Süddeutsche Zeitung

EU-Aufnahme in Gefahr:Ein Anschlag auf ganz Kroatien

Lesezeit: 2 min

Nach der Ermordung des einflussreichen Journalisten Pukanic steht der EU-Beitritt des Landes auf dem Spiel.

Enver Robelli

In seinem letzten Kommentar ärgerte sich der Journalist Ivo Pukanic noch über die kroatischen Medien. Diese würden die Gefahr durch die Kriminalität hochspielen, schrieb er. Am Donnerstagabend wurde der umstrittenste Journalist Kroatiens selbst Opfer eines Anschlags. Im Innenhof der NCL-Mediengruppe, zu der auch die Zeitschrift Nacional gehört, für die er schrieb, im Zentrum der Hauptstadt Zagreb also, war ein Sprengsatz explodiert, ehe Pukanic und sein Marketingchef in das geparkte Auto einsteigen wollten. Die beiden Männer waren sofort tot.

Der Mordanschlag hat Kroatien erneut in Aufruhr versetzt. In den Zeitungskommentaren hieß es, die Unterwelt habe die Macht übernommen. Erst Anfang des Monats war in Zagreb die Tochter eines prominenten Anwalts hingerichtet worden, der den ehemaligen General Vladimir Zagorec verteidigt.

Zagorec ist von der Justiz als mutmaßlicher Kriegsgewinnler angeklagt. Der Waffenhändler wurde kürzlich von Österreich an Kroatien ausgeliefert. Nach dem Attentat auf die Anwaltstochter ernannte Ministerpräsident Ivo Sanader zwei neue Minister für die Ressorts des Inneren und der Justiz. Das Land wird in letzter Zeit von der EU gedrängt, gegen das organisierte Verbrechen und die Korruption vorzugehen.

Pukanic hatte mächtige Feinde und Freunde

Der Mord an Pukanic ist ein weiterer Rückschlag für die kroatische Regierung, die schon im nächsten Jahr die Verhandlungen mit der EU zum Abschluss bringen will und den Beitritt für 2010 anstrebt. Sanader, der Vorsitzender der konservativen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft ist, verkündete nach dem Mord an Pukanic, seine Regierung werde es nicht zulassen, dass "Kroatien zu einem Beirut wird".

Nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates am Freitag sagten die Staatsspitze und die Opposition abermals der Kriminalität den Kampf an. Der Kroatien-Berichterstatter im EU-Parlament, Hannes Swoboda, erklärte in einer heftigen Reaktion, wenn es der Regierung nicht gelinge, für Recht und Ordnung zu sorgen, dann sei die Aufnahme in die EU auf absehbare Zeit vom Tisch.

Der 47-jährige Pukanic hatte mächtige Feinde und Freunde. In der hiesigen Öffentlichkeit wird spekuliert, dass einer der Geldgeber Pukanics der Mafiaboss Hrvoje Petrac sei, der wegen der Entführung des Sohnes von General Vladimir Zagorec eine mehrjährige Gefängnisstrafe verbüßt.

Zagorec war als Vizeverteidigungsminister von 1993 bis 2000 zuständig für die Waffenbeschaffung und arbeitete damals eng mit Petrac zusammen. Heute sind sich die beiden Geschäftsleute spinnefeind - angeblich haben sie noch offene Rechungen aus Zeiten des Unabhängigkeitskrieges. In der Zeitung Vecernji list hieß es, die Ermordung der Anwaltstochter und des Journalisten Pukanic trage die gleiche Handschrift. Es wurde deshalb vermutet, dass die beiden Opfer einer Vendetta zwischen Zagorec und Petrac sein könnten.

Psychiatrie und Kokainkonsum

Als Auftraggeber des Mordes wird von Sicherheitsexperten aber auch die Balkan-Zigarettenmafia genannt. Pukanics Zeitschrift Nacional hatte 2001 dem damaligen montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic Zigarettenschmuggel vorgeworfen. Kritisiert wurde damals auch der serbische Premier Zoran Djindjic wegen seiner angeblichen Freundschaft zu einem der größten Zigarettenschmuggler des Balkans. Hinter Pukanics Kampagne soll laut Beobachtern das kroatische Tabakwerk in Rovinj gestanden haben, das an einer Investition in Serbien interessiert war.

Pukanic hatte Mitte der neunziger Jahre das Wochenmagazin Nacional gegründet und profilierte sich mit kritischen Artikeln über das autokratische Regime des Staatsgründers Franjo Tudjman. Nach dem Tode Tudjmans unterstützte er die Wahl von Stipe Mesic zum Präsidenten.

Im Jahr 2003 veröffentliche Pukanic ein Interview mit dem untergetauchten General Ante Gotovina, der wegen Kriegsverbrechen an Serben angeklagt war. Für seine Enthüllungsgeschichten wurde Pukanic vom kroatischen Journalistenverband mehrmals ausgezeichnet. In diesem Sommer wurde er aber vom Berufsverband ausgeschlossen, nachdem er seine Ehegattin mit Hilfe der Polizei in die Psychiatrie einliefern ließ und ihre Krankheitsgeschichte veröffentlichte. Zuvor hatte sie ihrem Mann Kokainkonsum vorgeworfen.

Bereits im April war auf Pukanic ein Attentat verübt worden. Seine Redaktion beschuldigte die Behörden, im August Pukanic und seiner Tochter den Polizeischutz entzogen zu haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.520191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.10.2008/akh/dmo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.