Süddeutsche Zeitung

Eskalation im Nahen Osten:Hamas beendet Waffenruhe mit Israel

Nach israelischen Angriffen mit mindestens 24 Toten hat der militärische Arm der radikal-islamischen Organisation neue Anschläge gegen Israel und US-Einrichtungen angekündigt. Unterdessen bedauerte Israels Ministerpräsident Ehud Olmert den Tod der Zivilisten.

Nach dem israelischen Angriff auf ein Wohnviertel im Gazastreifen hat die palästinensische Hamas-Bewegung die Waffenruhe für beendet erklärt. Der bewaffnete Kampf könne wieder aufgenommen worden, sagte der politische Führer der islamisch-fundamentalistischen Organisation, Chaled Maschaal, am Mittwoch in Damaskus. Seine Organisation werde nicht mit Worten, sondern mit Taten auf den Tod von 18 Menschen in der Nähe von Beit Hanun reagieren.

"Gnadenlose Lektion"

Die Waffenruhe wurde am 8. Februar vergangenen Jahres bei einem israelisch-palästinensischen Gipfeltreffen in Scharm el Scheich vereinbart. Neben der Hamas hatten sich auch andere militante Organisationen wie der Islamische Dschihad der Vereinbarung angeschlossen.

Das Abkommen war zunächst bis Ende 2005 befristet, wurde danach aber nicht offiziell aufgekündigt. Maschaal sagte nun, der Waffenstillstand mit Israel sei beendet. Die Art des bewaffneten Widerstands werde sich nach den örtlichen Bedingungen richten.

In einem Schreiben wurde auch die USA beschuldigt, "politischen und logistischen Schutz für Verbrechen der zionistischen Besatzung" zu geben. "Erteilt dem amerikanischen Feind eine gnadenlose Lektion, die er nicht nicht vergisst", hieß es in dem an Araber und Muslime gerichteten Aufruf.

Bei einem Granatenangriff auf ein Haus in Bet Hanun im Norden des Gazastreifens waren am Morgen nach neuen palästinensischen Krankenhausangaben mindestens 19 Palästinenser getötet worden, darunter sieben Kinder und fünf Frauen. Bei Schießereien in den Palästinensergebieten wurden weitere sechs Palästinenser getötet.

Dringlichkeitssitzung der UN gefordert

Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und Verteidigungsminister Amir Perez bedauerten den Tod der palästinensischen Zivilisten im nördlichen Gazastreifen, teilte die israelische Regierung mit.

Sie hätten der Palästinenserführung "sofortige humanitäre und medizinische Unterstützung für die Verletzten" angeboten. Der Verteidigungsminister habe Ermittlungen eingeleitet und angeordnet, dass die Armee ihren Beschuss im Gazastreifen solange einstelle, bis vollends aufgeklärt sei, wie der Einsatz zu diesem "tragischen Ende" kommen konnte.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas verurteilte den Angriff von Beit Hanun als "schreckliches Massaker der Besatzungsmacht an unseren Kindern, Frauen und Alten". Die Palästinenserführung forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates und rief eine dreitägige Trauerzeit aus, in der die Schulen geschlossen bleiben.

"Ihr wollt überhaupt keinen Frieden", warf er der israelischen Führung vor Journalisten in Gaza vor. "Ihr zerstört die Chancen für einen Frieden, und ihr müsst die Verantwortung dafür übernehmen." Die Palästinenser seien mit ihrer Geduld am Ende.

Beit Hanun stand in den vergangenen Tagen im Mittelpunkt einer israelischen Offensive, bei der in einer Woche etwa 50 Palästinenser getötet wurden, zumeist Mitglieder militanter Organisationen. Fünf Panzergranaten schlugen am Morgen innerhalb von 15 Minuten in einem Wohngebiet nördlich der Stadt Beit Hanun ein, wie palästinensische Polizisten mitteilten.

Die getroffenen Häuser gehörten der Großfamilie Alathamna, zu der 13 der 18 Toten gehören. Der 75-jährige Rahwi Hamad sagte, er sei von schweren Explosionen aus dem Schlaf gerissen worden. Als er aus dem Haus getreten sei, habe er blutende und schreiende Menschen gesehen. In den Häusern seien Bewohner zerstümmelt worden. "Wir sahen Beine, Hände, an die Wand geschleuderte Kopfteile".

Vor der Kamal-Adwan-Klinik im nördlichen Gazastreifen versammelten sich am Morgen mehrere tausend Palästinenser und riefen nach Rache. Der örtliche Hamas-Führer Nisar Rajan kündigte weitere Raketenangriffe und Selbstmordanschläge auf Israel an und sagte: "Alle unsere Märtyrer warten, die Rache wird kommen." Auch der Islamische Dschihad drohte Israel mit Vergeltung.

In der Stadt Gaza versuchten Schüler, eine leere Vertretung der EU zu stürmen. Sie warfen mit Steinen und Flaschen. Palästinensische Polizisten hinderten sie daran, in das Gebäude einzudringen.

Nach einer Krisensitzung erklärte der Ministerpräsident Ismail Hanija die Gespräche über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit für ausgesetzt. Dies sei ein Zeichen des "Protestes gegen dieses schreckliche Massaker", sagte Hanija.

Die Verhandlungen über eine gemeinsame Regierung von radikaler Hamas und der gemäßigten Fatah des Präsidenten Abbas waren in den vergangenen Wochen kaum vorangegangen. "Wir haben das Recht auf Selbstverteidigung", sagte der Ministerpräsident.

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