Was aus der Kernkraft wird, hat für das Bundeskanzleramt eigentlich keine Bedeutung. Unten im Keller tut ein Blockheizkraftwerk seinen Dienst, es versorgt die Regierungszentrale völlig atomstromfrei mit Elektrizität. Und das hat eine Menge mit jenem kleinen Kreis zu tun, der dort am Montag erstmals zusammentrat: die Ethikkommission "sichere Energieversorgung".
Wie ganz Deutschland ohne Atomkraft, aber auch ohne Blackout auskommen soll, das sollen 14 Männer und drei Frauen herausfinden. Sie haben dafür weniger als acht Wochen Zeit.
Nicht viel, das weiß auch die Kanzlerin. "Der Zeitrahmen ist ausgesprochen anspruchsvoll", sagte Hausherrin Angela Merkel zum Auftakt der Beratungen. Nur zum Beginn war sie dabei, ebenso wie Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). "Wir müssen es schaffen, das Moratorium ist begrenzt", sagte Merkel. Eben jenes Moratorium, auf dessen Basis die Kommission nun arbeitet - die dreimonatige Denkpause, um auf die Atomkatastrophe in Japan angemessen zu reagieren. Die Ethikkommission dürfte dafür ein Schlüsselgremium werden.
Denn sie soll sich nicht alleine mit ethischen Fragen der Kernkraft befassen, wie sie die undefinierbare Größe "Restrisiko" oder die ungeklärte Endlagerung aufwerfen. Auch mit der anderen Seite der Medaille soll sich der Rat der 17 auseinandersetzen. "Wie schaffen wir eine Energiewende mit Augenmaß", so nennt das die Kanzlerin.
Sprich: Wie kann Deutschland die Atomkraft hinter sich lassen, ohne rapide steigende Strompreise, wachsende Importe oder höhere Kohlendioxid-Emissionen zu riskieren. Sicherheit versus Wettbewerbsfähigkeit: Es ist eine Urfrage des Atomausstiegs. Die 17 Experten sollen sie bis Ende Mai lösen, schon Anfang Juni müsste ein Gesetz ins Kabinett. Drei Wochen des Dreimonats-Moratoriums sind schon um.
Zumindest die Zusammensetzung der Gruppe lässt auf Erkenntnisfortschritte hoffen. Da wären an der Spitze zum einen der einstige Umweltminister Klaus Töpfer, der zwar der Union angehört, aber als Anhänger eines moderaten Ausstiegs gilt. Und zum anderen der Dortmunder Maschinenbau-Professor Matthias Kleiner. Als Ingenieur und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mag er neuen Technologien zwar aufgeschlossen gegenüberstehen. Er räumt aber auch ein, die Ereignisse in Japan hätten für ihn einiges relativiert. Die Bilder aus Fukushima hätten ihm als Ingenieurwissenschaftler die "Begriffe Demut, Zweifel, Vorsicht und Zurückhaltung ins Bewusstsein gebracht", schreibt Kleiner in einem DFG-Magazin, das am Montag veröffentlicht wurde.
Kritisch äußerten sich zuletzt auch mehrfach die Kirchen, in der Kommission vertreten durch den Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, und durch Ulrich Fischer, den Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden. Es gehe um Fragen "des Achtens von Grenzen", hatte Fischer kürzlich gesagt. Wo aber diese Grenzen liegen, das wird auch diese Kommission klären müssen - aufbauend auf Erkenntnissen einer raschen Reaktorprüfung, die vergangene Woche begann.
Sie dürfte neue potentielle Risiken aus dem Kraftwerkspark zutage fördern - die Frage ist dann nur, ob sie sich weiterhin dem "Restrisiko" zuordnen lassen. Das ist jenes Risiko, das eine Gesellschaft bei allem Bemühen um Sicherheit am Ende doch noch hinnehmen muss.
Es gibt in der Kommission wenige, die als Befürworter der Kernkraft gelten, etwa den scheidenden BASF-Chef Jürgen Hambrecht oder den SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Dagegen stehen Philosophen wie Ulrich Beck ("Risikogesellschaft") oder Gewerkschafter wie Michael Vassiliadis, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie, eher für einen konsequenten Umstieg auf andere Energieträger. Allein drei der 17 Mitglieder sind zugleich im Rat für Nachhaltige Entwicklung - der traditionell die Kernkraft für eher weniger nachhaltig hält.
Damit dürfte Teil eins des Auftrags, die Bewertung von Risiken, innerhalb der Kommission leichter zu beantworten sein als Teil zwei: die "Energiewende mit Augenmaß". Dafür hatten schon Union und FDP ellenlange Szenarien errechnen lassen, ehe sie die Laufzeiten tüchtig verlängerten. Schwierig war das Augenmaß auch damals schon. Doch vom Ergebnis der Kommission hängt nun eine Menge ab, denn das Moratorium ist eng getaktet: Von Mitte Mai an darf sich das Gremium mit den Risiken der Atomkraftwerke befassen, zehn Tage später schon muss es seinen eigenen Endbericht vorlegen - als geistige Basis für Merkels Energiewende.