Die SPD-Politikerin und frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin vertritt vor dem Verfassungsgericht den Verein "Mehr Demokratie". Am Mittwoch hat das Gericht entschieden, dass der Rettungsschirm unter Vorbehalt in Kraft treten kann.
SZ.de: Frau Däubler-Gmelin, die Kanzlerin sagt mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dies sei "ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für Europa".
Herta Däubler-Gmelin: Nun ja, an solche politischen Allgemeinplätze sind wir ja gewöhnt. Wenn die Kanzlerin das alles so toll findet, muss sie die Frage beantworten, warum sie sich erst durch das Gericht dazu zwingen lassen musste, die Höchstgrenze der Haftung für Deutschland und die Beteiligungsrechte des Parlaments völkerrechtlich absichern zu lassen. Ohne die Klagen der mehr als 37.000 Bürgerinnen und Bürger wären beide Verträge in ihrer mangelhaften Fassung schon längst verbindlich. Das wäre schlecht. Ohne dieses Engagement hätten weder das Parlament noch die Öffentlichkeit die Probleme von ESM und Fiskalpakt ausreichend diskutiert. Insofern lohnt Engagement, deshalb ist es für die Bürger ein guter Tag für Deutschland.
Sie haben vor dem Verfassungsgericht mit dem Verein "Mehr Demokratie" geklagt. Aber über mehr Demokratie findet sich nichts im gestrigen Urteil. War Karlsruhe feige?
Professor Degenhart und ich vertreten mehr als 37.000 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, darunter viele Mitglieder des Vereins "Mehr Demokratie", aber auch anderer Vereine und Parteien. Das Urteil stärkt die Rechte des Bundestages sehr - insofern auch die Demokratie. Jetzt müssen die Abgeordneten ihre Rechte auch wahrnehmen und nicht immer alles glauben, was ihnen da als "alternativlos" vorgesetzt wird.
Sind Sie enttäuscht, dass die Verfassungsrichter plebiszitäre Elemente nicht gestärkt haben?
Karlsruhe hat nichts zu Volksabstimmungen gesagt - das mag manchen Kläger enttäuschen. Allerdings hatte es dazu auch keine Veranlassung gegeben, weil es zwei verbindliche völkerrechtliche Vorbehalte angeordnet und die Verträge im Übrigen verfassungskonform ausgelegt hat. Dazu gehört auch, dass es eine Banklizenz für den ESM ausgeschlossen hat. Diese Interpretation ist jetzt für Bundesregierung und Parlament bindend.
Welche Chancen sehen Sie, jetzt noch Plebiszite zu implementieren?
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen bisherigen Entscheidungen erklärt, wenn bei der Übertragung von Kernzuständigkeiten vom Parlament auf die EU eine rote Linie überschritten sei, müsse vor Gültigkeit die Bevölkerung darüber abstimmen. Das finde ich gut und richtig, auch wenn daraus im vorliegenden Fall keine Folgerungen gezogen wurden. Ich bin sicher, die Volksabstimmung wird kommen. Eher früher als später. Europa kann ohne klare Zustimmung durch seine Bürgerinnen und Bürger keinen nachhaltigen Bestand haben.
Die Verfassungsrichter versuchen, die deutsche Haftungssumme auf 190 Milliarden Euro zu deckeln. Glauben Sie, dass das klappt?
Die Bundesverfassungsrichter versuchen das nicht nur, sondern sie ordnen das an und haben erklärt, dass ohne diese Grenze der ESM nicht verbindlich sei. Das ist eine klare Aussage. Damit ist die ursprünglich nach oben offene Haftung nach dem ESM-Vertrag klar begrenzt. Die Frage ist jetzt, ob mit Zustimmung der Bundesregierung jetzt die EZB einspringen wird.
Mit der EZB-Problematik - dem möglichen massenweisen Aufkauf von Staatsanleihen klammer Staaten durch die Zentralbank - will sich Karlsruhe erst im Hauptsacheverfahren beschäftigen. Ein Fehler?
Das wird sehr davon abhängen, ob Bundesregierung und Parlament ihre Aufgaben wahrnehmen.