Estland:Überraschender Machtwechsel

Bei der Parlamentswahl hat die marktliberale Reformpartei unerwartet deutlich gewonnen. Damit dürfte Kaja Kallas, die Tochter des früheren Premiers, vermutlich als erste Frau die Regierung in Estland führen.

Von Kai Strittmatter, Stockholm

Überraschend haben die Esten bei den Wahlen am Sonntag für einen Machtwechsel gestimmt. Die oppositionelle marktliberale Reformpartei überholte demnach entgegen allen Wahlumfragen die regierende Zentrumspartei des amtierenden Ministerpräsidenten Jüri Ratas: Die Reformpartei erhielt 28,8 Prozent und kommt damit auf 34 von 101 Sitzen, die Zentrumspartei kam auf lediglich 23 Prozent und 26 Sitze. Beste Chancen, neue Ministerpräsidentin des Landes zu werden, hat damit Kaja Kallas, die Vorsitzende der Reformpartei. Die 41-jährige Juristin Kallas ist die Tochter des ehemaligen Premierministers Siim Kallas; sie wäre die erste Frau auf diesem Posten.

Recht behielten die Wahlumfragen dagegen mit ihren Vorhersagen für die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei Ekre: Die Partei, die europaskeptische und fremdenfeindliche Positionen vertritt, konnte mit 17,8 Prozent ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Beide großen Parteien hatten jede Zusammenarbeit mit Ekre ausgeschlossen.

Kallas begann schon am Montag, mögliche Koalitionsbildungen auszuloten. Am wahrscheinlichsten gelten zwei Varianten: Eine Koalition von Kallas' Reformpartei mit der Vaterlandspartei (12 Sitze) und den Sozialdemokraten (10 Sitze), oder aber eine große Koalition von Reformpartei und der weiter links stehenden Zentrumspartei. Deren Vorsitzender Ratas signalisierte, dass seine Partei auch bereit wäre, Juniorpartner einer Koalition zu sein. Dafür stellte Wahlsiegerin Kallas allerdings Bedingungen: Die Steuerpolitik dürfe "die Ehrgeizigen nicht benachteiligen". Die Beherrschung der estnischen Sprache müsse Pflicht sein bei der Erlangung der Staatsbürgerschaft und im Bildungssystem solle einheitlich Estnisch die Unterrichtssprache werden. Das zielt auf die russische Minderheit, die ein Viertel der 1,3 Millionen Einwohner Estlands stellt.

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