Katholische Kirche:Die PR-Strategie des Erzbischofs

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Kommt nicht zur Ruhe: das Erzbistum Köln.
Kommt nicht zur Ruhe: das Erzbistum Köln. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Ein internes Papier soll zeigen, wie das Erzbistum Köln im Konflikt um das erste Missbrauchsgutachten den Betroffenenbeirat auf Linie bringen wollte. Ein weiterer Betroffener verklagt das Erzbistum nun auf Schmerzensgeld.

Neue Enthüllung im skandalgeschüttelten Erzbistum Köln: Ein internes Papier einer PR-Beratung zeigt nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers, wie im Konflikt um das abgesagte Missbrauchsgutachten der Kanzlei WSW Ende Oktober 2020 der Betroffenenbeirat offenbar gezielt instrumentalisiert wurde. Die Zeitung zitiert aus einem 50-seitigen Papier der Leipziger Krisen-PR-Agentur "Ewald & Rössing". Diese soll dem Bistum detaillierte Empfehlungen vorgelegt haben, welche "Optionen" man dem Gremium zur Absage des Gutachtens vorlegen wolle. Das Treffen müsse "so vorbereitet und durchgeführt werden", berichtet der Stadt-Anzeiger aus dem internen Papier, "dass tendenziell Szenario A eintritt" - gemeint gewesen sei ein einstimmiges Votum des Beirats gegen das WSW-Gutachten und für die Erstellung einer neuen Untersuchung.

Genau so geschah es. Die Bistumsleitung sagte die Veröffentlichung des WSW-Gutachtens ab und machte methodische Mängel geltend, der Betroffenenbeirat gab seine Zustimmung. Allerdings distanzierten sich wenig später einige Mitglieder des Beirats und warfen Woelki vor, sie in der fraglichen Sitzung überrumpelt und instrumentalisiert zu haben. Die Strategie der Beratungsagentur, die vom Erzbistum Köln für ihre Dienste 820 000 Euro erhalten haben soll, sei bereits sechs Wochen vor der für die Öffentlichkeit überraschenden Absage des WSW-Gutachtens entwickelt worden, berichtet die Zeitung weiter. In dem Papier mit dem Titel "Projekt Wechsel" habe die Agentur gewarnt, dass ein Scheitern der Missbrauchsaufarbeitung "zu einer langfristigen (politischen) Schwächung Woelkis und der ,Institution Kirche'" führen würde".

Als die Höhe des Berater-Honorars im Dezember 2021 bekannt geworden war, hatte die Agentur hingegen mitgeteilt, Kernziel des Auftrags sei es gewesen, "den Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozess zu schützen. Die Reputation des Erzbistums Köln oder seiner Amtsträger war diesem Ziel untergeordnet." Dies sei kein Widerspruch, sagte Agenturchef Torsten Rössing am Freitag auf SZ-Anfrage. "Die Reputation war nicht unser primäres Schutzgut, sondern der Aufarbeitungsprozess bis hin zur Veröffentlichung eines belastbaren Gutachtens." Auf mögliche Reputationsgefährdungen hinzuweisen, sei "Teil unserer Sorgfaltspflicht". Ein Wechsel der Kanzlei sei zwingend notwendig gewesen, weil die Arbeit nach Einschätzung verschiedener Presserechtsanwälte nicht den äußerungsrechtlichen Anfordernissen genügt habe. "Das war unsere Faktenbasis. Inhaltlich war das damalige (erste) Gutachten weder dem Erzbistum noch uns bekannt."

Das Erzbistum Köln teilte auf SZ-Anfrage mit, man berichte aus vertraulichen Papieren grundsätzlich nicht. "Dass das Erzbistum Köln eine Krisenberatungsagentur eingeschaltet hat, ist bekannt, die dafür angefallenen Kosten hat das Erzbistum bereits in seiner Pressemitteilung am 4. Dezember 2021 selbst öffentlich gemacht." Medienanwalt Carsten Brennecke sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur, das Erzbistum sei "richtigerweise" darin bestärkt worden, "dass eine Entscheidung in der Sache nicht ohne den Betroffenenbeirat erfolgen kann und sollte, da dessen Stimme gewichtig ist und die Stimme der Betroffenen, sowie deren berechtigtes Bedürfnis nach Transparenz keineswegs übergangen werden sollte. Hätte der Betroffenenbeirat gegen die Nichtveröffentlichung des WSW-Gutachtens gestimmt, wäre auch eine Neubewertung erfolgt."

Die Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, übte scharfe Kritik: Sollten sich die Recherchen des Kölner Stadt-Anzeigers bewahrheiten, zeige dies, wie wenig Woelki und sein Leitungsteam vom Wert der Betroffenenbeteiligung verstanden hätten, sagte Claus. Betroffenenbeteiligung müsse auf Augenhöhe und in voller Transparenz erfolgen, sagte sie: "Stattdessen Betroffene im Kontext von institutionellen Aufarbeitungsprozessen zur Verfügungsmasse zu degradieren und neuerlich die sich beteiligenden Mitglieder eines solchen partizipativen Gremiums massivster Machtmanipulation zu eigenem Nutzen zu unterwerfen, ist anmaßend und empörend."

Neues juristisches Ungemach droht ebenfalls: Ein Missbrauchsbetroffener verklagt das Erzbistum Köln auf 725 000 Euro Schmerzensgeld. Beim Landgericht Köln ging am Freitag die Klage des 63-jährigen Mannes ein, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte. Der Betroffene sehe eine Amtspflichtverletzung des Erzbistums durch Unterlassen. 25 000 Euro habe er bereits erhalten, so dass eine Gesamtsumme von 750 000 Euro im Raum stehe. Es handelt sich wohl um die deutschlandweit erste Schmerzensgeldklage eines Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen die Kirche als Institution.

Der Mann, der selbst seit vielen Jahren als Pastoralreferent im Erzbistum Köln gearbeitet hatte, ist Medienberichten zufolge als Messdiener in den 1970er-Jahren mehrere hundert Male von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht worden. Der Fall kommt auch in dem Aufarbeitungsgutachten vor, das die Kanzlei Gercke Wollschläger im Auftrag des Erzbistums Köln erstellte. Demnach wurden der Erzdiözese erstmals 1980 Vorwürfe gegen den Priester bekannt, die dieser einräumte. Nach einer Therapie durfte er ab Dezember 1982 wieder als Pfarrer arbeiten. 2010 wurden dem Erzbistum erneut Anschuldigungen gemeldet, die der Geistliche wieder zum Teil zugab. Es folgte eine Meldung beim Vatikan. Ab 2014 durfte der Mann keine priesterlichen Aufgaben mehr ausüben und Kindereinrichtungen des Erzbistums nicht mehr betreten. Zudem musste er 15.000 Euro Strafe zahlen.

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