Essen:Vom Geschwätz zur Terrorwarnung

Polizei schließt nach Terrordrohung Einkaufszentrum

"Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Tag nach der Schließung des Kaufhauses in Essen gesagt.

(Foto: picture alliance / Bernd Thissen)
  • Wegen Terrorgefahr wurde am Samstag ein Essener Einkaufszentrum geräumt. Nun zeigt sich: Der angebliche Anschlagsplaner kündigte im Netz Dinge an, die nicht stimmten.
  • Setzen Islamisten wie der 24-jährige Oberhausener gezielt Hinweise auf angebliche Anschläge in die Welt, um Angst zu verbreiten?
  • Es hat in den vergangenen Monaten eine Reihe solcher Geschichten gegeben.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

In nicht ganz fehlerfreiem Deutsch meldete sich am 6. März der 24 Jahre alte Oberhausener Islamist Imran-René Q. aus Syrien in der alten Heimat: "Bald wird es in shallah im Essen Zentrum einen auftritt geben". Am 9. März ergänzte er: Der "Auftritt" werde in "2 Tagen gegen drei und vier Uhr" in der "großen Einkaufshalle" stattfinden - "wenn alles klappt". Zwei "libanesische Brüder" würden vor Ort sein. Außerdem hatte er ein Foto mit vier "Sprengstofftaschen" verschickt.

Das Weitere ist bekannt: Krisenrunden tagten, das große Einkaufszentrum Limbecker Platz in Essen wurde am vergangenen Samstag geschlossen. Polizisten patrouillierten in der Stadt, und Essens Polizeipräsident erklärte, es habe "ganz konkrete Hinweise" zu einem Anschlag gegeben. Aus alledem wurde dann hie und da die Nachricht gebastelt, ein Attentat sei verhindert worden.

Ein paar Tage nach all der Aufregung beschäftigen sich die Sicherheitsbehörden mit der Frage, was da wirklich passiert ist. Es sei "nicht auszuschließen, dass es sich um einen Test / eine Provokation handelt, um das Verhalten von Sicherheitsbehörden zu erproben", hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in einem vertraulichen Papier früh gemutmaßt. Dass es die "libanesischen Brüder" wirklich gibt, die am Wochenende zum "Hit-Team" hochgeredet wurden, glaubt kaum noch jemand.

Es sei durchaus eine Taktik, "für Chaos zu sorgen", sagt der Verfassungsschutz-Chef

Nordrhein-westfälische Staatsschützer diskutieren stattdessen die Frage, ob Imran-René Q. nur so getan hat als ob, um viel Aufsehen und noch mehr Aufregung zu verursachen. War das alles eine Finte? Setzen Islamisten wie der 24-jährige Oberhausener gezielt Hinweise auf angebliche Anschläge in die Welt, um Angst zu verbreiten?

Es sei durchaus eine Taktik der Islamisten, Sicherheitsbehörden zu irritieren und "für Chaos zu sorgen", hatte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen nach einem im November 2015 wegen angeblicher Anschlagsgefahr abgesagten Fußball-Länderspiel in Hannover erklärt.

Es hat in den vergangenen Monaten eine Reihe solcher Geschichten gegeben. Staatsschützer in NRW schauen sich derzeit alte Fälle an, die so ähnlich abgelaufen sind wie der Essener Fall, um ein mögliches Grundmuster zu erkennen. Der Alarmmodus, da sind sich die meisten einig, nervt. "Es darf nicht nur Rot und Grün, sondern muss auch Gelb geben", sagt ein Düsseldorfer Sicherheitsexperte. Die Frage ist nur: Wann ist gelb, wann ist grün, wann ist rot? Sicher ist vorerst nur so viel: Nach dem Anschlag in Berlin kurz vor Weihnachten, bei dem zwölf Menschen starben, ist Deutschland bis auf Weiteres ein anderes Land geworden - nervöser, unruhiger. Niemand will einen Fehler machen. "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Tag nach der Schließung des Kaufhauses in Essen gesagt.

Besonderheiten des Essener Falls

Der Essener Fall weist dennoch einige Besonderheiten auf. Die Sicherheitsbehörden wussten diesmal genau, mit wem sie es in Syrien zu tun hatten. Etwa im April 2015 ist Imran-René Q. über die Türkei nach Syrien ausgereist, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Am 24. Juli 2015 wurde er als Gefährder eingestuft. Ein Bruder von ihm wird in den Akten als "relevante Person" geführt. Das ist eine Stufe unterm Gefährder.

Düsseldorfer Strafverfolger ermittelten gegen Imran-René Q. wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Das Verfahren wurde dann an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe abgegeben, die am 28. Dezember 2015 gegen den heute 24-jährigen Islamisten ein Verfahren wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland einleitete.

Diverse Sicherheitsbehörden versuchten all die Zeit, über ihn einiges in Erfahrung zu bringen. Er soll zum Kämpfer ausgebildet worden sein, aber nie gekämpft haben. Er soll sich als Propagandist versucht haben, mit wenig Erfolg. Einerseits gefährlich. Andererseits ein Schwätzer, ein Wichtigtuer offenbar. Kein Großer jedenfalls. Karlsruhe gab das Verfahren an den Generalstaatsanwalt in Düsseldorf ab.

Die Kommunikation des angeblichen Terroristen ergibt "kein plausibles Gesamtbild"

Seit November 2016 wusste das BfV über Imran-René Q. mehr, weil der 24-Jährige sehr häufig im Internet war. Es gab eine Art Dauerkontakt, und das BfV war buchstäblich immer mittenmang. Das Bundeskriminalamt (BKA) tauschte sich über den Oberhausener mit dem amerikanischen FBI aus, das BfV mit anderen amerikanischen Sicherheitsbehörden. Vergangene Woche erklärte dann das BfV mit Blick auf Essen, das "Bedrohungsszenario" sei "sehr unspezifisch" gewesen: Die "gesamte Kommunikation des Q. ergibt kein plausibles Gesamtbild".

Nach der Sperrung des Kaufhauses in Essen wurde dann öffentlich kolportiert, das BfV habe von der angeblichen Anschlagsplanung nur erfahren, weil die Verfassungsschützer irgendwann im März auf Terror-Chats im Facebook-Messenger gestoßen seien. Auch das eine Legende.

Zwar machte das BKA einen "Facebook emergency request" beim FBI, aber daraus hätten "keine für den Sachverhalt relevanten Erkenntnisse gewonnen werden" können, teilte das BfV neulich anderen Behörden mit.

Der angebliche Anschlagsplaner scheine "aktuell über Social-Media zu versuchen, mit Menschen in Deutschland in Kontakt zu kommen und diese für Anschläge zu gewinnen". Ob das aber wirklich so ist, weiß man nicht.

Vor drei Jahren ist in Frankfurt ein Islamist, der deutsche Behörden mit einer erfundenen Geschichte über einen angeblich drohenden Anschlag auf den Reichstag in Alarmzustand versetzt hatte, zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er habe sich unter anderem wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten schuldig gemacht, befand damals das Gericht.

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