Eskalation eines Konflikts:Türkei bekämpft Bekämpfer des IS

  • Aktivisten und kurdischen Kämpfern zufolge hat die türkische Armee Stellungen der Kurden in Syrien beschossen.
  • Das türkische Außenministerium bestreitet die Vorwürfe.
  • Am Sonntagabend flog die Türkei zudem Luftangriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak, wie Medien meldeten.
  • Auf Antrag der Regierung in Ankara kommen am Dienstag die Botschafter der Nato-Staaten zusammen, um die Lage zu beraten.

Türkei bombardiert angeblich Kurden-Stellungen in Syrien

Die türkische Armee soll im Norden Syriens Stellungen bombardiert haben, die von kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und gemäßigten Rebellen kontrolliert werden. Dabei seien am Sonntagabend vier Kämpfer der YPG und der Freien Syrischen Armee (FSA) verletzt worden, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Auch ein Kurdensprecher berichtete von Angriffen. Mehrere türkische Panzer hätten auf Kurden-Stellungen am Rande der Stadt Dscharablus im Nordwesten Syriens gefeuert, die von der Terrormiliz Islamischer Staat gehalten wird. Beim Beschuss des Ortes Zur Maghar seien vier Kämpfer sowie mehrere Zivilisten getöten worden. Später sei noch ein anderes Dorf in der Nähe beschossen worden.

Die Kurden-Miliz betonte, die türkische Artillerie hätte auf die syrischen Kurden gezielt und nicht auf deren Gegner, die IS-Kämpfer. "Anstatt die von den IS-Terroristen besetzten Positionen ins Visier zu nehmen, griffen die türkischen Streitkräfte die Positionen der Verteidiger an", zitiert der britische Guardian die Kurden. Die YPG forderte die Türkei auf, "diese Aggression" zu stoppen.

Ankara bestreitet Angriffe auf syrische Kurden

Die Türkei wies die Vorwürfe zurück. Ein Sprecher des türkischen Außenministeriums bestritt dem Guardian zufolge den Beschuss der kurdischen Stellungen in Syrien. Bei der BBC heißt es, die Türkei untersuche die Vorwürfe, insistiere jedoch darauf, die Einheiten der syrischen Kurden blieben "außerhalb des Bereichs der aktuellen militärischen Bestrebungen".

Die kurdischen Volksschutzeinheiten kontrollieren nach mehreren Siegen gegen den IS mittlerweile große Teile der Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Die YPG ist ein wichtiger Verbündeter der internationalen Koalition im Kampf gegen die Extremisten, zugleich aber eng mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden.

Angriffe im Nordirak

Medienberichten zufolge unternahm die türkische Luftwaffe am Sonntagabend zudem erneut einen Vorstoß gegen die PKK im Nordirak. Kurz nach 20 Uhr Ortszeit (19 Uhr mitteleuropäischer Zeit) seien mehrere F-16-Kampfjets von ihrer Basis in Diyarbakir gestartet und in Richtung der Kandil-Berge geflogen, wo die kurdischen Rebellen mehrere Stellungen unterhalten, berichteten übereinstimmend die Sender CNN-Türk und NTV.

Zum ersten Mal hatten türkische Kampfjets in der Nacht zum Samstag PKK-Stellungen im Nordirak bombardiert. Seitdem droht die Lage zu eskalieren. Der militärische Flügel der PKK erklärte, der seit 2013 geltende Waffenstillstand habe "keine Bedeutung mehr".

Länder wie Deutschland und die USA stufen die PKK nach wie vor als Terrororganisation ein. Allerdings kämpfen PKK-Kräfte gemeinsam mit den Peschmerga - einer anderen kurdischen Gruppe - in Syrien und im Nordirak gegen den IS. Die Peschmerga werden von Deutschland und anderen Nato-Staaten logistisch unterstützt und mit Waffen beliefert.

Die PKK bekannte sich am Sonntag zu einem Anschlag, bei dem zwei türkische Soldaten getötet wurden. Zuvor hatte sie sich bereits zur Tötung zweier Polizisten bekannt, die dem IS nahe gestanden haben sollen. Der IS wird für einen Anschlag im türkischen Suruç mit 32 Toten verantwortlich gemacht.

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Davutoğlu: Kein Einsatz von Bodentruppen geplant

Sollten die Berichte über die Angriffe auf Kurden-Stellungen in Nordsyrien der Wahrheit entsprechen, laufen sie den Worten des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu entgegen. Der Regierungschef hatte türkischen Medien am Wochenende gesagt, moderate Rebellen, die gegen den IS kämpfen, sollten aus der Luft geschützt werden. Darin sei sich die Türkei mit den USA einig. Einen Einsatz mit Bodentruppen gegen den IS in Syrien schloss Davutoğlu aus.

Pläne für IS-freie Zone

Dem Guardian zufolge haben sich die Türkei und die USA unterdessen auf Pläne geeinigt, wonach die IS-Terrormiliz aus einem Streifen entlang der syrisch-türkischen Grenze vertrieben werden soll. Die Einrichtung dieser Zone sei ein diplomatischer Erfolg für die Türkei, schreibt das britische Blatt. Aber es sei noch unklar, ob hier ein Überflugverbot herrschen soll und wie die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf eine solche Zone regieren würden.

Festnahmen in Ankara

Bei Razzien in der türkischen Hauptstadt Ankara sollen unterdessen zahlreiche Menschen festgenommen worden sein. Die Nachrichtenagentur AP berichtet, 15 mutmaßliche IS-Unterstützer seien festgenommen worden. Die Agentur Reuters berichtet hingegen, dass in der Türkei etwa 900 Menschen festgenommen worden seien, die im Verdacht stünden, entweder in Verbindung zur IS oder zur kurdischen PKK zu stehen.

Nato beruft Sondertreffen ein

Auf Antrag der Türkei kommen am Dienstag die Botschafter der 28 Nato-Mitgliedsstaaten zusammen. Die Regierung in Ankara, so ein Sprecher der westlichen Militärallianz, habe Beratungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrages beantragt. Solche Beratungen können dann einberufen werden, wenn ein Mitgliedsstaat der Ansicht ist, dass die Unversehrtheit des eigenen Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht ist.

Die Bundesregierung sieht derzeit in dem Konflikt allerdings keine Grundlage für einen Nato-Einsatz. "Der Bündnisfall ist weit weg", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) appellierte an die Türkei, am Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) festzuhalten.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte den türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu davor, mit den Luftangriffen gegen die PKK den Friedensprozess mit den Kurden zu gefährden.

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