EU-Beitritt der Türkei:"Kein Kandidat bekommt ein Zieldatum"

Zwischen der EU und der Türkei ist neuer Streit um den Beitritt des Landes entbrannt. Brüssel lehnt türkische Forderungen ab, schon jetzt einen festen Termin für die Aufnahme zu bekommen. Ministerpräsident Tayyip Erdogan verlangt aber eine Zusage für 2013, 2014 oder 2015.

Martin Winter und Kai Strittmatter

Der Vorstoß des Regierungschefs wurde sowohl in der EU-Kommission wie im Europäischen Parlament zurückgewiesen. ,,Kein Beitrittskandidat bekommt ein Zieldatum'', hieß es in der Kommission. Dabei wurde auf einen europäischen Gipfelbeschluss vom vergangenen Dezember verwiesen, in dem es heißt: ,,Die Union wird erst dann Termine für einen Beitritt festlegen, wenn die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen.''

Mit der Türkei sind bislang gerade mal zwei von 35 Verhandlungskapiteln eröffnet worden, und solange der Konflikt um Zypern nicht geregelt ist, sind acht Kapitel ganz von den Verhandlungen ausgenommen. Dennoch bestand Erdogan im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung darauf, ,,jetzt ein Ziel zu setzen''.

Wunsch nach ,,Roadmap''

Widerstand gegen diese Forderung formiert sich auch im Europäischen Parlament. Was die Türkei wolle, bezeichnete Werner Langen (CDU), der Vorsitzende der deutschen Gruppe in der Europäischen Volkspartei, als ,,absolut unrealistisch''.

Der Chef der sozialistischen Fraktion, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, riet der Türkei, sich lieber auf ihre Reformen zu konzentrieren. Zieldaten seien ,,nicht zielführend''. Damit spielte er auf die Erfahrung der EU mit früheren Beitritten an, als Aufnahmetermine versprochen wurden, bevor die Verhandlungen beendet waren. Langen nannte Polen, Rumänien und Bulgarien.

Für die Liberalen riet deren Fraktionsvorsitzender Graham Watson der Türkei, die Ruhe zu bewahren und ,,keinen Druck auf die deutsche EU-Präsidentschaft auszuüben, ein Datum zu setzen''. Wichtiger sei jetzt, die Verhandlungen fortzusetzen.

Ein Rat, den auch Schulz Ankara gibt. Zugleich sagte Schulz, dass man sich zunehmend Sorgen um die Türkei machen müsse. ,,Erdogan spaltet das Land.'' Schulz bezog sich dabei auf die Großdemonstration vom Wochenende gegen eine mögliche Kandidatur Erdogans für das Amt des türkischen Präsidenten.

Bei der deutschen Ratspräsidentschaft stieß Erdogan auf wenig Gegenliebe. Wie er im Gespräch mit der SZ berichtet, erläuterte er Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende bei Gesprächen in Hannover seinen Wunsch nach einer ,,Roadmap''. Sie habe dazu aber ,,nicht Stellung genommen''.

Erdogan beklagte, dass sein Land von der Europäischen Union nicht fair behandelt werde. Ankara kritisiert seit Monaten, dass sich im Streit um Zypern nichts bewegt. Weil die Türkei ihre Flug- und Seehäfen für zyprische Warentransporte geschlossen hält, hat die EU einige Verhandlungskapitel vorerst von den Gesprächen ausgeklammert und festgelegt, dass andere Kapitel zwar besprochen, aber nicht abgeschlossen werden dürfen.

Das war die Voraussetzung dafür, dass Zypern seine Totalblockade der Gespräche mit der Türkei aufgab. Zugleich sagte die EU der Türkei zu, sich für ein ,,Direkt-Handelsabkommen'' mit dem türkisch beherrschten Nordzypern einsetzen zu wollen. Dies würde dem isolierten Norden den europäischen Markt öffnen. Das scheitert aber bisher am Widerstand der griechisch dominierten zyprischen Regierung, was in Ankara starke Verärgerung ausgelöst hat.

Mit seinem Vorstoß für ein Zieldatum, der in Brüssel als vor allem innenpolitisch motiviert gilt, hat Erdogan sich aber nicht nur in Gegensatz zu den Beschlüssen der EU gestellt. Er lässt damit nach Ansicht der Abgeordneten Schulz, Watson und Langen auch außer Betracht, dass eine solide Mehrheit im Europäischen Parlament jegliche weitere Beitrittszusagen von einer grundlegenden Reform der EU abhängig macht, wie sie der Verfassungsvertrag bringen sollte.

Diese Position wird auch von Bundeskanzlerin Merkel vertreten. Selbst wenn die Türkei bei den Verhandlungen schon wesentlich weiter wäre, müsste sie auf einen Termin bis nach einer Reform der ganzen Union warten.

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