Saskia Esken:SPD-Chefin ohne Freund und Helfer

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"Ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte": SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken ist strikt gegen die neuen Überwachungsmöglichkeiten, sie stimme am Donnerstag nicht mit ab. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Sie nennt sich Antifa und kritisiert die Polizei. Damit hat es sich Saskia Esken nun mit vielen verscherzt, auch in der eigenen Partei. Was trieb die SPD-Chefin dazu? Eine Spurensuche in der südwestdeutschen Provinz.

Von Mike Szymanski, Nienburg

Das wird kein leichter Weg für Saskia Esken. Vor der SPD-Chefin liegt ein roter Backsteinbau im Zentrum von Nienburg. Zwei Stockwerke, umgeben von einer akkurat geschnittenen Hecke, die aussieht wie gemauert. Drinnen bildet Niedersachsen seine Polizisten aus. An Eskens Seite steht Boris Pistorius, Innenminister des Landes. Er ist einer der Parteikollegen, die im vergangenen Jahr erfolglos gegen sie und Co-Chef Norbert Walter-Borjans angetreten waren, um Parteichef zu werden.

Esken muss nicht alleine da rein, in die Polizeiakademie. Nur, wer Freund und Helfer ist, das ist nicht so klar bei diesem Termin bei der Polizei. Es gibt dringend etwas zu besprechen: Hat die Polizei ein Rassismusproblem? Esken sieht es so. Sie hatte den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA zum Anlass für Kritik genommen. Auch in Deutschland gebe es "latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte". Seither ist Pistorius auf der Palme. Und Polizeischüler Mirco H., drittes Ausbildungsjahr, hätte gerne gewusst, was Esken zu ihrer Aussage getrieben hat.

Pistorius zeigt wenig Bereitschaft, Esken diesen Besuch einfach zu machen: Die Polizei sei "absolut vertrauenswürdig", sagt er in Fernsehinterviews vor Eskens Ankunft. Einzelfälle würden konsequent geahndet. Der Vergleich mit den USA sei nicht angebracht. Er selbst nutzt jenes Wort, das es Esken so schwierig macht, wieder Boden gutzumachen: "Generalverdacht", ein solcher stehe jetzt im Raum.

Wo Saskia Esken auftaucht, da ist auch der Konflikt häufig nicht weit. Ist das Absicht oder Zufall?

Saskia Esken hat mal wieder für eine ordentliche Welle gesorgt. Es folgten längst andere SPD-Innenpolitiker, die sich der Kritik von Pistorius angeschlossen haben. Die Gewerkschaften: toben. Inzwischen kann man wohl von einem latenten Widerstand gegen Esken in der eigenen Partei sprechen. Im Umfragen kommt sie auf nur noch 15 Prozent. Jetzt verfestigt sich noch der Eindruck, die SPD könne auch nicht mehr mit der Polizei.

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In der Neujahrsnacht war es im Leipziger Stadtteil Connewitz zu gewalttätigen Krawallen von Linken gekommen, bei denen es auf beiden Seiten Verletzte gab. Aus der Ferne hatte die SPD-Chefin die Einsatztaktik infrage gestellt. Zwar stellte sich hinterher heraus, dass auch die Polizei Fehler gemacht hatte, aber das Bild war in der Welt: Es gibt Bambule, aber Esken zweifelt zuerst die Arbeit der Polizei an. Kürzlich hat sie auf Twitter dann noch ein Bekenntnis zu ihrer antifaschistischen Grundhaltung abgelegt: "58 und Antifa. Selbstverständlich", schrieb sie. Nur, unter Antifa versteht die Polizei heute auch jene militanten linken Gruppen, die Krawall machen und gezielt Polizisten ins Visier nehmen. Etliche Antifa-Gruppen werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

Wo also steht die SPD-Chefin Esken politisch? Was versteht sie unter Linkssein? Und: Macht sie das alles mit Absicht?

Wer Antworten sucht, muss sich in die Vergangenheit der Politikerin begeben. Raus aus Berlin und in ihre Heimat nach Baden-Württemberg. Dort, im Hinterland, in Weil der Stadt, gibt es einen Ort, der "Kloster" heißt. Es ist ein Jugendzentrum. Wenn Saskia Esken darüber spricht, wie sie zur Politik kam, dann geht es um dieses Jugendhaus. Es wurde 1974 gegründet. Über das damalige Weil der Stadt erzählt man sich, es sei so konservativ, so schwarz gewesen, dass man seinen Schatten auch tagsüber kaum sehen konnte.

