Eskalation zwischen Nord- und Südkorea:Symbolische Machtspiele vs. Vorboten des Krieges

Die Drohungen, die derzeit zwischen Pjöngjang und Seoul ausgesprochen werden, lassen nichts Gutes erahnen. Droht tatsächlich ein Krieg auf der Koreanischen Halbinsel? Oder verfolgt Kim Jong Un eine ganz andere Strategie mit seinen Provokationen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Oliver Klasen

Am Anfang stand der Test einer nordkoreanischen Langstreckenrakete. Das war Mitte Dezember. Zwei Monate später folgte ein unterirdischer Atomtest und in den Wochen danach gab es auf der Koreanischen Halbinsel eine rasche Serie immer weiterer Eskalationstufen. An diesem Freitag nun die vorerst letzte Provokation: Der Norden kündigt den historischen Waffenstillstand auf, der 1953 den Korea-Krieg zwischen beiden Landesteilen beendete. Droht jetzt tatsächlich ein neuer Krieg auf der Koreanischen Halbinsel? Oder ist das martialische Auftreten Kim Jong Uns eher ein symbolischer Akt, der seine Machtposition festigen soll? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was hat Nordkorea konkret beschlossen?

Hauptsächlich geht es um zwei Maßnahmen: Einerseits die Aufkündigung des Nichtangriffspaktes aus dem Jahr 1953. Dieser beendete damals nach 37 Monaten den für beide Seiten sehr verlustreichen Koreakrieg und legte den 38. Breitengrad als Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem westlich orientierten Süden fest. Auch eine Notfalltelefonleitung zwischen den Armeen des Nordens und des Südens im Dorf Panmunjom an der Demarkationslinie beider Staaten will Pjöngjang mit sofortiger Wirkung kappen.

Außerdem verschärft die Regierung Nordkoreas den Ton gegenüber dem Süden: Ein weiterer Koreakrieg sei "unvermeidlich" angesichts des Verhaltens von Washington und seiner "Marionetten" in Seoul, die "wild entschlossen" zur Konfrontation seien. Das staatliche nordkoreanische Wiedervereinigungskomitee warnt, das Militär werde auf jegliche Grenzverletzung - und sei sie "nur um einen Zentimeter" - "gnadenlos" reagieren.

Wie antwortet der Süden auf die Ankündigung?

Aus Seoul kommen ebenso martialische und mit Drohungen aufgeladene Worte: "Sollte Nordkorea zu Provokationen greifen, die das Leben und die Sicherheit von Südkoreanern bedrohen, wird unser Militär harte und entschlossene Vergeltung üben", sagt zum Beispiel der General Kim Yong Hyun. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums geht noch weiter: Das Regime von Machthaber Kim Jong Un werde zugrunde gehen, sollte es Südkorea mit Atombomben angreifen, so Kim Min Seok vor Journalisten.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Die USA beziehen sich vor allem auf die Drohung eines atomaren Erstschlags. Die Führung in Pjöngjang treibe sich damit weiter in die internationale Isolation, sagte ein Sprecher von US-Präsident Barack Obama. "Die Vereinigten Staaten sind voll und ganz in der Lage, sich gegen nordkoreanische Raketendrohungen zu verteidigen", so der Sprecher. Ohnehin seien die Drohungen nicht neu, das Land habe bereits häufiger bewiesen, dass ihm nicht an einer Verbesserung der internationalen Beziehungen gelegen sei.

Die Regierung in Peking, die sowohl militärisch als auch ökonomisch als wichtigster Partner Pjöngjangs gilt, bemüht sich um Deeskalation: "China ruft alle beteiligten Seiten auf, Ruhe zu bewahren und Zurückhaltung zu üben", sagte eine Sprecherin des Außenministeriums. Alle Handlungen, die weitere Spannungen bewirken könnten, müssten vermieden werden.

Auch die deutsche Regierung hat das Vorgehen Nordkoreas verurteilt. "Die Kriegsrhetorik in Nordkorea muss ein Ende haben", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Berlin. Die internationale Gemeinschaft werde "die von Pjöngjang verfolgte Politik der nuklearen Erpressung nicht hinnehmen", sagte Westerwelle.

Droht jetzt Krieg auf der koreanischen Halbinsel?

