Großbritannien:Brüsseler Lektüre zum Einschüchtern

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Nicht alle Briten sind mit den Brexit-Plänen ihrer Regierung einverstanden. (Foto: AFP)
  • Die EU hat Notfallpläne für einen ungeordneten Austritt Londons aus der Union in Gang gesetzt.
  • Die Maßnahmen sollen schwerwiegende Auswirkungen auf Bürger und Unternehmen abfedern.
  • Sollte das Vereinigte Königreich die EU am 29. März 2019 ohne einen Vertrag verlassen, droht unter anderem der Zusammenbruch des Flugverkehrs zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa.

Von Björn Finke, London, und Alexander Mühlauer, Brüssel, Brüssel/London

Bei all dem Irrsinn, den der Brexit mit sich bringt, hilft manchmal nur noch Humor. Und so ist es zu begrüßen, dass die Europäische Kommission den Verfechtern eines EU-Austritts am Mittwoch eine vorweihnachtliche Lektüre geschenkt hat. Das gehöre sich auch so, heißt es in Brüssel, schließlich seien es noch 100 Tage bis zum Brexit, aber eben nur noch vier bis Heiligabend. Damit hört der Spaß allerdings auf. Wer die 14 Notfallmaßnahmen für einen Brexit ohne Vertrag liest, dem vergeht das Lachen schnell.

Ganz so ist die Lektüre auch gedacht: Sie soll den Abgeordneten im britischen Unterhaus vor Augen führen, was passiert, wenn das No-Deal-Szenario wahr wird, also ein Brexit ohne Austrittsvertrag. Brüssel hofft, dass damit der Druck in London steigt, dem mit der EU vereinbarten Abkommen zuzustimmen. Brüssel will das Wunschdenken so mancher Brexiteers als Lüge entlarven, die noch immer daran glauben, dass es so etwas wie einen "managed no deal" geben könnte, also ein Bündel an Einzelabkommen, das schnell ausgehandelt werden kann. "Das wird ganz sicher nicht passieren", meinen EU-Diplomaten. Man bereite sich auf das Schlimmste vor.

Sollte das Vereinigte Königreich die EU am 29. März 2019 ohne Vertrag verlassen, droht der Zusammenbruch des Flugverkehrs zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa. Geht es nach der EU-Kommission, sollen zumindest "einige Verbindungen" übergangsweise für zwölf Monate aufrechterhalten bleiben. Großbritannien hat sich dazu bereit erklärt, ähnliche Start- und Landerechte zu gewährleisten.

Brexit
:EU-Kommission beschließt Notfallplan für Brexit ohne Deal

Brüssel will verhindern, dass ab 29. März keine Flugzeuge mehr nach Großbritannien fliegen. Millionen EU-Bürger sollen zudem nicht um ihren Aufenthaltsstatus fürchten müssen.

Das Notfallpaket enthält auch einige Sonderregeln für Finanzdienstleister

Zollerklärungen sollen bereits vor der Ausfuhr nach Großbritannien (oder vor der Einfuhr in die EU) eingereicht werden. Darüber hinaus forderte die Kommission die EU-Staaten auf, ihre Grenzbehörden darauf vorzubereiten, dass nach einem No-Deal-Brexit Zölle erhoben werden müssten. Zudem enthält das Paket Sonderregeln für Finanzdienstleister, mit denen Turbulenzen abgemildert werden sollen.

Ob das klappt, ist allerdings offen. Unsicher wäre vor allem die Lage von Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU. Die Kommission plädierte für "einen großzügigen Ansatz". Die Behörde schlug vor, dass die EU-Staaten britischen Bürgern einen möglichst einheitlichen legalen Aufenthaltsstatus gewähren. Zudem sollen es Absprachen bei der Sozialversicherung geben. London hatte schon zugesagt, dass EU-Bürger, die bereits vor dem Tag des Brexits im Land sind, weitgehenden Schutz genießen sollen.

Die britische Regierung beschloss schon am Dienstag, die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit zu intensivieren. Schatzkanzler Philip Hammond gab weitere zwei Milliarden Pfund frei. Die werden unter anderem dafür verwendet, mehr Grenzbeamte einzustellen. Die Finanzbehörden werden in dieser Woche Emails an 80 000 britische Unternehmen schicken, um diese auf mögliche neue Zollformalitäten hinzuweisen. Etwa 140 000 Firmen exportieren bisher ausschließlich in EU-Staaten. Sie müssten erstmals Zollpapiere ausfüllen, wenn nach einem Brexit ohne Vertrag Zölle eingeführt werden.

Bereits zuvor hatte der Gesundheitsminister Pharmafirmen angewiesen, Medikamentenvorräte aufzustocken. Die zusätzlichen Bestände sollen den Verbrauch von sechs Wochen abdecken. Das Verkehrsministerium erwägt, Fähren zu chartern, um Lastwagen mit wichtiger Fracht vom Festland zu britischen Häfen zu bringen. Ein großer Teil des Handels zwischen dem Königreich und den EU-Staaten wird über Dover und Calais abgewickelt. Am Port of Dover, Europas belebtesten Fährhafen, kommen jeden Tag 60 Schiffe an. An Spitzentagen fertigt der Hafen 10 000 Lastwagen ab. Würden Ende März Zollkontrollen eingeführt, wären Chaos und Staus in den Häfen die Folge. London schätzt, dass die überlebenswichtige Route von Frankreich nach Dover in dem Fall nur zwölf bis 25 Prozent der üblichen Kapazität schaffen könnte, und das bis zu sechs Monate lang. Deswegen will es bei einem ungeregelten Brexit mehr Fracht in andere Häfen umleiten.

Am Mittwoch stellte das Innenministerium zudem einen Entwurf für die künftige Einwanderungspolitik vor. Die soll nach dem Brexit und dem Ende der Übergangsphase in Kraft treten. Bisher können EU-Bürger problemlos im Königreich leben und arbeiten, denn in der EU - und auch in Norwegen und der Schweiz - gilt das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Einwanderung aus der EU kontrollieren zu können, war aber vor dem Referendum eines der wichtigsten Versprechen der Brexit-Kampagne. Daher sieht der Plan vor, in Zukunft EU-Bürger nicht besser zu behandeln als Migranten aus dem Rest der Welt. Europäer würden also für einen Job in Großbritannien ein Visum benötigen und könnten nicht mehr so schnell Sozialleistungen beziehen. Touristen aus Europa sollen weiter visafrei einreisen dürfen.

Bei Hochqualifizierten soll es kein Limit geben, wie viele Arbeitsvisa die Behörden pro Jahr erteilen. Dafür will London die Zahl der geringqualifizierten Einwanderer senken. Sie sollen nur Ein-Jahres-Visa erhalten. Die regierenden Konservativen versprechen seit 2010, die Netto-Einwanderung - die Zahl der Einwanderer abzüglich jener der Auswanderer - auf unter 100 000 pro Jahr zu drücken. Das Ziel wurde immer verfehlt, zuletzt lag der Wert bei 273 000. Innenminister Sajid Javid, Sohn pakistanischer Einwanderer, vermied am Mittwoch, das Versprechen zu wiederholen. Die Zahl der Migranten müsse sinken, sagte er aber. Der größte britische Unternehmerverband CBI klagte, dass weniger Einwanderung der Wirtschaft schaden und das Land ärmer machen würde.

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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