Süddeutsche Zeitung

Eskalation des Nahostkonflikts:Netanjahu hat nichts mehr zu gewinnen

Die Bombardierung des Gaza-Streifens ist ein gezielter Angriff auf die dort herrschende Hamas. Es gibt einen Grund dafür, dass Israel gerade jetzt den großen Schlag führt - es herrscht Wahlkampf und Regierungschef Netanjahu zeigt sich so als zupackender Führer. Doch es gibt ein Problem: Nun bestimmt die Hamas, wie sich der Konflikt weiterentwickelt.

Peter Münch, Tel Aviv

Wenn ein Krieg beginnt oder das, was man eine "Militäroperation" nennt, gibt es immer einen konkreten Anlass - und dahinter ein Bündel von Gründen. Ein Konflikt beginnt ja nicht mit dem ersten Donnerschlag, sondern er entwickelt sich über Wochen, Monate oder gar Jahre.

Folglich ist es gewiss zu kurz gegriffen, die aktuellen Kämpfe rund um den Gaza-Streifen als israelische Reaktion auf permanentes palästinensisches Raketenfeuer zu sehen, wie das die Regierung in Jerusalem mit dem Namen dieser Militäraktion glauben machen will. Die Operation "Säule der Verteidigung" ist - jenseits der berechtigten israelischen Sicherheitsinteressen - ein gezielter Angriff auf die im Gaza-Streifen herrschende Hamas. Die Frage ist nur, was Israel damit zum jetzigen Zeitpunkt erreichen will.

Einen Anlass für eine Aktion gegen die Militanten in Gaza gäbe es aus israelischer Sicht schließlich fast immer. Die radikalen Gruppen feuern seit Langem nach Belieben ihre Raketen auf den Süden Israels ab und bedrohen damit Hunderttausende Zivilisten. Seit dem letzten Krieg zum Jahreswechsel 2008/2009 aber hat Israel darauf stets mit relativer Zurückhaltung regiert.

Dass nun die große Keule geschwungen wird, hat einen Grund: Es herrscht Wahlkampf in Israel, und die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu will zur Stimmabgabe am 22. Januar mit einer Demonstration der Stärke das Thema Sicherheit hoch oben auf der Agenda halten.

Die gezielte Tötung des Hamas-Militärchefs Ahmed al-Dschabari darf sich Netanjahu dabei als persönlichen Erfolg anrechnen. Nach den in Nahost geltenden Wildwest-Regeln zeigt sich der Premier durch die Tötung des Erzfeindes, der seit Jahren in Israel die Liste der meistgesuchten Terroristen anführt, als zupackender Führer.

Zudem ist der Gegner dadurch ebenso geschwächt wie durch die von der Armee nun gemeldete Zerstörung von Abschuss- und Lagereinrichtungen für Raketen mit größerer Reichweite. Damit aber hat Israel auch schon alles erreicht, was bei diesem Waffengang zu gewinnen ist. Von nun an kann es nur noch Verlierer geben.

Denn dieser Frontalangriff war von solcher Wucht, dass er unweigerlich zur Eskalation führen muss. Dabei aber entscheidet nicht mehr Israel, sondern die Hamas, in welche Richtung sich dieser Konflikt entwickelt. Die Regierung in Jerusalem hat bereits klargemacht, dass sie nötigenfalls auch vor einer Bodenoffensive nicht zurückschrecken wird. Das klingt entschlossen, kann aber nicht überdecken, dass Israel in Wahrheit kein Interesse an einem Einmarsch im Gaza-Streifen haben kann.

Denn das einzige klare Ziel einer solchen Brachialaktion könnte es sein, der herrschenden Hamas endgültig den Garaus zu machen. Dafür aber ist es längst zu spät. Denn anders noch als beim letzten Krieg steht hinter der Hamas heute die Führung in Ägypten. Somit birgt die Gaza-Aktion automatisch das Risiko einer regionalen Ausweitung. So gezielt der Auftakt dieser Militäroperation war, so unkontrollierbar ist also der Fortgang.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2012/gal
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