Eine direkte kriegerische Auseinandersetzung ist wohl eher unwahrscheinlich. So sieht der Politologe August Pradetto von der Bundeswehr-Universität in Hamburg im angedrohten Nuklearschlag Nordkoreas keine ernstzunehmende Gefahr. Nordkorea habe keine adäquaten Kapazitäten, um einen solchen Angriff auszuführen, so der Experte für internationales Krisenmanagement im Deutschlandradio Kultur. "Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen - aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit."

Nordkorea wisse, dass ein Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea die vollständige Vernichtung des nordkoreanischen Militärs und auch seiner politischen Führung nach sich ziehen würde. Auch wenn die Scharmützel, die es zeitweise an den Grenzen gebe, das Potenzial für eine Eskalation hätten, bedeute die Ankündigung Nordkoreas, den Waffenstillstandsvertrag mit Südkorea aufzulösen, noch keine militärische Angriffsabsicht.

Rüdiger Frank von der Universität Wien äußert sich im Gespräch mit SZ.de vorsichtiger: "Es ist sehr schwer einzuschätzen, ob Kim Jong Un nur blufft oder weitere Eskalationschritte bevorstehen", so der Wissenschaftler, der als einer der weltweit führenden Nordkorea-Experten gilt. Zwar lege die langjährige Erfahrung mit der Regierung in Pjöngjang nahe, dass die internationale Gemeinschaft derartige Provokationen eher gelassen sehen könne - aber diese Erfahrung beruhe vor allem auf der Zeit vor Kim Jong Un. Der neue Machthaber habe "innerhalb von zehn Monaten drei große Raketen- und Atomtests" in Angriff genommen. Das sei im Vergleich zu früheren Zeiten, als Atomtests alle paar Jahre versucht wurden, ein "stakkatoartiges Vorgehen", angesichts dessen man "durchaus besorgt" sein könne.

Welche Gründe gibt es für die aktuelle Eskalation?

Als unmittelbare Begründung für das Ende des Waffenstillstands nennt die nordkoreanische Führung das gemeinsame Seemanöver der US-Streitkräfte mit Südkorea im Ostmeer (Japanisches Meer), das am Montag beginnen soll. "Wenn die Übungen nach dem 11. März in ihre Hauptphase eintreten, wird das Waffenstillstandsabkommen, das nur dem Namen nach bestanden hat, beendet sein", so zitierten die staatlichen nordkoreanischen Medien das Armeekommando.

Die tatsächlichen Motive liegen aber wohl woanders. Zum einen gibt es militärisch-strategische Gründe. Zwar dürften die USA und Südkorea aufgrund des hohen Risikos kaum ernsthaft daran interessiert sein, militärisch gegen den Norden und seine Atomanlagen vorzugehen. Dennoch will das Regime in Pjöngjang erreichen, dass die USA einen gewaltsamen Regimewechsel nicht einmal theoretisch in Erwägung ziehen.

Innenpolitisch kann die Aufkündigung ebenfalls nützlich sein für Kim Jong Un. Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr versucht er eine vorsichtige Öffnung seines Landes, die sich vor allem ökonomisch auswirkt. Das bestätigt auch Nordkorea-Experte Frank, der in den vergangenen Monaten zweimal in das Land gereist ist und "deutlich mehr kommerzielle Aktivitäten" festgestellt hat. Wirtschaftsreformen und eine verbesserte Versorgungslage, die Kim Jong Un ausdrücklich versprochen hat, lassen sich einfacher umsetzen, wenn die Macht nach außen hin gesichert ist. "Ein nuklear abgesichertes Nordkorea kann sich auch auf waghalsigere ökonomischen Reformen einlassen", sagt Frank.

Am Ende könne es sogar sein, dass Nordkorea mit der Aufkündigung des Waffenstillstandes das glatte Gegenteil erreichen wolle - nämlich einen dauerhaften Friedensvertrag unter Beteiligung der USA. Dieser würde eine ökonomische Öffnung erleichtern und den Zugang zum Weltmarkt eröffnen. "China als einziger Partner ist auf Dauer unbefriedigend für Nordkorea", sagt Frank.

Lesetipps: Ein Reportage, die beschreibt, wie sich der allmähliche Wandel in der Hauptstadt Pjöngjang zeigt, können Sie hier lesen. Die britische BBC hat in einem Artikel im Februar außerdem einige interessante Fakten zu Nordkoreas Wirtschaft zusammengestellt.

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