Europäische Union:In der Landwirtschaft verabschiedet sich die EU vom Grünen Deal

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In Europa soll es auf lange Sicht eine leistungsfähige Landwirtschaft geben. Dazu bekennt sich die EU in Hansens Papier ausdrücklich. (Foto: Thomas Warnack/dpa)

Der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen setzt sich hohe Ziele: Mehr junge Menschen sollen ihre Zukunft wieder in der Landwirtschaft sehen. Ökologische Leistungen sollen angemessen bezahlt werden – aber feste Umweltziele gibt es nicht mehr.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Christophe Hansen, der neue EU-Kommissar für Agrarpolitik, hat sich seit seinem Amtsantritt Anfang Dezember viel Respekt erworben in Brüssel. Der konservative Politiker aus Luxemburg, 43 Jahre alt, sei kompetent und könne Menschen überzeugen, so heißt es. Er suche das Gespräch mit allen politischen Gruppen im Europaparlament. Selbst bei den Grünen gibt es Hoffnung: Hansen, der selbst von einem Bauernhof stammt, könnte Landwirtschaft und Ökologie zusammenführen, ohne dass sich neuerlich Bauernwut auf Europas Straßen Bahn bricht.

An diesem Mittwoch suchte Kommissar Hansen erstmals die große Bühne in Brüssel, und zumindest rhetorisch machte er einen glänzenden Eindruck. Er stellte die Grundzüge einer Agrarpolitik vor, die nicht nur die laufende Legislaturperiode, sondern die nächsten 15 Jahre prägen soll. „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ steht über dem Papier, und Hansen überschrieb es mit seinem persönlichen Leitmotiv: Wie beendet man das Höfesterben in Europa, wie bringt man junge Menschen dazu, ihre Zukunft in der Landwirtschaft zu suchen? Denn nur noch zwölf Prozent der Bäuerinnen und Bauern in Europa seien unter 40 Jahre alt.

Die EU bekennt sich in Hansens Papier ausdrücklich dazu, in Europa auf lange Sicht eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten, die auf ein sicheres Einkommen bauen kann. Sie soll die Lebensmittelversorgung sicherstellen und international konkurrenzfähig sein. Der Kampf gegen den Klimawandel und den Artenverlust ist dabei Mittel zum Zweck, die Lebensgrundlagen der Landwirtschaft zu erhalten. Aber die Agrarpolitik wird sich vom „Grünen Deal“ in der bisherigen Form verabschieden.

Statt auf verbindliche Ziele setzt Hansen auf die Freiwilligkeit der Bauern und finanzielle Anreize

Die alte Kommission hatte in Prozent gefasste Ziele formuliert, um den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu verringern und den Ökolandbau zu fördern. Damit verknüpft waren auch feste Ziele für den Klimaschutz, denn elf Prozent der CO₂-Emissionen in Europa stammen aus der Landwirtschaft. Von solchen Zielmarken ist nun keine Rede mehr. Das Geschacher um die entsprechenden Gesetze habe nur Unfrieden gestiftet, findet Hansen. Er setzt stattdessen auf Freiwilligkeit bei den Bauern. Damit will er die Debatten „entpolarisieren“.

Die Bauernproteste, die Ende 2023 auch die Straßen von Brüssel erreichten, sind der Ursprung von Hansens Politik. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen räumte damals mehrere Umweltgesetze in der Landwirtschaft ab, die ihr Vizepräsident Frans Timmermans auf den Weg gebracht hatte.  Um die Gemüter zu beruhigen, leitete sie einen „Strategischen Dialog“ zur Zukunft der Branche ein. Die Landwirtschaftslobby war darin ebenso vertreten wie Umweltverbände. Heraus kam eine Strategie, die Landwirtschaft und Natur „versöhnen“ sollte.

Das Papier von Hansen nimmt diese Strategie auf, legt den Schwerpunkt aber eher auf die wirtschaftlichen Grundlagen der Betriebe. Hansen will dafür sorgen, dass Bauern faire Preise für ihre Produkte erhalten. Er will gegen unlautere Konkurrenz aus dem Ausland vorgehen. Bald möchte er ein Gesetz vorlegen, das bürokratische Vorschriften abräumt. Leistungen, die der Umwelt und dem Klimaschutz dienen, sollen den Betrieben nicht mehr nach dem Prinzip der „Konditionalität“ aufgezwungen werden: wenn keine Leistung, dann kein Geld. Vielmehr sollen den Bäuerinnen und Bauern über ihr Grundeinkommen hinaus zusätzliche finanzielle Anreize gegeben werden. Ökologie soll sich also lohnen.

Im Mittelpunkt steht die „Gemeinsame Agrarpolitik“, eine Art Geldverteilungsmaschine

Der CDU-Politiker Norbert Lins, führender Agrarpolitiker der Europäischen Volkspartei (EVP), begrüßt den Strategiewechsel hin zur Freiwilligkeit ausdrücklich. Hansens Papier sende „ein wichtiges Signal an die Landwirtschaft und die Ländlichen Räume“ und bekenne sich zur „Lebensmittelproduktion und insbesondere auch zur Tierhaltung“ in Europa. Das hält er für eine solide Basis, um die Landwirte wieder mit Brüssel zu versöhnen.

Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im Europaparlament, dagegen findet, der neue Kommissar bleibe in seinem Papier zu unbestimmt bei der Förderung von Klima- und Umweltschutz. Christophe Hansen sei zwar von ganz anderem Kaliber als sein Vorgänger, der Pole Janusz Wojciechowski, der als Totalausfall in diesem Amt galt. Aber er habe nun offenbar dem Druck der EVP nachgegeben. Häuslings Parteifreund Cem Özdemir, derzeit noch Bundesagrarminister, begrüßte das Brüsseler Papier dagegen ausdrücklich. Das ist wohl auch damit zu erklären, dass er bald einen Wahlkampf um das Amt des Ministerpräsidenten im agrarisch geprägten Baden-Württemberg führen wird.

Die „Vision“ ist erst einmal nur ein Stück Papier, sie muss nun in Gesetzesform gegossen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die eine Art Geldverteilungsmaschine ist. Ihre Regeln bestimmen darüber, nach welchen Kriterien die Fördermittel an die landwirtschaftlichen Betriebe verteilt werden. Sie machen im EU-Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 ungefähr ein Drittel der insgesamt 1,2 Billionen Euro aus. In den Verhandlungen über die neue GAP ab 2028 wird sich erweisen, was von Hansens Versprechen bleibt, zumal die EU gezwungen sein wird zu sparen.

Hansen will Fördermittel künftig „zielgerichteter“ einsetzen. Sie sollen vor allem jungen Bauern und Familienbetrieben zugutekommen. „Wir müssen weg von den Hektar-Zahlungen“, sagte er am Mittwoch, wohl wissend, dass ihm dabei harte Debatten bevorstehen. Denn die landwirtschaftlichen Großbetriebe, die vom Prinzip der Flächenzahlung profitieren, haben eine starke Lobby.

In den Verhandlungen über die neue GAP wird sich auch das Schicksal der „Anreize“ im Umwelt- und Klimaschutz entscheiden.  Der Grüne Martin Häusling fürchtet, dass wegen des Sparzwangs dafür nicht mehr viel Geld bleibt – dann würde es sich rächen, dass alle festen Zielmarken für mehr Ökologie in der Agrarpolitik fallen gelassen wurden.

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