Esken wuchs ein paar Kilometer entfernt in einem sozialdemokratischen Haushalt auf. Aber zur SPD kam sie selbst erst mit knapp 30. Über die Zeit damals erzählte Esken einmal: "Wir haben uns mit grundsätzlichen Fragen der Verteilung von Vermögen und Einkommen beschäftigt. Wir sind demonstrieren gegangen für den Frieden und gegen Rechts, und ähnliche Dinge mehr." Das Kloster war ein Ort der dosierten Auflehnung, wie man ihn vielerorts in der westdeutschen Provinz erlebte. Politisch - klar links. Die Musik - oft zu laut. Die Kommunalpolitiker - eher skeptisch. Ein Gefährte erinnert sich gerne an die Jahre im Kloster, er ist kein Unbekannter: Linken-Chef Bernd Riexinger.

Er gehörte zu den Mitbegründern, kam aus einem Nachbarort. Er nimmt für sich in Anspruch, die junge Saskia Esken, die Kloster-Schülerin, damals ein Stück weit geprägt zu haben. "Saskia Esken ist später hinzugekommen. Eine toughe Frau, groß, schlank, kurzes Haar - ich erinnere mich noch gut", erzählt Riexinger. Das Jugendzentrum war in kurzer Zeit zum Anziehungspunkt geworden. "Es gab ja nicht viele Treffpunkte solcher Art auf dem Land."

Faschismus und der Kampf dagegen war ein großes Thema

Die Jugendlichen organisierten alles selbst, die politische Arbeit war so wichtig wie das Feiern. "Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus war prägend in unserer politischen Arbeit", erzählt Riexinger. "Wir hatten Geschichtswerkstätten organisiert. Wir haben KZ-Besuche organisiert. Faschismus und der Kampf dagegen, das war ein großes Thema für uns."

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Natürlich ging das nicht immer reibungslos, gerade in so einer konservativen Gegend. "Es gab ab und zu mal Ärger, mit Nachbarn, mit Stadträten", erinnert sich Riexinger. Aber was die Jahre mit Esken gemacht haben, das ist für ihn völlig klar. "In diesen Jahren wurde sie links von der SPD politisiert", sagt Riexinger.

Bei seinen Linken gehört der kritische Blick, Misstrauen teils bis hin zur offenen Ablehnung der Polizei dazu. Riexinger kann deshalb die Aufregung über Eskens Äußerungen nicht verstehen. Für ihn steht fest, dass die Polizei ein Problem mit Rassismus hat. Ob Esken damals schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht habe? Daran könne er sich nicht erinnert. In Weil der Stadt habe es jedenfalls keine größeren Probleme gegeben. Sie selbst sagt in Nienburg, persönlich habe sie nur positive Erfahrungen gemacht. Über die Jahre in Weil der Stadt will sie derzeit nicht sprechen, wie sie der SZ ausrichten ließ.

Esken sei streitbar - aber nur mit Worten

Klarer scheint zu werden, warum es Esken ein Anliegen war, sich zu ihrer antifaschistischen Haltung zu bekennen. Antifaschisten, das seien doch alle in dieser Zeit gewesen, die sich mit Vergangenheit auseinandersetzen und verstehen wollten, sagt Riexinger. "Antifa - das gab es in dieser politischen organisierten Form noch nicht."

Auch aus der eigenen Partei bekommt Esken in diesem Punkt Rückhalt: "Antifa - für mich ist dieser Begriff auch erstmal positiv besetzt. In meiner aktiven außerparlamentarischen Zeit war allerdings noch kein schwarzer Block dabei. Das ist aber 30 Jahre her", sagt Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. "Mit Gewalt hat sie ganz sicher nichts am Hut. Sie ist streitbar - aber mit Worten." Esken trat der SPD bei, weil sie ihr groß genug erschien, die Dinge besser in die Hand nehmen zu können. Riexinger sah sie im Bundestag wieder. Ihre Sympathie fürs linkere Lager aber ist geblieben. Gut möglich, dass sie an diesem Donnerstag in Nienburg lieber den Bernd Riexinger an ihrer Seite hätte, als den Boris Pistorius.

Im zweiten Stock in der Aula warten die Schüler. Als Esken und Pistorius eintreten, ist schon klar, wer nachgibt. Ihre Kritik wiederholt sie so nicht. Es sei auch nicht ihre Absicht gewesen, einen Generalverdacht auszusprechen, sagt sie. Latenter Rassismus? Heute spricht sie lieber von "schwierigen Tendenzen". Sie lässt die Schüler auch wissen, dass sie deren Arbeit wertschätze. Und was die Schüler in diesem Moment von ihr lernen: Den Umgang mit einer Niederlage.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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