Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokraten:Die SPD-Führung ist getrieben von der eigenen Partei

Die Entscheidung über die K-Frage treffen gerade andere für Esken und Walter-Borjans. In früheren Zeiten hätte ein solcher Mangel an Autorität an der Spitze zu Rücktritten geführt. 2020 ist das anders.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

In der K-Frage hat die SPD-Spitze, anders als es Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans seit Wochen und Monaten suggerieren, keine Wahl; womöglich hatte sie nie eine. Führende Genossen aus den Ländern wie jüngst die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und zahlreiche Fraktionsmitglieder haben sich in den vergangenen Tagen mit bemerkenswerter Vehemenz für Olaf Scholz ausgesprochen. Der Finanzminister und Vizekanzler möge die SPD bitteschön in den Wahlkampf führen. Reihenweise verlören Genossen ihr Gesicht, wenn die beiden an der Spitze doch noch mit einem neuen Gesicht um die Ecke kämen.

Die fast schon flehenden Worte richten sich nicht in erster Linie an Scholz, der muss nicht überzeugt werden. Sie richten sich an Esken und Walter-Borjans, die in dieser Frage das letzte Wort für sich beanspruchen. Ohne ihr Zutun findet über die Medien derzeit eine Art inoffizielle Abstimmung statt über Scholz als Kanzlerkandidaten - mit ihm als klarem Gewinner. Sicher, Esken und Walter-Borjans haben das letzte Wort. Die Entscheidung treffen gerade andere für sie. Das sagt viel aus über die Machtverhältnisse in der Partei ein gutes Jahr vor der Wahl.

Scholz, sollte es so kommen, steht dann vor einem sagenhaften Comeback. Es ist gerade einmal ein halbes Jahr her, dass Esken und Walter-Borjans ihn und seine damalige Teampartnerin Klara Geywitz im Wettstreit um den Parteivorsitz niedergerungen hatten. Ihre Kampagne baute zu großen Teilen darauf auf, Scholz und dessen Politik für die Probleme der SPD verantwortlich zu machen und erzeugte eine Nur-nicht-Scholz-Stimmung.

Und nun soll ausgerechnet jener Mann die SPD in eine bessere Zukunft führen, den die Mitglieder, als sie die Wahl hatten, an der Parteispitze nicht haben wollten? Spektakulärer könnten Esken und Walter-Borjans ihr Scheitern nicht eingestehen. Aber mit ihnen an der Spitze steht die Partei heute auch nicht besser da. Es hat sich nur noch der Eindruck verstärkt: Die SPD, das ist schon eine komische Partei.

In früheren Zeiten hätte ein solcher Mangel an Autorität an der Spitze, wie er sich gerade in der K-Frage zeigt, zu Rücktritten geführt. Am Schwielowsee, Chiffre für ein großes Trauma, hat die SPD das 2008 schon einmal durchgemacht. Der Parteichef hieß Kurt Beck. Er war immerhin 2006 mit einer gewissen Autorität ins Amt gestartet, jedoch konnte man bei ihm zuschauen, wie diese dahinbröckelte. Als ihm selbst die Kanzlerkandidatur nicht mehr zugetraut wurde, arrangierte er sich notgedrungen mit Frank-Walter Steinmeier - der sollte es machen. Aber Beck wollte Herr des Verfahrens bleiben. Es kam anders. Das Steinmeier-Lager schob, machte Druck, schuf Fakten. Das erinnert an heute, wo sich Esken und Walter-Borjans ebenfalls einer Illusion hingeben. Beck aber warf hin. Ohne "Handlungs- und Entscheidungsspielraum" könne er nicht Chef bleiben.

Im Jahr 2020 ist die Lage anders. Mit nur noch etwa 15 Prozent in den Umfragen ist die SPD schlicht zu schwach für derlei Scharmützel. Esken, Walter-Borjans und Scholz sind aufeinander angewiesen: Esken und Walter-Borjans haben niemanden sonst, der die Partei in diesen Wahlkampf führen könnte. Und Scholz, will er Erfolg haben, braucht eine Partei, in der seine Gegner und Befürworter einigermaßen in Frieden leben. Zumindest dafür könnten Esken und Walter-Borjans sorgen. Wie weit das trägt? Wird sich zeigen.

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SZ vom 28.07.2020/jael
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