Nach dem EU-Gipfel:Wie es bis zum neuen Brexit-Stichtag weitergeht

Was bedeutet das für die Europawahl? Und wie kommt der Kompromiss vom EU-Gipfel bei Briten und Europäern an? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Brexit-Aufschub.

Von Thomas Hummel

Was wurde entschieden?

Großbritannien scheidet nicht am Freitag ohne Austrittsvereinbarung aus der Europäischen Union aus. Der Europäische Rat, dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder angehören, einigte sich darauf, das Austrittsdatum auf den 31. Oktober zu verschieben. Um eben den No-Deal-Brexit zu verhindern. Falls das britische Unterhaus das Austrittsabkommen mit der EU ratifiziert, kann das Land schon früher ausscheiden. Im Juni soll beim regulären Gipfel der Staats- und Regierungschefs nochmals über den Brexit und die Entwicklungen in London gesprochen werden.

Warum der Halloween-Termin?

Dass der Brexit nun auf das Halloween-Fest fällt, dürfte Satirikern und Beschwörern dunkler Mächte ordentlich Stoff geben. Die offizielle Begründung ist, dass am 1. November die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufnimmt. Bei dem Datum, dem 31. Oktober, scheint es sich aber vor allem um einen Kompromiss der 27 verbleibenden EU-Länder zu handeln.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängte auf ein schnelles Ende des Brexit-Dramas und würde auch einen No-Deal-Austritt der Briten hinnehmen, falls der Streit um den Brexit die Handlungsfähigkeit der EU beeinträchtigen sollte. Dieser Verdacht ist nicht aus der Luft gegriffen, wie etwa Aussagen von Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg zeigen. Rees-Mogg erklärte, falls sein Land schon gegen seinen Willen in der EU gehalten werde, solle es so unbequem wie möglich auftreten und alles blockieren.

Deutschland, die meisten anderen EU-Länder und auch Ratspräsident Donald Tusk wollten den Briten hingegen noch mehr Zeit geben. "Wir kämpfen und setzen uns ein für einen geordneten Austritt. Nicht wegen britischer Forderungen, sondern im eigenen Interesse", sagte eine merklich müde Kanzlerin Angela Merkel in der Nacht in Brüssel.

Was bedeutet das für die Wahlen zum Europäischen Parlament?

Eigentlich war der 12. April als Austrittsdatum gewählt worden, weil die Briten spätestens in der kommenden Woche die Vorbereitungen für die Europawahl einleiten müssen. Da das Datum nun ohne Brexit verstreicht, müssen sie tatsächlich die formalen Vorbereitungen treffen. Sofern sich EU und Großbritannien nicht doch noch vorher auf einen Deal einigen, müssen sie an der Wahl teilnehmen.

Die Schottische Nationalpartei hat längst Kandidaten ernannt, auch die Konservativen, Labour und die Liberaldemokraten suchen bereits nach Personal. Sogar Nigel Farage, der frühere Chef der EU-Gegner-Partei Ukip, hat angekündigt, wieder antreten zu wollen.

Möglich ist, dass die Briten am 23. Mai 73 Abgeordnete ins Parlament nach Straßburg wählen, diese aber am 1. Juli bei der konstituierenden Sitzung gar nicht mehr anwesend sind. Oder die Briten nehmen ihre Sitze ein, packen aber bis spätestens Ende Oktober wieder ihre Sachen.

Was halten die Europäer davon?

Wenig. Parlamentspräsident Antonio Tajani schimpfte zuletzt, man könne nicht akzeptieren, dass die Europawahl als eine Art Spiel betrachtet werde. Schließlich liegen die Pläne für ein Nach-Brexit-Parlament bereits vor: Die Anzahl der Abgeordneten wird von 751 auf 705 reduziert. Einige der britischen Sitze fallen an EU-Staaten, die bislang unterrepräsentiert sind. So müssten zum Beispiel fünf Franzosen nach der Wahl im Mai warten, bis die Briten austreten, damit sie ihre Sitze einnehmen können. Dennoch besteht die EU auf einer Teilnahme der Briten an der Wahl. Denn weit schlimmer wäre es, wenn die Briten nicht teilnehmen, aber weiterhin Mitglied der EU sind. Damit stünde die demokratische Legitimation des Parlaments und der Wahl der neuen Kommission infrage.

