verringern - bei strategisch relevanten Rohstoffen wie Seltenen Erden, aber auch bei grüner und Hochtechnologie wie Batterien für Elektroautos und Computerchips. Das Risiko, von Peking im Konfliktfall sicherheitspolitisch in Geiselhaft genommen werden zu können, soll dadurch minimiert werden. "Es geht um mehr Resilienz", sagt ein Diplomat.

EU und China: Partner? Rivalen? Mancher in Berlin hat eine klarere Vorstellung vom Verhältnis zu China als Kanzler Olaf Scholz (l.), hier im November bei einem Besuch bei Chinas Staatspräsident Xi.

Partner? Rivalen? Mancher in Berlin hat eine klarere Vorstellung vom Verhältnis zu China als Kanzler Olaf Scholz (l.), hier im November bei einem Besuch bei Chinas Staatspräsident Xi.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Für von der Leyen ist das die logische Konsequenz aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Der Krieg hat gezeigt, wie gefährlich es für die EU ist, sich wirtschaftlich von einer aggressiven Diktatur abhängig zu machen. Im Falle Russlands beschränkte sich diese Abhängigkeit auf Öl- und Gaslieferungen. Sich daraus zu lösen, war trotzdem schwierig und teuer. Im Falle Chinas ist Europas Abhängigkeit hingegen ungleich größer, sie umfasst in der einen oder anderen Form so gut wie alles, was man braucht, um eine wettbewerbsfähige Ökonomie zu unterhalten oder diese klimaneutral umzubauen.

Genau das macht es für die EU-Länder so schwierig, sich darauf zu einigen, was De-Risking in der Realität bedeuten soll - selbst wenn, wie es erwartet wird, die Staats- und Regierungschef den Begriff bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel Ende Juni offiziell in die Abschlusserklärung schreiben sollten. "Die Positionen liegen hier noch ziemlich weit auseinander", sagt ein Diplomat.

Manche wollen wegen Russlands Krieg auch chinesische Firmen sanktionieren

Das spiegelt sich auch in dem Arbeitspapier wider, das Borrell als Diskussionsgrundlage für das Außenministertreffen in Stockholm vorige Woche geschrieben hat. Es besteht zu einem guten Teil aus Formulierungen, in denen sich alle 27 EU-Länder irgendwie wiederfinden können. Einerseits sei klar, so stellt Borrell fest, dass Peking das Ziel habe, die westliche Weltordnung zu verändern, dass es seine wirtschaftliche Macht nutze, um politisch aggressiv aufzutreten. Andererseits müsse Europa aber weiter mit China zusammenarbeiten, wo es nötig und möglich sei, zum Beispiel beim Klimaschutz. Borrells Papier für die Außenminister klingt damit deutlich zurückhaltender als die Rede, in der Ursula von der Leyen vor einigen Wochen ihre De-Risking-Pläne dargelegt hatte.

In einem konkreten Fall ist diese Kluft zwischen Kommission und EU-Regierungen, was die Konfrontationsbereitschaft gegenüber Peking angeht, derzeit offen sichtbar: Die Kommission hat vorgeschlagen, in dem neuen Sanktionspaket gegen Russland auch Strafmaßnahmen gegen eine Handvoll chinesischer Firmen festzuschreiben, die das russische Militär und damit den Krieg in der Ukraine unterstützen. In vielen EU-Hauptstädten gibt es jedoch erhebliche Bedenken dagegen, Peking so vor den Kopf zu stoßen. Auch Berlin ist von der Idee nicht begeistert.

Die europäische Konsensfindung wird im Übrigen auch nicht gerade befördert durch den Umstand, dass die deutsche Regierung intern immer noch nach ihrer eigenen China-Strategie sucht. Die Bandbreite der Positionen in der EU decke sich ziemlich genau mit der Bandbreite der Positionen in der Ampelkoalition, lästert ein Brüsseler Diplomat.

Zwischen den Grünen um Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Peking eher hart angehen wollen, und Kanzler Olaf Scholz, der die Beteiligung eines chinesischen Staatskonzerns an einem Teil des Hamburger Hafens genehmigt hat, liegt tatsächlich ein breiter Graben. Scholz verwendet den Begriff De-Risking zwar selbst, aber gerne mit einem vorangestellten Adjektiv: "klug". Die Definition, was im Einzelfall dummes und was kluges De-Risking ist, scheint er sich dabei persönlich vorzubehalten. Nicht alle in Brüssel halten das für kluge deutsche Führung.

Allerdings gibt es in der EU durchaus auch Beobachter, die meinen, dass Europa sich im Umgang mit China nicht selbst zu klein machen sollte. Pekings nervöse Reaktion auf die De-Risking-Debatte zeigt, dass China etwas zu verlieren und die EU damit einen Hebel hat. So wurde in Brüssel aufmerksam registriert, dass Peking dringend ein Abkommen mit der EU wiederbeleben möchte, das wechselseitige Investitionen erleichtern soll. Der Vertrag liegt auf Eis, weil Peking Einreiseverbote gegen mehrere EU-Abgeordnete erlassen hat, die die Unterdrückung der Uiguren in China kritisiert hatten.

Peking hatte Brüssel jüngst angeboten, diese Sanktionen aufzuheben - ohne zugleich eine Gegenleistung zu fordern. Das sei ein eher "unchinesisches" Verhalten gewesen, sagt ein Diplomat. "Aber die Chinesen fürchten, dass die EU und die USA geschlossen auftreten. Deswegen wollen sie den Westen und Europa spalten."

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