EU-Asylrecht:Flipperspiel mit Flüchtlingen

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Der Fall der 37 Flüchtlinge auf der Cap Anamur hat vor allem eins gezeigt: Das EU-Asylrecht ist hart - zu hart. Regelungen für besondere Härtefälle könnten verhindern, dass Asylsuchende von EU-Staaten wie die Kugeln in einem Flipperspiel behandelt werden. Heribert Prantl kommentiert

Widerstand hat viele Namen. Einer davon ist Cap Anamur. Die Leute vom Schiff Cap Anamur haben Flüchtlinge aufgenommen; sie waren Nothelfer. Es mag sein, das sie diese Nothilfe spektakelhaft inszeniert haben. Aber Nothilfe funktioniert heute anders als zu Zeiten des heiligen Martin zu Pferde. Es mag auch sein, dass die Leute von Cap Anamur das geltende Europäische Asylrecht gebrochen haben. Das lässt sich oft nicht vermeiden, weil dieses Asylrecht hart, sehr hart ist - und oft unerträglich formalistisch.

Diese Härte zeigt sich auch in Zahlen: Allein in der Meerenge von Gibraltar sollen nach einer Publikation von Pro Asyl bisher 4000 Flüchtlinge ertrunken sein. Die EU hat fast alle legalen Zugangsmöglichkeiten zu ihrem Territorium verschlossen; Flüchtlinge aus allen Hauptherkunftsländer brauchen ein Visum, um in die EU zu gelangen; Visa für Flüchtlinge gibt es aber nicht.

Ohne fremde Hilfe gelangen also selbst diejenigen, die später als Asylbewerber anerkannt werden, nicht ins Land des Asyls. Dem Buchstaben des Gesetzes nach ist also fast jeder Flüchtling illegal - und jeder, der ihm hilft, macht sich der Beihilfe schuldig. Wenn die Italiener solche Beihelfer inhaftieren, handeln sie also legal.

Humanitäres Handeln schützt vor Strafe nicht. Die Kirchengemeinden, die in Deutschland Kirchenasyl gewährt haben, wissen das sehr gut. Es gibt etliche Pfarrer, die unnachsichtig verfolgt worden sind, weil sie Flüchtlinge bei sich aufgenommen und so an das Gewissen des Rechtsstaates appelliert haben. Sie haben Bestrafung in Kauf genommen und sich so einen Respekt erworben, der positive Folgen hatte - nämlich die Härtefallregelungen in diversen Landesgesetzen und im neuen Zuwanderungsgesetz.

Flipperkugeln im Mittelmeer

Der Fall der 37 Flüchtlinge auf der Cap Anamur zeigt, dass es solcher Härtefallregelungen auch auf Europa-Ebene bedarf. Der Mechanismus des EU-Asylrechts ist eher simpel: Nach dem Dublin-II-Abkommen ist der Staat zuständig für das Asylverfahren (für das es noch immer keine einheitlichen EU-Standards gibt), den der Flüchtling als erstes erreicht. Wenn dieser auf hoher See, außerhalb eines Hoheitsgebietes, aus dem Wasser gefischt wird, ist der Staat zuständig, an dem das Schiff zuerst anlandet.

Hier beginnen die praktischen Schwierigkeiten: Was tun, wenn die Fakten unklar sind? Was tun, wenn die zuständigen Länder die Fakten nicht akzeptieren? Dann kann es dem Flüchtling ergehen, wie der Kugel im Flipperspiel. Italien hat nun immerhin die Flüchtlinge an Land gelassen und so verhindert, dass das Mittelmeer zum Flipperkasten für Flüchtlinge wird.

Dublin-II belastet die neuen, schwachen EU-Staaten besonders - Malta zum Beispiel. Notwendig ist deshalb der Aufbau eines Projekts der Lastenverteilung, wie es UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers fordert. Die Verantwortung für die Asylverfahren und die Beherbergung anerkannter Flüchtlinge muss auf alle EU-Staaten gerecht verteilt werden.

© SZ vom 14.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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