Kanzlerin Merkel äußerte die Hoffnung, die anstehende EU-Wahl könne dazu führen, dass sich die Rebellen in der Konservativen Partei endlich dazu durchringen, dem Austrittsvertrag zuzustimmen. Doch da der Vertrag im Unterhaus schon drei Mal durchgefallen und vor allem die nordirische DUP kategorisch dagegen ist, halten das wenige Beobachter für wahrscheinlich. Dennoch betonte Merkel, dass die EU den Austrittsvertrag keinesfalls mehr ändern werde. Höchstens an der politischen Erklärung über die künftigen Verhältnisse könne noch gearbeitet werden.

Emmanuel Macron zeigte sich skeptisch bis hochgradig genervt vom Halloween-Termin. Er will Veränderungen in der EU voranbringen, der Brexit steht ihm da im Weg. "Wir haben keine Sicherheiten", sagte er, "wir haben erfahren müssen, dass es ziemlich viele Schwierigkeiten gibt." EU-Ratspräsident Tusk richtete sich mit einer Bitte an London: "Bitte verschwenden Sie keine Zeit."

Was halten die Briten davon?

Wie zu erwarten war, sind sie sich nicht einig. Die Brexit-Befürworter halten eine Europawahl der Briten drei Jahre nach dem Referendum für "lächerlich", wie der konservative Abgeordnete Greg Hands sagte. Iain Duncan-Smith, Teil der Hardliner von der European Research Group (ERG) innerhalb der Konservativen, erklärte: "Die Teilnahme an den Wahlen wäre eine absolute Katastrophe für die Partei."

Die EU-Befürworter würden die Wahlen im Mai hingegen zu einer Art zweitem Referendum umdeuten. Nachdem zuletzt etwa eine Million Menschen in London für den Verbleib in der EU demonstriert und etwa sechs Millionen eine Internet-Petition dazu unterzeichnet haben, sehen sich die sogenannten Remainer im Aufwind.

Wie geht es in London weiter?

Die Zeit bis Oktober ist wohl zu kurz, um etwa mit Neuwahlen oder einem zweiten Referendum die politische Statik zu verändern. Theresa May hatte zuletzt erklärt, dass sie als Premierministerin keine Verlängerung über den 30. Juni hinaus hinnehmen werde. Jetzt aber berichtet die britische Presse, dass May nicht abtreten wolle, ehe ein Austrittsvertrag beschlossen sei. Das würden ihr die Hardliner in der Partei übel nehmen. Innerhalb der Konservativen verschiebt sich das Gewicht zunehmend in Richtung unversöhnlicher Nationalisten, und die wollen May so schnell wie möglich loswerden, um einen eigenen Mann zu installieren. Dabei läuft es auf den früheren Außenminister Boris Johnson hinaus. May will das verhindern.

Derzeit versucht sie, mit der Opposition einen Kompromiss auszuloten, was in der britischen Politik äußerst unüblich ist. Ob die beiden Parteien allerdings einig werden, ist fraglich. Der Oktober-Termin mindert hier die Dringlichkeit in den Verhandlungen. Und da kurz nach der Sommerpause sowohl die Konservativen als auch Labour zu ihren Parteitagen zusammenkommen, könnten sich bis Ende Oktober die Positionen erheblich verändern. Erst einmal freuen sich die Abgeordneten aber, dass sie angesichts der Brexit-Verschiebung ihren Oster-Urlaub antreten dürfen.

Ist der 31. Oktober nun das endgültige Brexit-Datum?

Das kann niemand vorhersehen. Zwar würden Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Tusk bis zu ihrem letzten Arbeitstag den Brexit gerne abwickeln. Doch sicher ist das keineswegs. Weder ein No-Deal-Brexit noch eine weitere Verlängerung sind endgültig abgewendet. Und nach wie vor ist möglich, dass die Briten den Brexit noch ganz abblasen.

Zur SZ-Startseite

Leserdiskussion
:Wie bewerten Sie den Brexit-Aufschub?

Die EU hat Großbritannien einen Aufschub bis 31. Oktober gewährt. Die 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten einigten sich auf strikte Bedingungen. Großbritannien kann dem vorliegenden Brexit-Deal nun zustimmen, seine Strategie überdenken oder auch vom geplanten Austritt zurücktreten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: