EU:Ende der Qualen

EU: "Get Brexit done": Dass nicht mehr Boris Johnson als Premier in London regiert, dürfte die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien erleichtert haben.

"Get Brexit done": Dass nicht mehr Boris Johnson als Premier in London regiert, dürfte die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien erleichtert haben.

(Foto: Ben Stansall/AP)

Warum Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darauf drängte, den Streit mit den Briten jetzt beizulegen.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Vor einigen Jahren waren es Boris Johnson und die britischen Konservativen, die mit dem Slogan "Get Brexit Done" in den Wahlkampf zogen - der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, 2016 von den Wählerinnen und Wählern des Landes gebilligt, sollte endlich und endgültig vollzogen werden. Am Montag war es dann allerdings die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die in Windsor bei London mit Johnsons Nachnachfolger, Rishi Sunak, die letzten Details festklopfte, um das Scheidungsverfahren abzuschließen. Der Brexit? Done!

Aus Sicht Brüssels endet damit ein quälendes Kapitel EU-Geschichte. Aller britischen Euro-Skepsis zum Trotz hatte 2016 kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass die Briten tatsächlich dafür stimmen würden, die EU zu verlassen. Umso tiefer war die Erschütterung, als sie es tatsächlich taten.

Es dauerte danach nicht lange, bis auch in anderen EU-Ländern rechtspopulistische Politiker und andere Europafeinde begannen, mehr oder weniger laut mit der Idee eines Austritts hausieren zu gehen - von Frankreich über Deutschland bis Polen, von Schweden über Österreich bis Italien. Der Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union stand plötzlich auf der Kippe. Für Europa war das eine höchst gefährliche Phase - eine "Zeit der Desintegration", wie die tschechische EU-Kommissarin Věra Jourová, die unter anderem für den Kampf gegen politische Desinformation und den Schutz der Demokratie in der EU zuständig ist, die Jahre nach dem britischen Referendum im Rückblick nennt.

In Europa sind die Zustimmungswerte für die EU wieder deutlich gestiegen

Dass es anders gekommen ist, hat mit internen und externen Faktoren zu tun. So entschlossen sich die EU-Regierungen ziemlich schnell dazu, London den Austritt nur ja nicht zu leicht zu machen. Der Brexit sollte kein Vorbild für andere EU-Staaten sein. Deswegen durfte er kein großer wirtschaftlicher oder politischer Erfolg für Großbritannien werden. Das war zum Beispiel der Grund, warum Brüssel darauf beharrte, hart über Regeln für den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland zu verhandeln. "Die Wahrheit ist, dass unsere Partnerschaft nicht die gleiche sein kann und wird wie zuvor", sagte von der Leyen vor drei Jahren in einer Rede in London. "Und sie kann und wird nicht so eng sein wie zuvor - weil jede Entscheidung auch eine Folge hat."

Allerdings haben die Umstände sich geändert. Großbritanniens EU-Austritt hat nicht zu einem rasanten Anstieg des wirtschaftlichen Wachstums und politischen Ansehens geführt. Im Gegenteil: Die Covid-Pandemie und Russlands Überfall auf die Ukraine haben in Europa die Zustimmungswerte der Europäischen Union steigen lassen. Bis auf die deutsche AfD fordert keine nennenswerte rechtspopulistische Partei in Europa mehr den Austritt ihres Landes aus der EU. Und im Gegensatz zur AfD gewinnen die Rechten mit diesem neuen Kurs Wahlen, siehe Schweden oder Italien.

Dieser Gesinnungswandel wird in Brüssel zwar weniger mit neu entdeckter Liebe der Nationalisten zu Europa erklärt, sondern eher mit den Unmengen an Geld, die Brüssel verteilt, um die Folgen dieser Krisen abzufedern. Selbst eine Regierung wie die ungarische, die ständig gegen Brüssel hetzt, nimmt gerne die Milliarden. Dennoch hat diese Entwicklung die Fliehkräfte in der EU gemindert und der Kommission mehr Raum für Nachgiebigkeit im Umgang mit London gegeben - zumal die meisten EU-Vertreter, allen voran von der Leyen, wohl liebend gern Großbritannien gegen Ungarn tauschen würden. Es ist daher nicht mehr unbedingt notwendig, die Regierung in London möglichst hart anzufassen, um ein Exempel für andere Austrittswillige zu statuieren.

Zudem ist einer Transatlantikerin wie von der Leyen, die in London gelebt und studiert hat, angesichts des Krieges in der Ukraine klar, dass Großbritannien und die EU sich nicht ewig über die letzten Details ihrer Trennungsmodalitäten streiten können. Londons Unterstützung wird im Kampf gegen den russischen Imperialismus gebraucht - auch das hat dazu beigetragen, dass die EU-Kommission kompromissbereiter wurde und die Kommissionspräsidentin sich aktiver in die Gespräche mit London eingemischt hat. Dass dort nicht mehr der Schwadroneur Boris Johnson regiert, sondern der nüchterne Rishi Sunak, dürfte auch geholfen haben.

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