Estland: Premier Ansip im Interview:"Merkel macht einen guten Job"

Bald kommt der Euro ins Baltikum: Estlands Premier Andrus Ansip spricht über Sparen in Boom-Jahren, das schwierige Verhältnis zu Russland und lobt die Rolle der Kanzlerin innerhalb der Europäischen Union.

Matthias Kolb

Seit März 2005 amtiert Andrus Ansip als Premierminister in Estland. Die Baltenrepublik hat viel erreicht: Seit 2004 gehört das Land der EU und der Nato an, 2007 folgte der Beitritt zur Schengenzone. Obwohl Estlands Wirtschaft in Folge der globalen Krise 2009 um 15 Prozent schrumpfte, gab es in diesem Jahr wieder gute Nachrichten: 2011 wird der Euro eingeführt. Der 53-jährige Ansip spricht recht gut Deutsch und nutzt seine Kenntnisse gern, wenn es um Angela Merkel geht, die heute zu einer Reise nach Lettland und Litauen aufbricht.

Merkel in Estland - Treffen mit Ministerpräsident Ansip

"Angela Merkel ist eine sehr gute Anführerin für die ganze Europäische Union" - Estlands Premier hält viel von der deutschen Kanzlerin, die ihn 2008 in Tallinn besucht hatte. 2011 wird der Euro in Estland eingeführt.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Ansip, wenige Monate nach der Griechenland-Krise wird Estland 2011 den Euro einführen. Warum glauben Sie noch an die Gemeinschaftswährung?

Andrus Ansip: Ich muss zurückfragen: Warum nicht? Wir sind überzeugt, dass die Gemeinschaftswährung Estland helfen wird, mehr ausländische Investoren anzulocken. Bereits jetzt kommen zwei Drittel dieser Gelder aus Finnland und Schweden und gerade diese Nachbarländer haben wegen ihrer eigenen Vergangenheit kein allzu großes Vertrauen in kleine Währungen. Es gibt nur Vorteile: Bereits jetzt ist die Estnische Krone an den Euro gekoppelt und 70 Prozent unserer Exporte gehen in die EU.

sueddeutsche.de: Halten die Esten die Euro-Einführung auch für einen logischen Schritt?

Ansip: Für die Bürger hat sie viele Vorteile. 90 Prozent der Kredite, die aufgenommen wurden, um Immobilien zu kaufen, laufen in Euro. Als in der Vergangenheit Gerüchte aufkamen, die Estnische Krone würde abgewertet, waren die Menschen sehr verängstigt - sie hätten dann mehr zahlen müssen. Obwohl wir nie an eine Abwertung dachten, hielten sich die Spekulationen. Mit dem Euro ist die Unsicherheit vorbei. Und natürlich reisen immer mehr Esten durch Europa und sie müssen künftig kein Geld mehr für Wechselgebühren ausgeben.

sueddeutsche.de: Haben Sie keine Angst, dass Ihr Land künftig Geld nach Athen oder Madrid schicken muss, das zu Hause für Ihre 1,4 Millionen Bürger fehlt?

Ansip: Wenn dieser Ernstfall eintreten sollte, wären wir dazu bereit. Ich habe deswegen keine Sorgen, denn Solidarität existiert noch immer in der EU. Wir konnten im Herbst 2008 unserem Nachbarn Lettland finanzielle Unterstützung geben. Estland ist in einer recht komfortablen Lage: Wir haben ein Neuntel unseres Bruttoinlandsprodukts als Reserve und unsere Schuldenlast ist mit sieben Prozent die niedrigste in ganz Europa. Aber ich muss zugeben: Die globale Finanzkrise ist auch an Estland nicht spurlos vorübergegangen.

sueddeutsche.de: Aber anders als Lettland benötigte Ihr Land keinen Milliardenkredit des IWF und der EU, um die Pleite abzuwenden. Was hat Estland besser gemacht?

Ansip: Litauen, Estland und Lettland haben ähnlich auf die Krise reagiert: Wir haben öffentliche Ausgaben gesenkt, wir mussten die Gehälter von Beamten und Angestellten kürzen und einige Steuern erhöhen. Zugleich haben alle baltischen Länder überfällige Strukturreformen eingeleitet. Wir Esten haben sicher davon profitiert, dass wir in den Boomjahren Reserven angelegt haben, was unsere Nachbarn nicht gemacht haben. Andererseits mussten wir nicht wie die Letten eine große Bank retten, weil in Estland der Bankensektor von skandinavischen Geldhäusern kontrolliert wird.

