Brexit:May hat ein Hochrisikospiel begonnen

Brexit: Die Vorstellung der Brexiteers von Souveränität ist kindisch. Dem hat Theresa May zu wenig entgegengesetzt.

Die Vorstellung der Brexiteers von Souveränität ist kindisch. Dem hat Theresa May zu wenig entgegengesetzt.

(Foto: AFP)

In den Verhandlungen um britische Souveränität und den EU-Ausstieg hat die Premierministerin allen Seiten nach dem Mund geredet. Ihr droht das politische Ende.

Kommentar von Stefan Kornelius

Theresa Mays Brexit-Deal hat in Großbritannien Hysterie ausgelöst. Hysterisch reagieren beide Seiten, die harten Brexit-Befürworter wie die Freunde einer engen Anbindung an die EU. Denn der Entwurf für das Abkommen sagt genau das, was man schon lange weiß: Der Austritt aus der Europäischen Union ist weder kostenfrei zu haben, noch wird es dem Land danach besser gehen.

Der Beifall aus Europa für die Vereinbarung kommt indes zu früh. Natürlich bietet die britische Unterwerfung auf Zeit erst einmal die ersehnte Ruhe. Faktisch bleiben die Märkte erhalten, die Beiträge fließen. Aber die Ruhe ist trügerisch, schon kommen Schuldzuweisungen. Europa tat bei den Verhandlungen gut daran, seine Prinzipien über die Integrität des Binnenmarkts zu verteidigen und an der Seite Irlands zu stehen. Es sollte nun der Selbstzerfleischung der Briten nicht teilnahmslos zusehen, sondern Mays Defizite ausgleichen, etwa indem es ihr hilft, in der irischen Grenzfrage eine gesichtswahrende Lösung zu finden.

Dass Mays Plan in beiden Lagern in Großbritannien Empörung auslöst, ist dagegen zunächst nicht weiter tragisch. Der Moment der Wahrheit ist immer schmerzhaft. Fraglich ist aber, ob die von der Premierministerin vorgeschlagene Lösung den Brexit-Wunsch befriedigt und ob ihr taktisches Spiel mit Parlament und Europäischem Rat aufgeht. Beide Fragen lassen sich noch nicht beantworten. May hat ein Hochrisikospiel begonnen, an dessen Ende ihr politisches Ende stehen könnte.

May hat vor den Problemen kapituliert

Inhaltlich hat sie vor den Problemen kapituliert und nur Zeit erkauft. Großbritannien kann nicht einerseits seine Souveränität zurückerlangen und andererseits intensive Handelsbeziehungen zur EU pflegen. Handelsverflechtungen gehen mit einem Verlust an Eigenständigkeit einher. Auch in einem Freihandelsvertrag mit der weitaus mächtigeren EU müssten die Briten große Teile der Regeln aus Brüssel akzeptieren.

Großbritannien kann auch nicht seine territoriale Geschlossenheit aufrechterhalten, ohne die (Handels-)Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu schließen. Nachdem May das Nordirland-Thema zur Frage nationaler Identität erklärt hat, konnte sie sich nicht mehr auf eine mit der EU ausgemauschelte sanfte Grenzvereinbarung einigen. Das war ihr größter Fehler. Nun steckt sie in der Falle, die auch später noch zuschnappen wird, wenn sie tatsächlich einmal ein elaboriertes Handelsabkommen mit der EU abschließen sollte: Entweder sie muss ihr Souveränitätsversprechen brechen oder eine harte Grenze einziehen. Dann wird sie Gewalt in Nordirland ernten.

Das Empire ist tot

May war auch schlecht beraten, bereits jetzt das Abkommen zu präsentieren. Nun hat das Parlament fünf Wochen Zeit, es zu zerpflücken. Die Dringlichkeit, die durch eine Präsentation näher am Austrittstermin entstanden wäre, hätte wertvollen Druck entfaltet. Und wo bitte blieb das Verhandlungsdrama in Brüssel, die Nachtsitzung, jene Szene, in der sie persönlich kämpft und ihr Land hinter sich vereint?

Das Hauptproblem aber ist: Großbritanniens Vorstellung von Souveränität passt nicht mehr in diese Welt, in der das Empire tot ist und die nationale Größe plattgewalzt wird von neuen Giganten wie China. Die Briten brauchen Europa, wie Europa die Briten braucht. Die Vorstellung der Brexiteers von Souveränität ist kindisch. Sie verkennt den Einfluss der Briten in der EU und macht das Land schwächer als nötig. Man könnte May zugute halten, dass sie diese Erkenntnis teilt und mit einer unbefristeten Zollunion eine stille Kapitulation anstrebt. Wäre es so, hätte sie eine Kampagne für ein modernes Verständnis von Souveränität starten müssen. So aber redete sie beiden Seiten nach dem Mund und bezahlt nun einen Preis für ihre Unentschlossenheit.

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