Zukunft Europas:Der EU-Wahlkampf muss zur Bewegung werden

Berlin Pulse of Europe Deutschland Berlin 27 01 2019 Demonstration von Pulse of Europe unter de

Der "Pulse of Europe" muss wieder spürbar werden - wie hier in Berlin bei einer Demo im Januar.

(Foto: imago/Christian Spicker)

Um den Nationalisten Paroli zu bieten, muss Europa solidarischer, sozialer, bürgernäher werden. Aber wo bleibt der Wahlkampf, der all das zum Thema macht?

Kommentar von Heribert Prantl

In vier Monaten ist die Europawahl schon vorbei. Es ist die wichtigste Wahl in Europa seit Jahrzehnten, aber man merkt von dieser Wichtigkeit leider nicht viel. Diese Europawahl müsste die Antwort geben auf den neuen Nationalismus und den populistischen Extremismus, der Europa auffrisst. Aber wenn der Wahlkampf nicht endlich mit Verve beginnt, kann man die Kommentare zum Wahlergebnis jetzt schon schreiben: Es wird Entsetzen, Heulen und Zähneknirschen sein nach dem Wahltag, weil Europagegner und Europafeinde das Parlament in den Griff nehmen.

Vorbereitung und Ablauf der ersten Europaparteitage in Deutschland sind wie business as usual. Es ist aber nichts wie bisher, es steht ein welthistorisches Projekt auf dem Spiel. Soll Europa, kaum aufgeblüht, schon wieder verblühen? Europa hat Fehler, Europa macht Fehler, aber der Nationalismus ist ein einziger großer Fehler. Bei aller Kritik an Europa - die meisten Bürgerinnen und Bürger wollen dieses Europa der EU, aber sie wollen es anders: sozial, solidarisch, bürgernah. Wie eine bürgernahe EU aussehen könnte, das müsste das Thema des Wahlkampfs sein. Europa darf nicht den Nationalisten in die Hände fallen.

Das Europäische Parlament ist ein Weltwunder: Es ist die einzige direkt gewählte supranationale Institution der Welt. Es ist aber zugleich das einzige demokratische Parlament weltweit, das massiv an Zustimmung verliert. Es ist also ein makabres Weltwunder, ein europäisches Paradoxon: Je wichtiger dieses Parlament geworden ist, und es ist wirklich wichtiger geworden (wenn auch noch nicht wichtig genug) - desto mehr hat es seine Basis verloren. Das muss sich ändern. Das geht nicht von selbst; der "Pulse of Europe" muss wieder spürbar werden. Es reicht nicht, wenn den Gründern dieser Bewegung demnächst der Erich-Fromm-Preis überreicht wird. Der Wahlkampf zum neunten direkt gewählten EU-Parlament muss zu einer Bewegung werden - nicht nur der politischen Parteien, die sich zu Europa bekennen; zu dieser Bewegung müssen auch Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen, Wohlfahrtsverbände und Bürgerinitiativen gehören. Warum? Weil die EU trotz all ihrer Fehler das Beste ist, was den Europäern in ihrer langen Geschichte passiert ist. Gewiss: Wer seinen Nationalstaat als Heimat erlebt hat, will daraus nicht vertrieben werden. Er will, wenn die Heimat Nationalstaat zu schwach wird, Europa als zweite oder dritte Heimat. Diese europäische Heimat zu bauen - dieses Versprechen muss im Mittelpunkt einer Europa-Bewegung stehen.

Das Europa der EU ist kein Projekt, auf dem man sich ausruhen könnte; die multiplen Spaltungen müssen überwunden werden. Daher wäre Ruhe tödlich. Goethes berühmtes Gedicht mag als Warnung dienen. Er hat es einst mit dem Bleistift auf die Holzwand einer Jagdhütte im Thüringer Wald geschrieben: "Über allen Gipfeln ist Ruh". Im Goethehäuschen, das später dort errichtet wurde, steht es heute in vielen Sprachen. Es handelt natürlich nicht vom Wahlkampf, ist aber darauf anwendbar. Es geht nämlich darum, dass sich nichts, aber auch gar nichts rührt - und es endet dann im sehr Grundsätzlichen: Man spürt, heißt es da, kaum einen Hauch. Und deswegen kommt Goethe zu einer eindringlichen Mahnung: "Warte nur, balde - ruhest du auch." Das ist ein Memento für Europa.

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