EU-Sanktionen gegen Belarus:Beschämend späte Reaktion

EU: Charles Michel und Ursula von der Leyen

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, begrüßt die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vor der Sitzung in Brüssel.

(Foto: imago images/Xinhua)

Die Schuld an den späten EU-Sanktionen gegen Belarus trägt nicht nur Zypern - auch wenn das Land auf Erpressung setzte, um Hilfe für seine Probleme mit der Türkei zu bekommen. Die Probleme liegen tiefer.

Kommentar von Matthias Kolb, Brüssel

Es ist eine überfällige Entscheidung: Die Europäische Union wird 40 belarussische Regierungsbeamte bestrafen, weil sie an den massiven Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl im August zugunsten des Machthabers Alexander Lukaschenko beteiligt waren. Ihnen drohen nun Kontensperrungen und Einreiseverbote.

Diese Sanktionen werden Lukaschenko nicht zum Umdenken bewegen (er selbst wird vorerst geschont, um die Chance auf eine Vermittlungslösung zu wahren), aber sie sind trotzdem richtig und sehr wichtig.

Die EU muss die wenigen Einflussmöglichkeiten nutzen, die sie in Belarus hat. Sanktionen sind ein gutes Signal der Unterstützung für die friedliche Demokratiebewegung. Wenn in einem Nachbarstaat fundamentale Werte verletzt werden, dann ist die EU noch dringender als sonst gefordert, dies zu verurteilen - und es muss schnell geschehen. Hier haben die 27 Mitgliedstaaten versagt, es war schlicht beschämend, dass die Sanktionen erst nach knapp zwei Monaten beschlossen wurden, nachdem sie lange von Zypern blockiert wurden.

Es wäre falsch, die Schuld an diesem Kratzer an der Glaubwürdigkeit der EU einzig und allein Zypern zu geben. Natürlich ist es eigentlich ein Unding, zwei Dossiers zu verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben, wie es Präsident Nikos Anastasiades getan hat. Und wie fast immer in der Politik ist es auch nicht so, dass Zypern zu allen Kompromissen bereit wäre und ausschließlich die Türkei für ihre eigenen Interessen kämpft.

Alle Mitglieder müssen sich auf die EU verlassen können

Aber zwei Dinge sind unbestritten: Zypern gehört ebenso wie Griechenland der EU an und muss sich darauf verlassen können, dass die anderen Mitglieder seine Souveränität und seine Anliegen verteidigen. Das Beispiel Brexit, der die Republik Irland am härtesten trifft, illustriert deutlich, dass auch für die kleinen Mitglieder im Club gekämpft werden muss.

Die wochenlange "Geiselnahme" der Belarus-Sanktionen zeigt aber, dass Zypern lange nicht das Gefühl hatte, dieses 'sich auf andere verlassen können' würde funktionieren. Seit Monaten klagt es über die Erdgasbohrungen vor seiner Küste, wegen derer schon ein Sanktionsregime gegen die Türkei gestartet wurde. Selbstverständlich waren viele Regierungen 2020 vor allem mit der Bewältigung der Corona-Pandemie beschäftigt und haben so womöglich die Rufe aus Nikosia nicht so ernst genommen.

Trotzdem - die vergangenen Wochen, in denen offen über etwas so Selbstverständliches wie die zentrale Bedeutung des Rechtsstaats gestritten wurde, haben gezeigt, wie sehr es zurzeit in Europa am Vertrauen untereinander mangelt. Und so kam es, wozu es in der EU immer wieder kommt: Eine quälende Suche nach Einigkeit und einem für alle akzeptablen Kompromiss, den letztlich nur die Staats- und Regierungschefs in kleiner Runde hinkriegen können.

Ein Angebot, damit Erdoğan auf Provokationen erzichtet

Dies ist an diesem Abend, auf der Grundlage von unzähligen Telefonaten und Videokonferenzen, mal wieder gelungen. Es haben sich jene Politiker durchgesetzt, zu den Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Charles Michel gehören; sie wollen der Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein attraktives Angebot machen, damit er künftig auf Provokationen verzichtet.

Die Erklärung ist ausgewogen, weil sie einerseits keine Zweifel an der Solidarität mit Zypern und Griechenland lässt und zusagt, spätestens im Dezember bei einem Gipfel wieder über das östliche Mittelmeer zu beraten. Er sei "absolut zufrieden" mit dem Ergebnis, sagte Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis anschließend.

Andererseits kann Erdoğan schwarz auf weiß lesen, worüber verhandelt werden könnte, wenn er verlässlicherer agiert und auf Beschimpfungen und auf außenpolitische Abenteuer verzichtet.

Es gibt berechtigte Zweifel, dass Erdoğan mit seinen neo-osmanischen Tendenzen dazu bereit und in der Lage ist - vor allem über längere Zeit hinweg. Aber es ist gut und richtig, diesen Weg zu versuchen und es weiter mit Diplomatie zu versuchen. Wenn die Türkei nicht deeskaliert und Schritte auf Zypern zugeht, wird die EU handeln müssen. Dann darf sie auch nicht vor Sanktionen zurückschrecken. Denn auch hier geht es um Glaubwürdigkeit - gegenüber eines Mitglieds im Club und der ganzen Welt.

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