"Der Erfolg gibt uns recht"

sueddeutsche.de: Estland wählt im März ein neues Parlament. Werden die Parteien nun wieder so viel versprechen, wie in jenen Jahren, als die Wirtschaft hier schneller wuchs als in China?

Ansip: Ich hoffe, dass alle realistisch bleiben. Wir haben immer noch ein Defizit, auch wenn es unterhalb der Dreiprozentmarke des Maastricht-Vertrags liegt. Mein Ziel ist es, wieder Überschüsse im Haushalt zu erzielen. Für ein kleines Land wie Estland sind diese Reserven sehr wichtig. Die größte Herausforderung liegt darin, die Arbeitslosigkeit von heute 18 Prozent zu verringern. Die Quote fällt seit März, aber es wird lange dauern, bis wir auf dem Niveau vom Frühjahr 2008 sein werden - also vor dem Lehman-Crash.

sueddeutsche.de: Also sollte sich am estnischen Modell wenig ändern?

Ansip: Nein, der Erfolg gibt uns recht. Ich denke, dass Deutschland und Estland in der Steuer- und Wirtschaftspolitik sehr nah beieinanderliegen. Es gibt in der EU nicht viele Länder, die wie Deutschland Schulden abbauen wollen - und ich bin mir sicher, dass Estland neben Finnland und den Niederlanden ein guter Partner innerhalb der Eurozone sein wird.

sueddeutsche.de: In Europa wurde über die Rolle diskutiert, die Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Bewältigung der Eurokrise gespielt hat. War die größte Volkswirtschaft zu zögerlich?

Ansip: Angela Merkel ist eine sehr gute Regierungschefin für Deutschland und eine sehr gute Anführerin für die ganze Europäische Union. Dass die Entscheidungen ihrer Regierung richtig waren, beweisen doch die Zahlen: Das deutsche Wirtschaftswachstum ist überraschend stark und alle EU-Länder profitieren davon. Natürlich wird man als Politiker beliebt, wenn man kurzfristig denkt und alle Wünsche der Wähler erfüllt. Aber die Menschen in der EU werden verstehen, dass eine konservative Haushaltspolitik langfristig allen nützt. In meiner Wahrnehmung macht Angela Merkel einen sehr guten Job.

sueddeutsche.de: Wie steht es um das Verhältnis zu Russland? Der US-Politologe Anders Aslund urteilt, die Beziehungen Moskaus zu den baltischen Staaten seien noch nie besser gewesen als heute.

Ansip: Das stimmt teilweise. Vor zehn Jahren gingen nur 2,4 Prozent unserer Exporte nach Russland, 2008 waren es schon zehn Prozent. Die Zahl der russischen Touristen hat sich allein in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt, obwohl es Spannungen gab und russische Medien Estland verteufelt haben. Die Menschen in Russland denken glücklicherweise anders. Uns hilft natürlich, dass Russen mit einem Schengen-Visa Tallinn besuchen können, die Preise im Vergleich zu Moskau und St. Petersburg günstig sind und fast alle hier Russisch sprechen.

sueddeutsche.de: Ein Drittel aller Esten sind russische Muttersprachler.

Ansip: Genau. Die Beziehungen sind in vielerlei Hinsicht sehr gut. Aber es gibt einige Probleme, die noch immer ungelöst sind. So müssen estnische Lastwagenfahrer manchmal tagelang an der Grenze warten, bis ihre Ladung abgefertigt ist und sie einreisen dürfen. Für solche Herausforderungen müssen wir Lösungen finden.

sueddeutsche.de: Könnte es im Vorfeld der nächsten Parlamentswahl wieder zu Spannungen kommen? 2007 bestimmte der Streit um ein Sowjetdenkmal den Wahlkampf und es kam später sogar zu Ausschreitungen und dem ersten Cyberkrieg der Geschichte.

Ansip: Nein, ich glaube nicht, dass es ein Thema im Wahlkampf sein wird. Es geht um die Bewältigung der Krise und darum, Estland fit für die Zukunft zu machen. Trotz der Finanzkrise ist die stärkste Kraft in allen Umfragen die Regierungspartei. Die meisten Esten haben verstanden, dass diese Schritte nötig waren, um mit der Krise fertig zu werden. Ich hoffe, es bleibt so.

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