Essays:"Überdrehte Mädchen"

Erhard Eppler: TRUMP – UND WAS TUN WIR?

Erhard Eppler: Trump - und was tun wir? Der Antipolitiker und die Würde des Politischen. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2018, 128 Seiten, 12,90 Euro.

Erhard Eppler hat ein Buch über die Würde des Politischen geschrieben. Darin gibt es ein Kapitel über Putins Russland, die Punkband "Pussy Riot" und einen seltsamen Vergleich mit Stalin. Und um Altkanzler Gerhard Schröder geht es auch irgendwie.

Von Viola Schenz

"Don't judge a book by its cover", warnt ein englisches Sprichwort, man soll sich nicht aufgrund von Äußerlichkeiten ein Urteil bilden. Abwandelnd könnte es hier lauten: "Don't judge a book by its title", man möge sich nicht vom Titel eines Buches irreleiten lassen. Bei "Trump - und was tun wir?" geht es weniger um den aktuellen US-Präsidenten, der kommt nur am Anfang und dann am Rande vor, und eben als - vielleicht verkaufsförderndes - Reizwort im Titel. Nein, es geht um grundsätzliche Gedanken eines altgedienten Sozialdemokraten zur Lage der Welt. Das vorab zur Orientierung. Unter dem etwas kryptischen Untertitel "Der Antipolitiker und die Würde des Politischen" sind 16 Gesinnungsaufsätze aus der Feder des langjährigen Vorsitzenden der SPD-Grundwertekommission versammelt. Der 91 Jahre alte Erhard Eppler spult so ziemlich alles ab: Gründung und Aufstieg der AfD, die transatlantischen Beziehungen, das Verhältnis zu Russland, Klimawandel, Atomkriegsgefahr, Neoliberalismus, Francis Fukuyamas These vom Ende der Geschichte, technologischer Fortschritt, Flüchtlingspolitik etc.

Die Kapitel sind klug und verständlich aufgeschrieben, die bilder- und analogiereichen Sätze verfangen - Epplers Zeit im Vorstand des Deutschen Evangelischen Kirchentags und als Kirchentagspräsident hat auch sprachlich Spuren hinterlassen. Doch bleibt es oft bei Bestandsaufnahmen bereits geführter Debatten, auch seine gut argumentierte Kritik an Trump liefert keine neuen Ideen. Bisweilen greift er arg in die eigene politische Vergangenheit und damit in die bundesrepublikanische Mottenkiste ("Wer schon in den frühen Siebzigerjahren ökologisch dachte, erinnert sich an das, was er damals auch aus der Union hörte.") Biografische Parallelen sind aktuellen Fragen nicht immer zwingend dienlich.

Das gilt vor allem für die Passagen über Russland und Putin. Ganz der Friedensaktivist, der er seit Jahrzehnten ist, fordert Eppler dazu auf, "Europa zu einem Kontinent des Friedens zu machen". Wer möchte dem widersprechen? Dazu müsse es sein Verhältnis zu Russland regeln, fährt Eppler fort. Und schon ist er zur Stelle, der gute alte Putin-Versteher. Es sei doch ein Unterschied, "ob ein russisches Gericht ein paar überdrehten Mädchen, die ausgerechnet eine Kirche brauchen, um gegen den Staatspräsidenten zu demonstrieren, zwei Jahre Arbeitslager aufbrummt oder ob bei Stalin ein kleiner Haken am Namen ein Todesurteil bedeuten kann. Verglichen mit Stalins Russland ist Putins Russland ein Rechtsstaat." So viel Misogynie, Herablassung und Verharmlosung in einem Gedankengang wollen erst mal verdaut sein. Dabei muss man Eppler recht geben: Verglichen mit Stalin macht fast jeder Autokrat und Diktator eine gute Figur. Verglichen mit Stalin gehen Idi Amin, Augusto Pinochet, Rodrigo Duterte, Jean-Bédel Bokassa oder Muammar al-Gaddafi locker als Hüter der Menschenrechte durch.

Der Wechsel deutscher Politiker in die Wirtschaft wird kritisiert, nur für Schröder gilt das nicht

Die "überdrehten Mädchen" von Pussy Riot - Nadeschda Tolokonnikowa, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch - waren, als sie am 21. Februar 2012 in der Moskauer Erlöser-Kathedrale ihr "Punk-Gebet" aufführen, zwischen 23 und 30 Jahre alt, zwei von ihnen waren bereits Mütter. Sie hatten den Mut, gegen die Unterstützung Wladimir Putins durch den Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill I., zu protestieren und damit Haft in einem Arbeitslager in Kauf zu nehmen.

Eppler mag wenig Sinn für russische Menschenrechtler haben, er hat ihn umso mehr für den Präsidenten. Putin sei bereit, "auf unsere deutschen Interessen Rücksicht zu nehmen, wenn wir die seinen beachten". Er habe "so wenig Lust, aufmüpfige Deutsche zu regieren, wie Angela Merkel Lust hat, aufmüpfige Russen zu regieren". Das wird sicher so sein. Aufschlussreich wäre es dennoch, etwa von den Pussy-Riot-"Mädchen" zu erfahren, wie es ist, unter Putin aufmüpfig zu sein; oder von den Krim-Tataren, die nun im vierten Jahr der russischen Annexion leben. Erstaunlich, dass ein kirchlich engagierter Politiker, der die britische Appeasement-Politik im Zuge des Münchner Abkommens 1938 noch miterlebt hat, einen Aggressor und dessen Völkerrechtsbruch in Schutz nimmt.

Wer Putin versteht, versteht auch Gerhard Schröder. Im Schlusskapitel prangert Eppler den Wechsel deutscher Politiker in die Wirtschaft an. Allerdings gilt dies nicht für den Genossen und Altkanzler. Dass dieser 2006 Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Erdgaspipeline-Betreibergesellschaft NEGP wurde, die zu 51 Prozent der russischen Gazprom gehört, und dafür mindestens 250 000 Euro pro Jahr kassiert, lag laut Eppler daran, dass Putin ihn "bedrängte". "Hätte Schröder auf seinem anfänglichen Nein bestanden, es hätte die deutsch-russischen Beziehungen beschädigt", schreibt Eppler.

Altersmilde kann auch ihre dunklen Seiten haben.

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