Zur Abwechslung hat Ungarn mal nicht blockiert. Seit Viktor Orbán, der notorisch russlandfreundliche und ukrainekritische Regierungschef, sich in Budapest Ende 2023 seine Zustimmung zu Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Kiew hat abringen lassen, läuft dieser Teil der europäischen Ukraine-Politik relativ reibungslos. Ungarn verzichtete darauf, die seither notwendigen Zwischenentscheidungen zu torpedieren – am Dienstag stand deswegen mit dem Segen Orbáns ein Art Festakt auf der Tagesordnung: Bei einer europäisch-ukrainischen Ministerkonferenz am Dienstagnachmittag in Luxemburg wurden die Gespräche über eine Aufnahme des geschundenen Landes in die EU offiziell begonnen.
Eine ähnliche Konferenz sollte am Dienstagabend auch zwischen Vertretern der EU und der Republik Moldau stattfinden. Auch mit diesem südosteuropäischen Staat führt Brüssel dann offiziell Verhandlungen. Beiden Ländern wurde der Kandidatenstatus von der EU im Sommer 2022 zugesprochen, wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Und in beiden Fällen war diese Entscheidung eher politisch motiviert und als Signal der Solidarität mit zwei westlich orientierten Staaten in einer von Russlands Imperialismus bedrohten Region gedacht.
Orbán soll wenige Gelegenheiten für Störmanöver erhalten
Dass die Ukraine und Moldau wegen ihrer wirtschaftlichen Schwäche und ihren politischen Defiziten auf absehbare Zeit keine EU-Mitglieder werden, dürfte allen Beteiligten klar sein. Manche Beobachter bezweifeln sogar, dass das je der Fall sein wird. Auch die EU hat sich einige sehr schwierige interne Reformen vorgenommen, die vor einer neuen Erweiterungsrunde geschafft werden sollen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ die Probleme am Dienstag in einer Grußbotschaft an die Konferenzen in Luxemburg anklingen: „Der vor uns liegende Weg wird anspruchsvoll, aber auch voller Chancen sein“, schrieb sie.
Die Regierungskonferenzen in Luxemburg fügen sich in eine eng getaktete Choreografie der EU ein, mit der wiederum Viktor Orbán zu tun hat. Denn Ungarn übernimmt am 1. Juli für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der Union. Welche Themen dann auf der Agenda der 27 Regierungen stehen, wird zum Teil in Budapest mitbestimmt. Um Orbán, der die Beitrittsverhandlungen mit Kiew nach eigener Aussage für einen Fehler hält, möglichst wenige Gelegenheiten für Störmanöver zu geben, wurden die Treffen mit der Ukraine und Moldau auf den 25. Juni gelegt. Sie fielen damit noch in die Zuständigkeit der belgischen Ratspräsidentschaft.
Beim EU-Gipfeltreffen an diesem Donnerstag und Freitag wird dann der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij als Gast in Brüssel erwartet. Er bekommt als politisches Geschenk nicht nur den Beginn der Beitrittsverhandlungen, sondern auch ein neues europäisch-ukrainisches Sicherheitsabkommen, das er sowie von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel unterzeichnen werden.
Das Versprechen der EU klingt beeindruckender als es ist
Das Abkommen enthält keine militärisch relevanten Beistandsklauseln wie etwa der Nato-Vertrag. In der Übereinkunft wird aber die Zusage der EU schriftlich fixiert und ausgeführt, die Ukraine langfristig und berechenbar mit Waffenlieferungen und der Ausbildung von Soldaten in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren zu unterstützen. Bisher waren derartige Versprechen vor allem in EU-Gipfeldokumenten festgehalten worden.
Die Orbán-Regierung hat sich der Verabschiedung des Dokuments nicht in den Weg gestellt – auch dieser mögliche Streitpunkt sollte offenbar vor Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft abgeräumt werden. Budapest blockiert aber nach wie vor einen wichtigen Mechanismus, um die Zusagen aus dem Abkommen in die Praxis umzusetzen: Die EU-Regierungen haben schon vor Monaten beschlossen, einen speziellen europäischen Etat, aus dem Waffenkäufe für Kiew bezahlt werden, um fünf Milliarden Euro aufzustocken.
Per Veto verhindert Ungarn allerdings, dass das Geld aus diesem sogenannten Ukraine Assistance Fund (UAF) auch tatsächlich abfließen kann. Das Versprechen der EU in dem Sicherheitsabkommen, die Waffenlieferungen an die Ukraine „zu beschleunigen und zu verstärken“ und jedes Jahr weitere Milliardenbeträge in den UAF nachzuschießen, klingt daher beeindruckender, als es in Wahrheit ist.
Weil Ungarn bei der Freigabe von Mitteln für Waffenkäufe so hartnäckig bremst, hat die EU sich einen Trick einfallen lassen: Am Montag gab sie eine Tranche in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für diesen Zweck frei. Das Argument Brüssels: Da dieses Geld aus den Zinserträgen von in Europa eingefrorenem russischen Zentralbankvermögen stamme – nicht von EU-Steuerzahlern – und Budapest der Konfiszierung im Grundsatz zugestimmt habe, sei ein ungarisches Veto gegen die Verwendung nun nicht mehr möglich.