Estland:Estnische Präsidentin bittet um "100 Tage ohne Hass"

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Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid bei der Vereidigung der neuen estnischen Regierung. (Foto: REUTERS)
  • Estland hat eine neue Regierung.
  • Die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei stellt fünf Minister.
  • In ihren Reihen sind Politiker, die mit rassistischen Äußerungen aufgefallen sind.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

In Estland sind am Montag die Minister der neuen Regierung vereidigt worden. Zum ersten Mal werden dabei fünf Minister der rechtspopulistischen Estnischen Konservativen Volkspartei Ekre dabei sein: Das ist eine europaskeptische, fremdenfeindliche Partei, deren Anführer und Mitglieder in den letzten Jahren durch rassistische und antisemitische Ausfälle aufgefallen sind. Präsidentin Kersti Kaljulaid hatte die neue Regierung in der vergangenen Woche bestätigt, sie in ihrer Rede allerdings zu "100 Tagen ohne Hass" aufgefordert, eine Forderung ganz unmissverständlich an die Adresse der Ekre-Politiker.

Ministerpräsident wird weiterhin Jüri Ratas sein, dessen Zentrumspartei die Wahlen Anfang März eigentlich gegen die wirtschaftsliberale Reformpartei und deren europafreundliche Führerin Kaja Kallas verloren hatte. Vor den Wahlen hatten die Anführer beider großer Parteien versprochen, auf keinen Fall eine Koalition mit Ekre eingehen zu wollen. Indem er sein Versprechen brach, konnte Jüri Ratas weiter an der Macht bleiben. Seine Koalition aus Zentrumspartei, Ekre und der konservativen Vaterlandspartei kommt nun auf 56 Sitze im 101 Abgeordnete zählenden Parlament. Ekre hatte bei der Wahl die Zahl ihrer Sitze auf 19 mehr als verdoppeln können.

Die Zentrumspartei betont, im Koalitionsvertrag hätten radikale Forderungen der Rechtspopulisten keinen Niederschlag gefunden. So wird etwa die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht annulliert. Zudem sieht der Koalitionsvertrag weiter eine "Außen- und Sicherheitspolitik basierend auf EU- und Nato-Mitgliedschaft" vor. Schon wegen der Nachbarschaft zum nervös beäugten Riesen Russland gibt es in Estland noch immer einen starken gesellschaftlichen Konsens was die Mitgliedschaft des Landes in EU und Nato angeht.

Allerdings will die Regierung zentrale Punkte der Anti-Immigrationspolitik von Ekre übernehmen und sich in Zukunft allen in Brüssel beschlossenen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen widersetzen.

Einer pries den Faschismus, ein anderer leugnete den Holocaust

Ekre erhält die Portfolios für Finanzen, Umwelt, Außenhandel, und Ländliche Angelegenheiten. Parteigründer Mart Helme wird außerdem Innenminister. Enthüllungen über den neonazistischen und antisemitischen Hintergrund des neugewählten Ekre-Abgeordneten Ruuben Kaalep, der im Internet als Holocaust-Leugner unterwegs war, hatten während der Koalitionsverhandlungen für Schlagzeilen gesorgt. Ein anderer Ekre-Abgeordneter, Jaak Madison, hatte in der Vergangenheit den Faschismus gepriesen. Mart Helme, der neue Innenminister, war erst im letzten Jahr mit rassistischen Aussagen aufgefallen, als er zuerst behauptete, "die Zahl der Neger" in der Hauptstadt Tallinn sei "explodiert", bevor er weiter ausführte: "Wenn du an einen Negerkopf klopfst, dann ist der hohl." Sein Sohn Martin Helme, der neue Finanzminister, hatte 2013 im Fernsehen gesagt: "Wenn du schwarz bist, dann geh zurück!"

Viel diskutiert wird derzeit der Abgang des liberalen Moderators und Kommentators Ahto Lobjakas beim öffentlich-rechtlichen Sender ERR. Lobjakas hatte die rassistische und homophobe Rhetorik der Ekre-Politiker zum Thema gemacht und die Einbindung der Partei in eine Regierungskoalition kritisiert. Ekre Vize-Chef Martin Helme hatte schon Ende März einen Brief an die ERR-Führung gesandt, in dem er den Rauswurf all jener Journalisten verlangte, "die ihre Voreingenommenheit" gegen seine Partei demonstriert hätten.

Kritiker fürchten, das könne der Beginn einer Säuberungswelle in den Medien sein, zumal auch ein Politiker der Vaterlandspartei den neuen Partnern in der Regierung zur Seite sprang: Ekre habe ein Recht, gegen die "Anti-Ekre Hysterie" in den Medien vorzugehen. Der Chef des Senders erklärte am Wochenende in einer Stellungnahme, sein Unternehmen fühle sich weiter der Pressefreiheit verpflichtet. Der Journalist Ahto Lobjakas sei keineswegs entlassen worden, sondern freiwillig gegangen. "Ich bin nicht gefeuert worden", bestätigte Lobjakas in einem Beitrag auf seiner Facebookseite. Er sei allerdings zu mehr "Ausgewogenheit" angesichts der neuen Regierung aufgefordert worden: "Man hat mir die Wahl gelassen zwischen Selbstzensur und Abgang."

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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