Der Europaabgeordnete Peter Liese, 56, von der CDU ist ein Klimapolitiker aus Leidenschaft. Deshalb hängt sein Herzblut an dem Gesetz, das er als sogenannter Berichterstatter gerade federführend durch das Parlament lotst: Es geht um die Verschärfung des CO₂-Emissionshandels (ETS) - ein Kernstück des Gesetzespakets namens "Fit for 55". Es soll den Weg der Europäischen Union zur Klimaneutralität im Jahr 2050 ebnen. Doch der Vorschlag ist umstritten, denn er könnte Autofahren und Heizen schmerzhaft verteuern. Liese will den Kritikern nun entgegenkommen, indem er zögerlichen EU-Regierungen mehr Zeit gibt, die Regelungen für Sprit und Heizöl umzusetzen. "Ich fürchte, das ist im Moment nötig, um eine ordentliche Mehrheit zu bekommen", sagt er.
Das Emissionshandelssystem existiert seit 2005: Viele Industriebetriebe und Energieversorger müssen Verschmutzungsrechte vorweisen, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen. Die EU verknappt die Zahl dieser Kohlendioxid-Zertifikate, doch die Verschmutzungsrechte sind handelbar. Daher können Konzerne entweder in neue grüne Technik investieren oder überschüssige Zertifikate von Unternehmen kaufen, denen es leichter fällt, den Ausstoß zu senken. Durch diesen Mechanismus werden die Einsparziele auf die effizienteste und billigste Art erreicht.
Die Kommission schlägt in ihrem Gesetzentwurf vor, die Zahl der Zertifikate schneller zu verringern. Und für Heizen und Verkehr will sie im Jahr 2026 ein eigenes System einführen. Dann müssten auch Verkäufer von Benzin oder von Öl und Gas zum Heizen Verschmutzungsrechte erwerben. Das würde die Preise für Verbraucher verteuern. Dies halten zahlreiche EU-Regierungen, etwa in Frankreich oder Osteuropa, für politisches Gift; der Ärger der vergangenen Monate über die hohen Strom- und Gaspreise bestärkt diese Zweifler.
Liese wird in dieser Woche nach monatelangen Beratungen seinen Bericht mit Änderungsvorschlägen zum Entwurf der EU-Kommission präsentieren. Er schlägt darin vor, den Mitgliedsländern die Möglichkeit eines befristeten "Opt-outs" beim Thema Heizen und Verkehr zu gewähren. Sie dürfen demnach privates Wohnen und privaten Verkehr die ersten zwei Jahre vom Emissionshandel ausnehmen, wenn sie schlüssig darlegen, dass sie ihre Klimaziele anderweitig erreichen. Das widerspricht eigentlich seinen Überzeugungen, aber andernfalls drohe das komplette Scheitern des Gesetzes, glaubt Liese.
Sein Ziel ist es, im Parlament die vier großen Fraktionen - seine EVP, die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale - für das Gesetz zu gewinnen. Im Mai soll der zuständige Umweltausschuss über eine gemeinsame Position abstimmen, kurz darauf das Plenum des Parlaments. Danach können die Verhandlungen des Parlaments mit dem Ministerrat beginnen. Dieses Entscheidungsgremium der Mitgliedstaaten muss sich ebenfalls auf eine gemeinsame Verhandlungsposition zu dem Gesetz einigen.
Die Idee des Opt-out könnte im Sinne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sein, der beim Thema steigender Energiepreise wegen der Gelbwestenbewegung ein gebranntes Kind ist. Lieses Zugeständnis könnte also einen Kompromiss zwischen Parlament und Ministerrat vereinfachen.
Die deutsche Ampel-Koalition hat grundsätzlich Einverständnis mit dem Gesetz signalisiert. Es gebe mittlerweile eine Gruppe von sechs Staaten, welche die umstrittene Ausweitung unterstützen wollen, neben Deutschland sind das Österreich, die Niederlande und die drei skandinavischen Länder, sagt Liese. "Aber wir sind weit von einer Mehrheit entfernt, und im Parlament ist die Lage unberechenbar." Es gebe wachsende Zustimmung, "aber noch lange keine Mehrheit: Man muss an irgendeiner Stelle Kompromisse machen."
Wird der Hilfstopf auch Atomreaktoren fördern?
Dass er, aus deutscher Sicht, zu viele Kompromisse eingeht, bestreitet er. Mitgliedstaaten, die das Opt-Out nutzen, würden nach seinen Vorstellungen kein Geld aus dem neuen Klimasozialfonds erhalten, den die Kommission aufsetzen will. Den Topf speisen die Einnahmen aus der Ausweitung des Emissionshandels; er soll Regierungen dabei unterstützen, Härten abzufedern, zum Beispiel durch Zuschussprogramme für Wärmedämmung. Staaten, die Nettozahler für den Sozialfonds wären und das Opt-Out nutzen, müssten ihren Beitrag trotzdem entrichten - auch ohne Erlöse aus dem Emissionshandel. Das soll abschreckende Wirkung entfalten.
Zudem schlägt Liese auch Verschärfungen am Gesetzentwurf vor. Die Reformen sollen 2025 und damit ein Jahr früher greifen; außerdem sollen bei der Ausweitung auf Verkehr und Gebäude mehr Bereiche darunter fallen als von der Kommission geplant - neben Sprit für Autos und Lastwagen auch Treibstoffe für Baumaschinen oder Industrieanlagen.
Spezielle deutsche Befindlichkeiten könnten das Gesetz gefährden, wenn es um die Taxonomie geht, also das Klassifizierungssystem der EU, das festlegt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Die Kommission präsentierte am Silvesterabend den Entwurf eines umstrittenen Rechtsakts, der auch Kern- und Gaskraftwerke unter bestimmten Umständen als nachhaltig erklären würde. Liese fürchtet, dass dieser Geist der Taxonomie - Kernkraft als "nachhaltige" Energieform - auf einen Teil seines ETS-Gesetzes übergreifen könnte: zum Beispiel auf den Modernisierungsfonds. Den speisen Einnahmen aus dem Emissionshandel, und er soll zehn ärmeren Mitgliedsstaaten helfen, ihre Energieversorgung klimafreundlicher zu gestalten. Förderung für Gasprojekte ist dezidiert ausgeschlossen, aber zur Kernkraft steht bisher nichts im Gesetzentwurf der Kommission.
Könnte sich also eine osteuropäische Regierung auf die Taxonomie berufen und verlangen, dass sie Investitionen in die Laufzeitverlängerung eines Reaktors aus diesem Fonds finanzieren kann? "Das wäre nicht nachvollziehbar und in Deutschland nicht vermittelbar", sagt Liese. Deshalb will er so etwas durch eine Änderung im Gesetzestext de facto ausschließen.
Eine Strafsteuer soll dreckige Importe verteuern
Immer wieder bekommt Liese die Befürchtung zu hören, die Verschärfung des Emissionshandels sei ein Programm zur Deindustrialisierung Europas. Deshalb will er der Wirtschaft an entscheidender Stelle Sicherheit bieten. So will die Kommission ein sogenanntes Grenzausgleichssystem einführen, auf Englisch CBAM abgekürzt: Werden Importe unter klimaschädlicheren Bedingungen hergestellt als in der EU üblich, sollen die Importeure eine Art Strafsteuer zahlen. Europäische Firmen müssen sich an teure Klimaschutz-Regeln halten - CBAM soll sicherstellen, dass ihnen dreckige Einfuhren keine unfaire Konkurrenz machen. Zugleich sollen die EU-Unternehmen aber weniger oder gar keine kostenlosen CO₂-Zertifikate mehr zugeteilt bekommen. Diese geschenkten Verschmutzungsrechte sind bisher das EU-System der Wahl, um Wettbewerbsnachteile zu verhindern.
Es gibt allerdings Bedenken, dass CBAM nicht richtig funktionieren wird. Liese schlägt daher vor, die zurückgehaltenen Gratis-Zertifikate in einen Reservetopf zu stecken - und wieder an die betroffenen Unternehmen zu verteilen, sollte sich CBAM als unzureichender Schutz erweisen.